Kostendebatte ums CO₂-Gesetz
Nichtstun wird teurer

Das CO₂-Gesetz käme die Büezer teuer zu stehen, behaupten die Gegner der Vorlage. Sie vergessen: Der wahre Kostentreiber ist nicht das Gesetz sondern der Klimawandel, der uns Milliarden kostet.
Publiziert: 23.05.2021 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 25.05.2021 um 10:21 Uhr
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Das Eis wird dünn für das CO₂-Gesetz. Wie jüngste Umfragen zeigen, schrumpfte der Vorsprung der Befürworter in den letzten Wochen merklich: Nur noch 50 Prozent der Wähler­innen und Wähler sagen zu der ­Vorlage «Ja» oder «eher Ja».
Foto: keystone-sda.ch
Sven Zaugg

Das Eis wird dünn für das CO₂-Gesetz. Wie jüngste Umfragen zeigen, schrumpfte der Vorsprung der Befürworter in den letzten Wochen merklich: Nur noch 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler sagen zu der Vorlage Ja oder «eher Ja». Und das, obwohl grosse Teile der Wirtschaft, sämtliche Parteien – ausser der SVP – sowie die wichtigsten Verbände hinter der Vorlage stehen.

Nach aussen geben sich die Unterstützer siegessicher. «Wir werden gewinnen», sagt Stefan Batzli, Sprecher des Komitees «Schweizer Wirtschaft für das CO₂-Gesetz». Doch hinter den Kulissen macht sich Nervosität breit. Besonders im Departement von Uvek-Chefin Simonetta Sommaruga schaut man mit grosser Sorge auf die jüngsten Umfrage-Ergebnisse. Denn es steht einiges auf dem Spiel. Oder, wie es Grünen-Präsident Balthasar Glättli formuliert: «Für die Schweiz ist es die wichtigste klimapolitische Vorlage seit Jahrzehnten.»

Bergkantone fürchten um ihr Überleben

Nun steigen auch die Bergkantone in den Abstimmungskampf ein; diese Woche hat sich deren Regierungskonferenz für das CO₂-Gesetz ausgesprochen. Sie tun dies aus reinem Eigeninteresse, denn gerade für die Bergkantone hat der Klimawandel drastische Folgen.

Der Gletscherschwund hat sich beschleunigt. Das Auftauen des Permafrosts bringt Schäden für die Infrastruktur mit sich, die Schutzwälder leiden und können ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Starkniederschläge häufen sich und verursachen vermehrt Hochwasser und Murgänge. Die Folgen: Todesopfer und Millionenschäden.

Trotz dieser teilweise katastrophalen Entwicklungen ziehen sich tiefe klimapolitische Gräben durch die Alpenregionen. So auch vom Goms bis Martigny VS: «Ob die Oberwalliser ein Ja in die Urne legen, ist alles andere als sicher», sagt Roberto Schmidt, Walliser Staatsrat und Präsident der Regierungskonferenz der Gebirgskantone.

Dass sich die Konferenz drei Wochen vor dem Urnengang zu Wort meldet, darf man darum als dringenden Appell an die Bewohner der Bergregion betrachten, am 13.Juni ein Ja in die Urne zu legen und die Vorlage nicht wegen eines maximal zwölf Rappen höheren Benzinpreises abzulehnen.

Unbestritten ist: Der Temperaturanstieg in den Alpen belastet das Infrastruktur-Budget der Bergkantone in höchstem Mass. Roberto Schmidt beziffert die klimabedingten Schäden allein an den Strassen des Wallis auf jährlich 15 Millionen Franken – Tendenz steigend. In seinem Kanton belaufen sich die Ausgaben für Schutzmassnahmen pro Kopf und Jahr bereits heute auf 470 Franken; im landesweiten Durchschnitt sind es lediglich 60 Franken.

Hoffen auf den Klimafond

Um diese Kosten künftig zu decken, hoffen die Bergkantone auf Mittel aus dem Klimafonds, der bei einer Annahme des neuen CO2-Gesetzes eingeführt würde. «Ohne diese finanzielle Hilfe wird es für die Bergkantone immer schwieriger, Massnahmen zu finanzieren, die unsere Gemeinden und Strassen, aber auch die Skigebiete schützen», sagt Staatsrat Schmidt.

Und nicht nur das: Knapp 50 Prozent der Walliser Haushalte heizen noch immer mit fossilen Brennstoffen, die meisten Gebäude wurden vor 1980 gebaut und sind dementsprechend schlecht isoliert. Schmidt: «Ohne den Fonds werden wir den Turnaround zu klimafreundlichem Wohnen nicht schaffen.»

Angesichts dessen wirkt die vom Nein-Komitee losgetretene Kostendebatte über Flugticketabgaben und Benzinpreise fast grotesk. Während Umweltministerin Simonetta Sommaruga von 100 Franken zusätzlicher Kosten pro Jahr und Familie spricht, rechnet das Gegenkomitee um SVP-Nationalrat Christian Imark mit bis zu 1000 Franken und mehr.

Ein stattlicher Betrag. Doch wie genau dieser Kostenbrocken zustande kommt, konnten Imark und seine Partei bislang nicht schlüssig erklären. Dessen ungeachtet haben die Gegner des Gesetzes in Teilen der Gesellschaft die Meinungsführerschaft im Hinblick auf die Kosten erlangt – für den Ausgang der Abstimmung könnte dies entscheidend sein.

Dabei vergisst man oft, wie stark der Klimawandel nicht nur die Bergkantone, sondern Wirtschaft und Infrastruktur im Allgemeinen belastet. Einer, der das genau weiss, ist Jérôme Haegeli, Chefökonom des Rückversicherers Swiss Re.

Die Wirtschaft wird leiden

Das Klima sei dieser Tage das grösste Risiko für die Wirtschaft, betont Haegeli: «Werden keine Gegenmassnahmen ergriffen, droht in den nächsten 30 Jahren ein globaler Temperaturanstieg um mehr als drei Grad Celsius.» Die Schweizer Wirtschaft würde um sechs Prozent schrumpfen.

Eine Wirtschaft, die serbelt, wäre folglich auch für die Büezer schmerzlich – ob in Flims GR oder Schwerzenbach ZH: Sinkt die Wirtschaftsleistung eines Landes, nimmt der Druck auf die Löhne zu. Einer Schweizer Familie bliebe im schlimmsten Fall weniger Geld, um ihre Fixkosten zu decken. Dies hätte einen weitaus grösseren Effekt auf die Kaufkraft der Bevölkerung als Flugticketabgaben oder höhere Benzinpreise – was das Komitee der Gegner verschweigt.

Die ETH Lausanne schätzt in einer Studie, dass sich die Schadenssumme bei einem Temperaturanstieg um zwei bis fünf Grad Celsius im Jahr 2060 auf acht bis zehn Milliarden Franken jährlich belaufen könnte. In diese Rechnung fliessen Einnahmeausfälle in der Landwirtschaft und im Tourismus ein, höhere Versicherungsprämien und Energiepreise sowie tiefere Arbeitsproduktivität und höhere Sterblichkeit.

«Das CO₂-Gesetz ist keine Revolution, es ist ein Minimalziel und eine grosse Chance für die Schweiz», hält Swiss-Re-Ökonom Haegeli fest. «Mit dem Klimafonds werden Innovationen gefördert und neue Wirtschaftszweige erschlossen.»

Gegen das Gesetz gebe es keine stichhaltigen Argumente.

Nicht begeistert, aber doch dafür

Der liberale Think Tank Avenirsuisse unterstützt das CO2-Gesetz, das am 13. Juni zur Abstimmung kommt. Obwohl es Schwächen habe und nicht den liberalen Ideen entspricht, für die Avenirsuisse steht.

Künftig soll nämlich drei Viertel der CO2-Reduktion im Inland stattfinden. «Damit beschneidet sich die Schweiz selbst ihrer Flexibilität», schreibt Avenirsuisse. «Es geht dabei weniger um Sorgen vor den Auswirkungen des Klimawandels als um staatliche Industriepolitik unter einem protektionistischen Deckmantel», lautet das harsche Urteil.

Fehlkonstruktion Flugticketabgabe

Auch bei der Abgabe auf Flugtickets handle es sich um eine «Fehlkonstruktion». Der nationale Flugverkehr falle kaum ins Gewicht. Ausserdem setze die Abgabe falsche Anreize: Wer Langstreckenflüge nicht mehr aus der Schweiz macht, sondern etwa aus Deutschland, Italien oder Frankreich, kann die Abgabe sparen – ökologisch ist der Umweg aber nicht.

Auch der Klimafonds, der mit Geld aus der Flugticketabgabe gespeist werden soll, sei nicht zielführend, so Avenirsuisse. Denn es sei unklar, wofür das Geld genau eingesetzt werde. «So aufgesetzt, dürfte sich der geplante Klimafonds zu einem Selbstbedienungsladen entwickeln, indem gewerbliche Interessengruppen auf den Ausbau von Fördermassnahmen drängen. Doch die Klima-Effizienz pro eingesetztem Franken dürfte gering sein.»

Weil sonst wertvolle Zeit verloren geht

Und trotzdem spricht sich Avenirsuisse für das CO2-Gesetz aus. Auch wenn es sich um eine «Fortführung des helvetischen Klima-Flickwerks» handle. Mit der Totalrevision des CO2-Gesetzes vergebe sich die Schweiz zwar das Potenzial einer effektiveren und effizienteren Klimapolitik. «Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass die Totalrevision einen, wenn auch nicht optimalen, Weg darstellt. Wird die Vorlage abgelehnt, geht wertvolle Zeit verloren», lautet das Fazit von Avenirsuisse. Der Thinktank rät deshalb, die Klimapolitik bald möglich erneut umfassend zu revidieren.

Der liberale Think Tank Avenirsuisse unterstützt das CO2-Gesetz, das am 13. Juni zur Abstimmung kommt. Obwohl es Schwächen habe und nicht den liberalen Ideen entspricht, für die Avenirsuisse steht.

Künftig soll nämlich drei Viertel der CO2-Reduktion im Inland stattfinden. «Damit beschneidet sich die Schweiz selbst ihrer Flexibilität», schreibt Avenirsuisse. «Es geht dabei weniger um Sorgen vor den Auswirkungen des Klimawandels als um staatliche Industriepolitik unter einem protektionistischen Deckmantel», lautet das harsche Urteil.

Fehlkonstruktion Flugticketabgabe

Auch bei der Abgabe auf Flugtickets handle es sich um eine «Fehlkonstruktion». Der nationale Flugverkehr falle kaum ins Gewicht. Ausserdem setze die Abgabe falsche Anreize: Wer Langstreckenflüge nicht mehr aus der Schweiz macht, sondern etwa aus Deutschland, Italien oder Frankreich, kann die Abgabe sparen – ökologisch ist der Umweg aber nicht.

Auch der Klimafonds, der mit Geld aus der Flugticketabgabe gespeist werden soll, sei nicht zielführend, so Avenirsuisse. Denn es sei unklar, wofür das Geld genau eingesetzt werde. «So aufgesetzt, dürfte sich der geplante Klimafonds zu einem Selbstbedienungsladen entwickeln, indem gewerbliche Interessengruppen auf den Ausbau von Fördermassnahmen drängen. Doch die Klima-Effizienz pro eingesetztem Franken dürfte gering sein.»

Weil sonst wertvolle Zeit verloren geht

Und trotzdem spricht sich Avenirsuisse für das CO2-Gesetz aus. Auch wenn es sich um eine «Fortführung des helvetischen Klima-Flickwerks» handle. Mit der Totalrevision des CO2-Gesetzes vergebe sich die Schweiz zwar das Potenzial einer effektiveren und effizienteren Klimapolitik. «Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass die Totalrevision einen, wenn auch nicht optimalen, Weg darstellt. Wird die Vorlage abgelehnt, geht wertvolle Zeit verloren», lautet das Fazit von Avenirsuisse. Der Thinktank rät deshalb, die Klimapolitik bald möglich erneut umfassend zu revidieren.

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