Auf den ersten Blick wirkt Indemini TI so wie viele andere Dörfer im Tessin. Häuser aus Gneis mit Steindächern. Kleine Gassen, die sich durch einen schattigen Ortskern winden. Wasser, das wie schon vor Jahrhunderten aus dem Fels in die zahlreichen Brunnen und ins Becken des alten Waschhauses plätschert.
Und doch ist Indemini speziell. Besonders in diesen Tagen macht es von sich reden: Die Grossgemeinde Gambarogno TI will elf Rustici zum Symbolpreis für einen Franken verkaufen. Eine Idee, um den Grenzort wiederzubeleben.
Indemini ist das Stiefkind in der neuen Dorfgemeinschaft Gambarogno. Andere Ortsteile liegen prominent am See oder in der fruchtbaren Magadino-Ebene. Indemini aber hockt hinter dem Neggia-Pass, in einem gefühlten Nirgendwo auf 930 Metern Höhe. «Im Winter liegt oft nur auf dem Pass Schnee. Da muss man manchmal für nur 400 Meter die Ketten anlegen», sagt Orietta Domenighetti (57) zu BLICK. Sie ist Wirtin des einzig verbliebenen Restaurants in Indemini. Früher waren es vier.
«Wir brauchen dringend junge Leute im Ort», so die 57-Jährige. Warum niemand mehr herzieht, kann sie gar nicht verstehen. «Es ist doch ein Paradies hier.»
Der Weg nach Indemini ist mühsam
Knapp 17 Kilometer und 291 Kurven trennen das Dorf vom reichen Lago Maggiore. Für viele Besucher zu mühsam. Dabei hat es viel zu erzählen und bietet viel zu erwandern. Im bergigen Rücken erhebt sich der Monte Tamaro, gegen Süden beginnt Italien – und das dunkle Geheimnis von Indemini.
«Indemini ist ein Steindorf. Hinter jedem Stein stecken Hunderte Schicksale und Geschichten, die bis ins 13. Jahrhundert zurückgehen», erklärt Markus Dicht (71). Der Solothurner Biologe war schon als kleiner Bub hier. Er erinnert sich an bewaffnete Grenzwächter und an Schmuggler, die aus Italien kamen. «Wir Kinder haben sie erlebt, wie sie über den Pass Sant'Anna nach Indemini kamen.»
Gut organisiert seien sie gewesen. «Sie wurden in Gerra Gambarogno beladen, bildeten von Monti di Gerra aus eine Vorhut. Die wurde von den Indeminesern informiert, wer im Grenzhäuschen nahe der Kirche Dienst schob.» Denn so mancher Grenzwächter liess sich gerne schmieren.
Reis im Tausch gegen Tabak, Zucker und Kaffee
Die Schmuggler gibt es nicht mehr. Das Grenzhäuschen wurde umfunktioniert. «Wo früher die Schule war, ist heute eine Herberge», so Giacomo Pedroni (79). Der Indemineser erinnert sich an acht Klassen für 33 Kinder. An die Frauen in schwarzen Röcken mit den Rückenkörben. An das Vieh, das im Ortskern zusammengetrieben und gezählt wurde. An das Wasser aus dem Fels – das beste auf der Welt. Und natürlich an die Schmuggler. «Sie gingen in unsere zwei Läden, holten Tabak, Zucker und Kaffee. Wir bekamen dafür italienischen Reis», sagt Pedroni.
Vor 200 Jahren hätten noch 400 Menschen in Indemini gelebt, erzählt der Patrizier weiter. Heute sind es nur noch 22 feste Bewohner. Wie das Fleckfieber zieht sich der Ausverkauf durch die alten Dorfgassen. Überall hängen Verkaufsschilder.
Viele Erben wollen die Rustici nicht mehr
Schon einmal war Indemini vom Aussterben bedroht. Nach dem Bau der Passstrasse, die 1920 fertiggestellt wurde, zogen die Männer weg. «Sie arbeiteten nördlich des Gotthards auf dem Bau», erzählt der 79-Jährige weiter.
In den späten 70er-Jahren entdeckten Touristen den Ort. Sie kauften die Rustici, richteten sie in alter Tradition wieder her. «Sie liebten die Ruhe, die Natur, das sonnige Tal, doch nun sind die Rustico-Besitzer alt oder tot. Ihre Kinder und Enkel wollen das Erbe nicht mehr antreten.»
Häuser sollen wieder aufgebaut werden
Vis-à-vis von Indemini, auf der anderen Talseite, liegen die Monti di Sciaga in der Sonne. Einst die Sommersiedlung der Indemineser. Elf verfallene Berghäuschen sollen dort bald zum Spottpreis zum Verkauf stehen. Bedingung sei, dass die Käufer sie in einer gewissen Frist wieder aufbauen, sagt Gambarognos Gemeindepräsident Tiziano Ponti.
Doch vorerst sei das «Ein-Stutz-Rustico» nicht mehr als eine Idee. «Wir werden in der Gemeinde darüber abstimmen», so Tiziano Ponti. Und, wer weiss, vielleicht kehren neue Indemineser zurück ins einstige Schmugglernest hinter dem Neggia-Pass.
Anno 1512 nahmen die alten Urner Indemini in die Eidgenossenschaft auf. Der Ort und seine umliegenden Bergkämme sollten fortan als Verteidigungsbollwerk gegen Süden dienen. Da war Indemini schon mehrere Jahrhunderte alt. Seine erste Erwähnung findet das Bergdorf im Jahre 1213. Trotz der Abgeschiedenheit floriert das Dorf und erreicht 1844 mit 444 Einwohnern seine Hochzeit. Viele der über 11 Quadratkilometer Grundbesitz sind in Terrassen angebaut, gesäumt von Trockenmauern, in deren Errichtung die Indemineser wahre Meister waren.
Anno 1512 nahmen die alten Urner Indemini in die Eidgenossenschaft auf. Der Ort und seine umliegenden Bergkämme sollten fortan als Verteidigungsbollwerk gegen Süden dienen. Da war Indemini schon mehrere Jahrhunderte alt. Seine erste Erwähnung findet das Bergdorf im Jahre 1213. Trotz der Abgeschiedenheit floriert das Dorf und erreicht 1844 mit 444 Einwohnern seine Hochzeit. Viele der über 11 Quadratkilometer Grundbesitz sind in Terrassen angebaut, gesäumt von Trockenmauern, in deren Errichtung die Indemineser wahre Meister waren.