«Sie müssen ihn mit dem Kran aus dem Bett herausnehmen»
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Ihr Vater bekam eine Überdosis:«Sie müssen ihn mit dem Kran aus dem Bett herausnehmen»

Klinik verabreichte demenzkrankem Kurt Müller (76) Überdosis – jetzt sitzt er im Rollstuhl
«Sie haben meinen Vater kaputt gemacht»

Wegen der vielen Medikamente erlitt der demente Kurt Müller aus Luzern in einer Klinik eine Überdosis. Seither sitzt er im Rollstuhl und dämmert nur noch vor sich hin. Von dem fröhlichen Senior ist nur noch eine Hülle übrig geblieben. Jetzt wehrt sich seine Tochter.
Publiziert: 27.02.2023 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2023 um 18:12 Uhr
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Seit einem Aufenthalt in der Psychiatrie ist für den demenzkranken Kurt Müller (76) nichts mehr wie vorher.
Foto: Thomas Meier
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Carla De-VizziRedaktorin News

«Es tut richtig weh.» Angela Müller (52) aus Nebikon LU ist den Tränen nahe, als sie Blick erzählt, was ihrem demenzkranken Vater widerfahren ist. Seit einem Aufenthalt in der Psychiatrie sei nichts mehr wie vorher. Abgesehen von der Demenz sei es ihrem Vater, Kurt Müller (76), gut gegangen. «Er konnte selber laufen, essen und mit mir einkaufen gehen», sagt Angela Müller.

All das gehöre nun aber der Vergangenheit an. «Mein Vater sitzt seit dem Psychiatrie-Aufenthalt im Rollstuhl und muss mit einem Kran aus dem Bett gehievt werden.»

Das Unglück nahm im Juni 2022 seinen Lauf. Kurt Müller, der als gesellig und fröhlich gilt, wird vom Altersheim in Grosswangen LU in die Luzerner Psychiatrie-Klinik St. Urban verlegt. «Da er wegen der Demenz ab und zu unruhig oder auffällig geworden ist, hiess es, man müsse eine medikamentöse Anpassung vornehmen», sagt die Luzernerin.

Elf Tage ins Isolationszimmer weggesperrt

Welchen Horror ihr Vater erleben wird, ahnen Angela Müller und ihre Familie zu diesem Zeitpunkt nicht. Wenige Stunden nach der Einweisung in die Klinik landet Kurt Müller im Isolationszimmer. «Er habe an die Tür gepoltert und geschrien. Da haben sie ihn weggesperrt», berichtet seine Tochter.

«Sie müssen ihn mit dem Kran aus dem Bett herausnehmen»
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Ihr Vater bekam eine Überdosis:«Sie müssen ihn mit dem Kran aus dem Bett herausnehmen»

Es folgen elf düstere Tage im Isolationszimmer, das lediglich mit einer Matratze und einem Schaumstoffwürfel ausgestattet ist. Brille, Uhr, Ehering und Plüschtier werden Müller weggenommen. «Er hatte gar nichts mehr.» Auch Besuch darf der Senior während dieser Zeit nicht empfangen. Nicht einmal mit dem Pflegepersonal hat Kurt Müller Kontakt. «Sie haben ihm das Essen hingestellt und sind dann wieder gegangen. Ich will mir nicht ausdenken, was ihm durch den Kopf gegangen sein muss», so Angela Müller. Das sei jedoch noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs. «Sie haben meinen Vater mit Medikamenten vollgepumpt.»

Sechs Temesta an einem Tag

Wie die Blick vorliegende Krankenakte zeigt, wurden dem Senior täglich mehrere stark sedierende Medikamente verabreicht. «Temesta, Dipiperon, Risperidon, Valium – sie haben meinen Vater fast zu Tode sediert.» An einem einzigen Tag wurden ihm sechs Temesta, ein Benzodiazepin, das beruhigend und angstlösend wirkt, und zwei weitere, «unbekannte Medikamente» gegeben, wie der Gesundheitsakte zu entnehmen ist. «Wie kann es nur sein, dass man nicht weiss, was man ihm gegeben hat?»

An Tag neun der Isolation verschlechtert sich Müllers Zustand plötzlich drastisch. Die Pflegekräfte schlagen Alarm, der Patient sei kaum mehr ansprechbar. Mit Verdacht auf Schlaganfall wird Müller mit der Ambulanz ins Spital gebracht. Als seine Tochter sein Zimmer betritt, trifft sie der Schlag: «Ich habe ihn kaum mehr wiedererkannt.»

Nach ein paar Stunden geben die Ärzte Entwarnung: Müller hat keinen Schlaganfall erlitten. Stattdessen sei es aufgrund der medikamentösen Dosierung mit Dipiperon, Risperidon und Temesta zu einer «Verhaltensstörung» gekommen, wie dem Schreiben des Spitals zu entnehmen ist. «Mein Vater hatte also eine Überdosierung – und die Klinik hat es nicht einmal bemerkt», sagt Angela Müller.

Für Max Giger, Arzt und ehemaliger Präsident der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK), ist der Fall klar: Der Patient sei «quasi mit Medikamenten vollgepumpt worden». Das sagte der Experte im Interview mit dem «Kassensturz». «Er war einfach total sediert», so Giger. Und: Es sei durchaus möglich, dass die Einnahme des Benzodiazepins Temesta beim Patienten gar eine Verstärkung der Unruhe bewirkt hat.

Klinik will sich nicht zum Fall äussern

Zurück in St. Urban, kommt Kurt Müller erneut ins Isolationszimmer. «Ich habe die Welt nicht mehr verstanden», so seine Tochter. Nach zwei Tagen darf ihr Vater endlich wieder zurück ins normale Zimmer.

Die psychiatrische Klinik St. Urban will sich auf Anfrage von Blick nicht zum Fall von Kurt Müller äussern. Wie Daniel Müller, Leiter Stab Direktion, Kommunikation und Marketing, mitteilt, erfolgen die Behandlungen in der Luzerner Psychiatrie AG (Lups) nach den geltenden Standards. «Wir wünschen uns, dass jede Behandlung ohne Zwischenfall verläuft», so Müller weiter. Eine hundertprozentige Sicherheit sei trotz allem leider nie geben.

«Sie haben ihn kaputtgemacht»

Inzwischen ist Kurt Müller wieder in seiner gewohnten Umgebung, im Altersheim in Grosswangen.

Die Zeit in der Klinik hat aber Spuren hinterlassen. Der Demenzkranke ist seither stark traumatisiert. «Immer wenn ich St. Urban sage, zuckt er zusammen und fragt, ob er wieder da hinmuss.» Angela Müller ist überzeugt, dass sie ihrem Vater fünf Jahre seines Lebens gestohlen haben. «Sie haben ihn kaputtgemacht. Das lasse ich nicht einfach auf mir sitzen.»

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