Den Wintersportlern schmilzt der Schnee beinahe unter den Füssen weg. In Oberwald VS liegt so wenig Schnee wie noch nie um diese Jahreszeit seit dem Messbeginn im Jahr 1942. Im Tessin brannte heuer bereits mehrfach der Wald, und auch in Norditalien ist die Trockenheit akut. Der Po gleicht einem Rinnsal, Nebenarme des Flusses sind bereits komplett ausgetrocknet – im Februar. Schon wieder ist der Winter viel zu mild, was fatale Folgen haben könnte: Es droht eine Mega-Dürre.
«Die Lage ist ernst, wir haben in der Schweiz einen verbreiteten Wassermangel», sagt Sonia Seneviratne (48), Klima-Expertin an der ETH Zürich. «Die Wahrscheinlichkeit von Sommertrockenheit in der Schweiz hat in den letzten Jahren wegen des durch den Menschen verursachten Klimawandels zugenommen, und der fehlende Schnee im Spätwinter erhöht dieses Risiko noch in diesem Jahr.»
«Normalerweise liegt zu dieser Zeit noch Schnee»
Der «Walliser Bote» titelte vor ein paar Tagen: «Dürre in Europa – und das Wallis als Epizentrum». 22 Zentimeter dick sei die Schneedecke derzeit beim Simplon-Hospiz, zitiert die Zeitung die Messwerte des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung. Das sei fast ein Meter Schnee weniger als im 30-jährigen Durchschnitt Mitte Februar. Im letzten Jahr, das schon sehr trocken war, habe die Schneehöhe bei der Messstation Simplon noch 45 Zentimeter betragen. Für die Gletscher, die wichtigsten Speicher im Wasserschloss Wallis, sei die derzeitige Situation fatal. Der «Walliser Bote» zitiert einen Experten, der einen Schmelzrekord im kommenden Sommer für möglich hält.
In Fiesch VS lachte am Freitag die Sonne, und die 30 Hektar Land von Romeo Zeiter (27) schimmern stellenweise bereits grün und nicht mehr bräunlich. «Normalerweise liegt zu dieser Zeit noch Schnee», so der gelernte Landwirt, der vor zwei Jahren den elterlichen Betrieb übernommen hat. Er reisst ein Büschel trockenes Gras aus und sagt: «Die Lage ist prekär. Schnee oder Regen wäre dringend nötig.»
Nach Dürre 2022: Tiere verkauft und Futter zugekauft
Auch das zuständige Amt des Kantons Wallis schreibt auf Anfrage, dass man dringend auf Niederschläge oder «grössere Schneefälle in höheren Lagen» hoffe. Ansonsten drohen drastische Folgen für die Walliser Landwirtschaftsbetriebe. «Sollte es trocken bleiben, so würde sehr bald Bewässerungsbedarf aktuell werden bei ungenügender Wassermenge», so das Amt. Die Entwicklung der Vegetation würde gehemmt. «Damit würde der erste Heuschnitt nur dort, wo bewässert werden könnte, gut ausfallen und ansonsten sehr unbefriedigend sein. Dieses Futter würde dann im kommenden Winter fehlen.» Die Folge: Die Tierbestände müssten reduziert werden.
Genau dieses Szenario hat Romeo Zeiter bereits im vergangenen Jahr am eigenen Leib erfahren müssen: «Ich musste wegen der Trockenheit drei Kühe verkaufen und Futter zukaufen, weil wir nicht ausreichend Futter produzieren konnten. Das sind natürlich Einbussen.» Ein derart trockenes Jahr wie 2022 habe der gebürtige Bauernsohn zuvor noch nie erlebt: «Es hat immer wieder trockene Jahre gegeben, aber letztes Jahr war es wirklich extrem. Langsam müsste jedem klar sein, dass wir zu unserem Klima Sorge tragen müssen und der Klimawandel Tatsache ist.»
Zu warm: Der Frühling ist zu früh im Anmarsch
Doch der Biobauer mit insgesamt 23 Mutterkühen, 18 Kälbern und 4 Rindern hat trotz allem noch Hoffnung, dass der Sommer gut wird – obwohl der Boden seiner Wiese aufgrund der Trockenheit an manchen Stellen sogar schon Risse aufweist. «Ich versuche, das Beste aus der prekären Situation zu machen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.»
Auch Gabriel Ammann (42), der als Meisterlandwirt einen grossen Betrieb mit 56 Milch- sowie 20 Mutterkühen, 20 Aufzuchtrindern, 30 Schafen und sechs Pferden in Turtmann-Unterems VS führt, will noch nicht den Teufel an die Wand malen. Aber auch er sieht den Ernst der Lage: «Es ist so warm, dass schon jetzt alles langsam grün wird. Da erst Februar ist und es nochmals gefrieren könnte, kann dies gefährlich sein. Denn wenn es dann wachsen sollte, wächst nichts mehr, weil alles gefroren ist.» Am meisten Sorgen mache ihm der fehlende Schnee und damit das Ausbleiben des Schmelzwassers.
«Wasser wird ein zunehmend kostbares Gut»
Der Walliser ist in seiner Wohngemeinde auch gewählter Gemeinderat und in dieser Funktion für das Trinkwasser zuständig. «Wir hatten in den vergangenen Jahren immer wieder im Frühling ein wenig Probleme mit dem Trinkwasser. Für die Bevölkerung hat es gerade so ausgereicht, da wir Gott sei Dank eine konstante Quellenschöpfung hatten», so der SVP-Politiker. «Der Mangel an Trinkwasser ist da, das können wir nicht abstreiten. Wasser wird ein zunehmend kostbares Gut, und in den nächsten Jahren müssen wir uns auf jeden Fall auf die Suche nach neuen Lösungen machen, damit wir einen allfälligen Rückgang unserer Quelle abfedern könnten.»
Schneemangel herrscht derzeit auch in Obergesteln VS. Der zuständige Brunnenmeister Matthias Jost (35): «Wir hatten nur wenig Niederschlag, es ist sehr warm und der Schnee ist vielerorts bereits geschmolzen.» Im Vergleich zum letzten Februar sei es sogar noch trockener: «Letztes Jahr hatte es noch mehr Schnee um diese Zeit, und der ist einfach ein wunderbares Wasserreservoir. Ein kurzer Starkregen im Sommer nützt uns jeweils nur wenig.»
Im Goms sei man halt einfach auf das Quellwasser angewiesen. «Aber Stand jetzt haben wir genügend Trinkwasserreserven. Prekär könnte es eher beim Wasser fürs Bewässern werden, da wir dafür noch keine Lösung haben.» Jost, der seinem Vater in dessen Schafzucht hin und wieder aushilft, meint abschliessend: «Da müssen wir in Zukunft bestimmt über die Bücher.»