Der Verein liegt Dario Cittadini (66) am Herzen. Der Pensionär aus Ludiano TI zeigt auf der Tafel die schweisstreibende Arbeit der Freiwilligen. «Wir haben die alte Waldstrasse aus Steinen hinauf zum Weiler saniert, einen Themenpfad mit Holzskulpturen geschaffen», sagt der Vereinspräsident zu Blick. «Wir haben den Wildwuchs weggeschnitten und Trockenmauern hochgezogen. Letzteres übrigens auch mit Mitteln des Bundes.» Doch das eigentliche Anliegen der «Freunde von Selvapiana» ist der verlassene Weiler gleich oberhalb des Dorfes.
Mitte des 19. Jahrhunderts lebten noch 70 Menschen in Selvapiana TI. Es hatte 52 Häuser, die Hälfte davon wurde einst bewohnt. Der Rest waren Ställe. Es hat eine Kirche, einen Brunnen und Weideland.
«Mein Ur-Ur-Grossvater wurde hier noch getauft. Der Ort ist ein Stück Familiengeschichte», erzählt Dario Cittadini. Seit bald 150 Jahren ist der Ort verlassen. Nach und nach kollabieren die alten Steinhäuser im Bleniotal. Der Verein will den Weiler nun retten.
20'000 Franken für Gutachten und Bauplan
Der Kanton ermöglicht das Bauen auch ausserhalb der Bauzonen dank des sogenannten PUC PEIP, eines Nutzungsplans für Landschaften mit schützenswerten Gebäuden und Anlagen, den es bislang nur im Tessin gibt. Es ist eine ähnliche Situation wie jene auf den Monti di Sciaga, wo die Gemeinde Gambarogno Rustici für einen Franken anbietet, um den Weiler bei Indemini wieder zu beleben. «Als wir 2016 unseren Verein gründeten, liessen wir uns von einer Architektin beraten. Sie sagte, wir erfüllten die Auflagen des PUC PEIPs, also machten wir uns ans Werk», sagt Dario Cittadini.
2018 werden Baugesuche für zwei Rustici eingereicht. «Allein für die nötigen Gutachten und den Bauplan hat unsere Familie 20'000 Franken ausgegeben», sagt Doriana Chiesa (56). Die Tessinerin hat in Selvapiana ein intaktes Rustico, wo einst ihre Schwiegermutter noch den Käse selber machte.
Die einstige, direkt angebaute Scheune ist eingefallen und soll wieder errichtet werden. Das zweite Objekt fügte sich einst in eine Reihe von Häusern, welche die Dorfstrasse säumten. Das Dach ist eingebrochen. Die Fassaden stehen zum Teil noch. Auf einer der Mauern ist ein jahrhundertealtes Fresko zu sehen.
«Unsere Rustici verfallen in der Zwischenzeit immer mehr»
Die Grossgemeinde Serravalle TI und der Kanton geben 2020 grünes Licht für den Wiederaufbau. «Wir hatten uns schon gefreut, da legt das Bundesamt für Raumentwicklung ARE am letzten Tag der Einsprachefrist Rekurs ein», erinnert sich Doriana Chiesa und kann ihre Enttäuschung kaum verbergen.
Der Staatsrat schmettert den Rekurs aus Bern zwar ab, das ARE aber zieht vors kantonale Verwaltungsgericht. Bis heute warten die Selvapiana-Freunde auf ein Urteil. «Und unsere Rustici verfallen in der Zwischenzeit immer mehr», sagt Dario Cittadini.
«Immer nur Njet, das geht doch nicht!»
Es täte ihm leid zu sehen, wie fortgeschritten der Zerfall schon sei, sagt Thomas Kappeler (62) vom ARE zu Blick. Aber nach Bundesrecht könnten verfallene Häuser ausserhalb der Bauzone nicht mehr aufgebaut werden. Ausnahme sei, wenn Ruinen eine störende Lücke bildeten in einem intakten Ortskern. Doch davon könne bei den beiden Bauprojekten in Selvapiana nicht die Rede sein. Der PUC PEIP könne nur zulassen, was Bern erlaube. «Und das Bundesamt muss die Gesetze, die vom Parlament beschlossen wurden, korrekt umsetzen», erklärt Kappeler weiter.
Die Argumentation empfinden Doriana Chiesa und Dario Cittadini als hartherzig. Man müsse doch von Fall zu Fall prüfen und entscheiden, sagen die Rustici-Begeisterten. Sie sind nicht die Einzigen. «Immer nur Njet, Njet, Njet, das geht doch nicht», schimpft Germano Mattei (69) von der Partei Montagna Viva. «Mit dem Verfall der Rustici wird auch die Landschaft unsere Berge verwildern. Und auch die ist doch schützenswert». Ebenfalls sauer ist Grossrat Aron Piezzi (46). «Wir müssen unsere Rustici heute retten. Sonst ist dieses Kulturgut des Tessins endgültig und unwiederbringlich verloren».