Die Schweiz schwitzt. Bis auf 38 Grad kletterten die Temperaturanzeigen in den vergangenen Tagen! Während sich die Sonnenhungrigen über das Badiwetter freuten, herrscht in vielen Kantonen Waldbrandgefahr. Oberhalb von Locarno kämpft die Tessiner Feuerwehr seit über einer Woche gegen einen Schwelbrand beim Aussichtspunkt Cardada.
Zwar brechen in der Schweiz jedes Jahr etwa hundert Waldbrände aus. Doch mit dem Klimawandel steigt das Risiko sogar im hohen Norden: In Teilen Sibiriens haben Waldbrände seit Jahresbeginn acht Millionen Hektar Wald zerstört, eine Fläche, die fast doppelt so gross ist wie die Schweiz. Temperaturen von fast 40 Grad, fehlende Niederschläge und starker Wind fachten die verheerenden Feuer immer wieder an. Mit dramatischen Folgen: Laut Schätzungen des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus stiegen bislang Rekordmengen von fast 60 Megatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Auftauen von Permafrost beschleunigt Klimawandel
Für Reto Knutti (47) ist klar: «Die extremen klimatischen Ereignissen über die letzten Monate habe sich dort durch den menschengemachten Klimawandel massiv verstärkt.»
SonntagsBlick erreicht den bekanntesten Schweizer Klimaforscher beim Wandern in seiner Heimatregion Gstaad BE. Sorgen bereitet dem ETH-Professor besonders das Auftauen des Permafrosts in Sibirien und anderswo, weil damit im Boden gebundenes CO2 und Methan freigesetzt werden, Gase, die den Klimawandel zusätzlich anheizen. «Wenn dieses Auftauen schneller geht als erwartet, und das passiert gerade, wird das freigesetzte CO2 zusätzlich zur Erwärmung beitragen.»
Auch in unseren Bergen setzt die Hitze dem Permafrost zu. Die Alpen – mit ihren Gletschern eines der heikelsten Ökosysteme überhaupt – verändern ihr Gesicht durch die steigenden Temperaturen in rasantem Tempo. «Wo früher in meiner Kindheit am Geltenhorn bei Lauenen noch Gletscher waren, ist heute praktisch nur noch Geröll», sagt Knutti.
«Klimawandel ändert Gefahrenmuster»
Seit Messbeginn im Jahr 1864 ist die mittlere Temperatur in der Schweiz um etwa 1,9 Grad Celsius gestiegen. Das Auftauen von früher gefrorenen Gebieten, zusammen mit der Zunahme von extremen Niederschlägen, erhöhe das Risiko von Felsstürzen, Murgängen und Hangrutschen, stellt Knutti fest. Dabei sterben Menschen, Infrastruktur wird zerstört. Wie die Seilbahn Fiesch Eggishorn VS, die 2019 wegen eines Absenkens der Station den Betrieb einstellen musste.
In den Bergen hat man gelernt, mit Naturgefahren wie Lawinen, Felsstürzen oder Murgängen zu leben. «Aber durch den Klimawandel ändern sich die Gefahrenmuster», sagt Knutti. «Und wo sich die Risiken ändern, braucht es Anpassungsmassnahmen, um die Auswirkungen auf Mensch und Infrastruktur möglichst klein zu halten.»
«Politik beisst sich Zähne aus»
Um die Gefahren besser zu verstehen, haben der Kanton Graubünden und die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) ein neues Forschungszentrum in Davos GR geschaffen. Ab Januar 2021 erforschen 40 Wissenschaftler gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen des Klimawandels, von Extremereignissen und Naturgefahren im Gebirgsraum.
«Gleichzeitig braucht es noch viel grössere Anstrengungen, um den Ausstoss der Treibhausgase CO2, Methan und Lachgas vor 2050 auf netto null zu bringen», sagt Knutti. «Nur so haben wir eine reale Chance die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu beschränken, so wie wir das in Paris eigentlich beschlossen haben.»
Das erfordere drastische Massnahmen bei Heizungen, in der Industrie, Landwirtschaft, aber vor allem bei Strassenverkehr und Flugreisen. «Doch da beisst sich die Politik die Zähne aus», sagt Knutti.