Jelmoli & Co. schliessen
Übernehmen Metzger und Bäcker an der Bahnhofstrasse?

Die Zürcher Einkaufsmeile müsse sich verändern, sagen Experten. Das schaffe neue Möglichkeiten – zum Beispiel für die Rückkehr von Handwerksbetrieben.
Publiziert: 12.02.2023 um 09:38 Uhr
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Aktualisiert: 16.02.2023 um 11:33 Uhr
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In zwei Jahren ist Schluss: Ende 2024 wird Jelmoli seine Türen schliessen.
Foto: Manuel Geisser
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Camilla AlaborRedaktorin

Nun hat es auch Jelmoli erwischt. Anfang Woche gab das Kaufhaus bekannt, Ende 2024 zu schliessen. Nach dem Aus für Manor bleiben an der Bahnhofstrasse bald nur noch zwei grosse Warenhäuser übrig: Globus und St. Annahof von Coop.

Für den Raumplanungsexperten Donato Acocella (61) kommt das nicht überraschend. Die Schliessung von Kaufhäusern werde weitergehen, sagt der Professor an der Ostschweizer Fachhochschule: «Sie sind ein Überbleibsel des letzten Jahrhunderts.» Nur wenige Kunden machten sich in Zeiten des Onlinehandels noch die Mühe, das zweite oder dritte Obergeschoss zu besuchen.

«Das Konsumverhalten hat sich verändert»
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Jelmoli schliesst die Türen:«Das Konsumverhalten hat sich verändert»

Schluss mit Kommerz?

Für Acocella deutet dies auf einen Epochenwechsel hin. «Die Zeit der hochkommerzialisierten Innenstädte neigt sich dem Ende zu.» Obwohl die typischen Fussgängerzonen in der City erst seit 50 Jahren existierten. «Zuvor waren Innenstädte ein Ort, wo Menschen wohnten, arbeiteten, Gewerbe betrieben; wo Kunst, Kultur und politische Öffentlichkeit stattfanden.»

Immobilien-Experte Donato Scognamiglio (52) stellt Ähnliches fest: Historisch seien die Menschen wegen des Handels und der Märkte in die Stadt gekommen. Nun falle dieser Aspekt zunehmend weg. Der Professor: «Den Marktplatz Stadt als solchen braucht es leider immer weniger.» Es stelle sich die Frage: «Welchen Zweck hat die Stadt heute noch?»

Die Bahnhofstrasse werde sich verändern müssen, meint Scognamiglio. Schon heute besuchten weniger Leute die Innenstadt. Trotz Homeoffice und Onlineshopping ist er jedoch optimistisch: Werde es zu «tötelig», komme irgendwann Widerstand aus der Bevölkerung – und es entstehe Platz für Neues: Pop-up-Stores, innovative Gastro-Angebote oder gar für Handwerksbetriebe.

Tatsächlich hat mit der Bäckerei John Baker bereits ein traditionelles Gewerbe die Rückkehr an die Bahnhofstrasse geschafft. Dies funktioniert aber nur, weil die Immobilien-Eigentümerin ZKB einen reduzierten Mietpreis verlangt.

Wohnraum für die Reichen?

Eine weitere Möglichkeit für die Belebung der Bahnhofstrasse wäre laut Scognamiglio die Umwandlung von Büros in Wohnungen – natürlich Wohnungen im obersten Preissegment, räumt der Immobilien-Fachmann ein. «Aber auch reiche Leute wollen ab und zu in die Beiz.»

Ein entscheidender Aspekt sei überdies die Frage der Mobilität. «Wie kriegen wir die Leute in die Innenstadt – und lassen den Verkehr aussen vor?»

Shoppingmalls wie das Glatt, das als eines der wenigen Einkaufszentren weiterhin gut laufe, hätten die Frage mit Gratisparkplätzen gelöst. Könnte Scognamiglio auf der grünen Wiese eine Stadt entwerfen, würde er deshalb – neben der Erschliessung durch ÖV, Fuss- und Velowege – breitflächig unterirdische Parkhäuser bauen lassen. «Unten kann man parkieren; oben hat man den Charme der historisch belebten Stadt.»

Neue Konzepte

Ein ganz anderer Ansatz ist die Zehn-Minuten-Stadt: Nach diesem Konzept sollen die Menschen alles Nötige in einer Gehdistanz von zehn Minuten erreichen können – egal, ob Laden, Café, Arztpraxis, Kita oder Velowerkstatt. In einigen Quartieren wie dem Breitenrain in Bern oder dem Gebiet um den Idaplatz in Zürich sei das bereits der Fall, sagt Sibylle Wälty (45), Forscherin für Raumentwicklung an der ETH Zürich. «In solchen Quartieren werden zwei Drittel der Distanzen zu Fuss oder mit dem Velo zurückgelegt und keine 15 Prozent mit dem Auto.»

Damit so ein Quartier funktioniert und lokale Läden rentieren, brauche es im Umkreis von 500 Metern mindestens 10'000 Einwohner und 5000 Beschäftigte. Für die Bahnhofstrasse, wo 98 Prozent der Kunden aus grösseren Distanzen anreisen, sei das keine Lösung, räumt Wälty ein – umso mehr aber für Kleinstädte und Stadtquartiere, die ebenfalls mit einem Ladensterben konfrontiert sind.

Was heisst das alles nun in Bezug auf die Bahnhofstrasse? Vielleicht, dass mit der denkbaren Rückkehr des Handwerks die Zukunft der Einkaufsmeile auch ein wenig in ihrer Vergangenheit liegt.

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