Nach drei Jahren Pandemie könnte der Tourismus in Venedig wieder so richtig durchstarten. Zum Karneval im Februar reisten rund 100'000 Gäste an. Doch die staunen nicht nur über prächtige Kostüme. Venedig erlebt gerade ein Jahrhundertniedrigwasser. Viele Kanäle sind zu Rinnsalen verkümmert. Gondeln stecken fest im Schlamm oder schaufeln sich mühsam vorwärts. Rettungsboote und Wasserambulanzen kommen nicht durch. Patienten werden über die Gassen zu Fuss transportiert. Die gesamte Versorgung der Lagunenstadt gerät ins Stocken.
Niedrigwasser legt Fundamente der Palazzi frei
Wie tief der Wasserstand ist, lässt sich auch an den Haltestellen der Vaporetti, dem ÖV Venedigs, erkennen. Zwischen Anlegesteg und Schiffsdeck klaffen gigantische Stufen. Die Wasserbusse sind kaum zu erreichen. Die letzten Tage war die Wasserzirkulation durch das Niedrigwasser derart eingeschränkt, dass die Fundamente der Gebäude, die sonst unter Wasser liegen, freilegt wurden.
In den vergangenen zwei Wochen sank der Pegelstand am Gezeitenpunkt Punta della Salute bis auf minus 65 Zentimeter. Das Niedrigwasser wird noch bis Dienstag halten, so die Prognose der Experten. Ein ähnlich anhaltendes «Acqua bassa» hat es seit 2008 nicht mehr gegeben. Damals hielt das Niedrigwasser fünf Tage lang. Nur zweimal in den vergangenen 100 Jahren sank der Wasserstand auf ein noch tieferes Level: 1934 auf minus 121 und 1989 auf minus 92 Zentimeter.
Hoch- und Niedrigwasser, ein typisches Winterphänomen
Niedrigwasser gehört zu Venedig wie das gefürchtete Hochwasser, das mit guter Regelmässigkeit den Markusplatz überschwemmt. Die Gezeiten mit den grossen Unterschieden zwischen Ebbe und Flut sind ein typisches Winterphänomen in Venedig. Der aktuelle Ausnahmezustand wird unter anderem auf die andauernde Dürre in Norditalien, die einige Flüsse austrocknete sowie auf die Neumondphase und besondere Windverhältnisse zurückgeführt. «Das Hochdruckgebiet bringt polare Temperaturen mit sich, die dieses Phänomen verursachen», sagt Alvise Papa, Direktor des Gezeitenzentrums gegenüber dem «Venedig Magazin».
Nicht nur die touristische Idylle und die Infrastruktur Venedigs sind angeschlagen. Es gibt auch ein zusätzliches Phänomen, das Sorgen bereitet. So beobachtete Claudio Vernier am vergangenen Mittwoch Hunderte von Fischkadavern. «Die toten Fische wurden vom Canale Grande zum Canale della Giudecca getrieben», erklärte der Präsident des Händlerverbandes vom Markusplatz gegenüber italienischen Medien. Ob das mysteriöse Fischsterben mit dem Niedrigwasser zusammenhängt, konnte allerdings noch nicht geklärt werden.