Videos zeigen kriegsähnliche Zustände in Berlin
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Silvester-Nacht der Schande:Videos zeigen kriegsähnliche Zustände in Berlin

Islam-Kritiker Hamed Abdel-Samad über die Berliner Silvesternacht
«Wir haben die Kontrolle über diese Gruppe verloren»

In Berlin griff ein Mob Polizei, Sanitäter und Feuerwehr an: 56 Uniformierte wurden verletzt. Der Staat liefere die falschen Antworten, sagt der bekannte Politikwissenschaftler im SonntagsBlick-Interview.
Publiziert: 08.01.2023 um 01:04 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2023 um 10:40 Uhr
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Randale vor dem Reichstag: «Wir brauchen eine Demokratie mit Zähnen», sagt Abdel-Samad.
Foto: Keystone
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

SonntagsBlick: Politiker aller Couleur zeigen sich entsetzt über die Vorfälle in Berlin. Wie ist das bei Ihnen? Waren Sie überrascht?

Hamed Abdel-Samad: Warum sollte man überrascht sein? Wir hatten vor wenigen Jahren etwas Ähnliches in Köln.

Sie meinen die Silvesternacht 2015/16 …

Damals haben junge Migranten und Flüchtlinge, die erst ein paar Monate in Deutschland waren, exzessive sexualisierte Gewalt ausgeübt, sie zelebrierten ihre Männlichkeit, ihre angebliche Überlegenheit, indem sie Frauen erniedrigten und sexuell belästigten.

In Berlin ging es nicht um sexuelle Gewalt. Wo ist die Gemeinsamkeit?

Schon damals haben Staat und Medien versagt. Zunächst wollte man nicht darüber reden, aber als sich immer mehr Geschädigte meldeten, die Zahlen förmlich explodierten, war man dazu gezwungen. Seitdem sind sechs Jahre vergangen, es gab fast tausend Opfer, und ich frage mich: Was ist mit den Tätern? Wie viele wurden bestraft? Wurde jemand abgeschoben? Das ist es, was einen richtig wütend macht. Auch jetzt redet man wieder von Abschreckung und dass sich so etwas nicht wiederholen darf. Passiert ist nichts. Als einzige Massnahme hat man nach Köln die Sicherheitsvorkehrungen bei grösseren Menschenansammlungen verstärkt. Das eigentliche Problem wurde nicht einmal angekratzt.

Was ist denn das eigentliche Problem?

Das Problem sind junge Männer mit Migrationshintergrund, die den deutschen Staat verachten, die keine Autorität ausser der eigenen Familie, dem eigenen Imam oder ihres arabischen Clans akzeptieren. Die Ereignisse in Berlin sind nur die Spitze des Eisbergs, da schlummert ein Wutpotenzial, das nirgends aufgefangen wird, schon gar nicht in der Familie – dort, behaupte ich, wird der Hass gegen Deutschland, gegen diese Gesellschaft sogar noch angefeuert. Diese niedrige Frustrationstoleranz sucht ein Ventil. Und sie sucht die Schwachstellen der Gesellschaft und der Demokratie. Diese Männer haben sehr schnell erkannt, dass der Staat zahnlos ist, dass sie vielleicht einen Tag auf der Wache verbringen, aber dann freigelassen werden. Wir haben die Kontrolle über eine bestimmte Gruppe verloren.

Sie reden von Hass. Woher kommt der?

Wenn ich in einer Gesellschaft lebe, in der ich nicht gut integriert bin, in der ich keine gute Arbeit und keine Perspektive habe, werde ich wütend. Das gilt auch für Sozialhilfebezüger: Die nehmende Hand ist oft aufmüpfiger und unzufriedener als die gebende Hand. Wer empfängt, entwickelt eine Anspruchsmentalität, aber auch eine Hilflosigkeit, die in Frustration mündet. Dabei will ich nicht ausschliessen, dass viele dieser jungen Männer im Alltag Diskriminierung erleben, das ist sicher auch ein Faktor. Die Mischung aus Ohnmacht und Allmachtsfantasien erzeugt die Gewalt, die wir in Berlin gesehen haben.

Mit anderen Worten: Wer Mohammed oder Abdullah heisst, hat weniger Chancen auf einen Job als jemand mit westeuropäischem Namen.

Dazu kommt das Narrativ, das diese Leute zu Hause über Europa hören. Das Problem mit Migrantenkindern aus den Vorstädten gibt es europaweit. Wie im Dezember in Paris, als nach einem Attentat gegen drei Kurden die Vorstädte brannten, oder in Brüssel nach dem marokkanischen WM-Sieg gegen Belgien. Immer wird danach von Jugendgewalt geredet, aber kein einziger Politiker nimmt das Wort Migrantenkinder in den Mund. Auch die meisten Medien nicht.

Warum ist das so?

Weil es sonst Rassismus wäre. Das ist der entscheidende Fehler: Wie kann man ein Problem lösen, wenn man es nicht einmal benennen will?

Und was ist Ihre Lösung?

Wie erwähnt, muss man zuerst das Problem benennen. Danach muss man etwas tun. Aber der Staat hat derzeit keine Handlungsoptionen, weil er sich selbst die Hände gebunden hat.

Wie meinen Sie das?

Es wurden sehr rasch unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen und sogar deutsche Pässe vergeben, ohne sich zu vergewissern, dass diese Menschen sich überhaupt mit ihrer neuen Heimat identifizieren. Es gibt Integrationsangebote, aber keine Gebote.

Reduzieren Sie das Problem nicht zu sehr? In Berlin wurden auch viele Deutsche verhaftet.

Ich sage nicht, dass keine deutschen Jugendlichen dabei waren. Neukölln und Kreuzberg sind sehr linke Berliner Bezirke. Und wir wissen, wie sehr die Verachtung der Polizei unter Linksextremen verbreitet ist. Ich will auch nicht ausschliessen, dass Rechtsextreme dabei waren. Aber: Wenn eine Gruppe junger weisser Deutscher einen Migranten attackiert, thematisieren alle Medien die Herkunft der Täter und der Opfer – zu Recht, denn dann handelt es sich offensichtlich um Rechtsradikalismus. Wenn es aber umgekehrt ist, vertuscht man die Herkunft der Täter und die Dimension der Gewalt.

Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin Berlins, hat einen «Gipfel gegen Jugendgewalt» angekündigt.

Das Gleiche kam nach der Silvesternacht in Köln. Dann herrschte wieder Stille – weil man Angst vor dem Aufstieg der AfD hat. Und mit wem will man überhaupt, wie es so schön heisst, in den Dialog treten? Mit gewaltbereiten Jugendlichen kann man ebenso wenig in den Dialog treten wie mit Neonazis. Man braucht Abschreckung, wir brauchen eine Demokratie mit Zähnen. Wenn wir uns vor Menschen schützen müssen, die bei uns Schutz gesucht haben, ist das eine verkehrte Welt.

Unterschätzen Sie die sozioökonomische Ebene jetzt nicht? Viele Politiker und Experten weisen auf das Problem von Parallelgesellschaften hin und fordern mehr Chancengleichheit.

Was für eine Überraschung! Seit 40 Jahren redet man über die Gefahr der Ghettoisierung und Islamisierung. Aber wie lässt sich ein Problem lösen, wenn man die Kritiker stummschaltet? Es folgt immer die gleiche Relativierung. Die Gefahr liegt dann plötzlich bei Leuten wie Ahmad Mansour oder Seyran Ates, die auf solche Missstände aufmerksam machen. Die gewaltbereiten Jugendlichen werden dann zu Opfern, die man vor Hamed Abdel-Samad schützen muss.

Sie pauschalisieren.

Die meisten Muslime und Flüchtlinge in unserem Land sind friedliche und tüchtige Menschen. Aber es gibt eine gewaltbereite Minderheit, die nicht nur die innere Sicherheit gefährdet, sondern auch das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Ethnien. Wenn wir diese Gruppe kritisieren, ist das kein Generalverdacht gegen Migranten, sondern notwendig, um das Problem zu lösen. Genau, wie die Kritik an Rechtsextremen kein Generalverdacht gegen weisse Deutsche ist.

Sie haben mehrfach den Islam erwähnt. Welche Bedeutung hat die religiöse Kultur für Vorfälle wie in Köln oder Berlin?

Diese Woche erscheint mein neues Buch: «Islam, eine kritische Geschichte». Es handelt davon, wie sich der Islam in Europa ausdehnt, und zwar in unterschiedlichen Ausprägungen. Wir haben sicher die friedlichen, apolitischen Muslime, wir haben junge liberale Muslime, die versuchen, einen Islam für Europa zu entwickeln. Aber es gibt auch einen konservativen, reaktionären politischen Islam, der in Europa immer mächtiger wird. Die Gefahr ist, dass die europäische Politik diesen Islam am stärksten fördert.

Tatsächlich? Das müssen Sie erklären.

Der Staat macht diese Organisationen salonfähig, indem er sie als Partner etabliert und durch Fördergelder noch mächtiger macht. Ein Beispiel ist die türkische Organisation Ditib, die in Deutschland ganz klar politische Ziele verfolgt. Solche Vereine erreichen die Menschen in Moscheen, die von anderen Staaten gelenkt werden, und über Satellitenkanäle, in denen der Westen ständig als Feind des Islams angegriffen wird …

… was die Integration noch stärker behindert?

Durch die Erziehung, die aus dem Nahen Osten und Nordafrika mitgebracht wird, erscheint die westliche Lebensweise – Sex ohne Ehevertrag, Alkoholkonsum, Schweinefleisch – als unsittlich. Die Frau muss zu Hause bleiben oder sich ausser Haus verschleiern, der Mann darf vor der Ehe keinen Geschlechtsverkehr haben. Wenn er mit dieser Prägung keine Arbeit findet, weil er nicht über die sozialen Fähigkeiten verfügt oder schlecht Deutsch spricht, bleiben ihm Frust, eine Menge Testosteron und Wut. Er muss das irgendwie rauslassen. Der Staat hat gegen so was kein Rezept, weil er das Problem falsch diagnostiziert.

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