Krieg und Gewalt bestimmten das Leben von Marta Havryshko (37) schon lange, bevor sie aus der Ukraine fliehen musste. Die Historikerin erforscht den Holocaust in der Ukraine und Gewalt gegen Frauen in bewaffneten Konflikten auf der ganzen Welt. In beiden Themen gehört sie zur internationalen Spitze.
Nun sitzt Havryshko in Basel mit einem Kaffee in der Hand auf einer Bank am Ufer des Rheins und sagt: «Als am ersten Kriegstag in Lwiw der Luftalarm losging, kamen mir all diese Geschichten von den Menschen in den Sinn, die 1941 erlebten, wie die deutsche Wehrmacht angriff.» Havryshko widmete ihr berufliches Leben der Aufarbeitung von Kriegsgräueln. Bis der Krieg plötzlich sie und ihre Familie bedrohte.
Fast 90 ukrainische Top-Forscher an Schweizer Unis
In Basel arbeitet Havryshko nun am Historischen Institut der Universität, im Rahmen von «Scholars at Risk» (siehe Box) finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds. Das Programm bietet Wissenschaftlern aus Krisengebieten ein sicheres Umfeld, um ihre Forschungstätigkeit fortzusetzen. Fast 90 ukrainische Spitzenforscher arbeiten deshalb an Schweizer Hochschulen.
Scholars at Risk ist ein Netzwerk mit über 600 Hochschulen in über 50 Ländern und ermöglicht Forschenden die Fortführung ihrer Arbeit in einem sicheren Land. Nach Kriegsausbruch in der Ukraine stampfte der Nationalfonds eine Finanzierung über eine Million Franken aus dem Boden. Das Budget wurde später auf 9 Millionen erhöht: Heute arbeiten so fast 90 ukrainische Wissenschaftler an Schweizer Hochschulen. Sie alle bleiben mindestens ein Jahr. Roger Pfister (51), Vorsitzender der Schweizer Sektion von Scholars at Risk: «Abhängig vom Verlauf des Kriegs werden Nachfolgelösungen wichtig sein.»
Scholars at Risk ist ein Netzwerk mit über 600 Hochschulen in über 50 Ländern und ermöglicht Forschenden die Fortführung ihrer Arbeit in einem sicheren Land. Nach Kriegsausbruch in der Ukraine stampfte der Nationalfonds eine Finanzierung über eine Million Franken aus dem Boden. Das Budget wurde später auf 9 Millionen erhöht: Heute arbeiten so fast 90 ukrainische Wissenschaftler an Schweizer Hochschulen. Sie alle bleiben mindestens ein Jahr. Roger Pfister (51), Vorsitzender der Schweizer Sektion von Scholars at Risk: «Abhängig vom Verlauf des Kriegs werden Nachfolgelösungen wichtig sein.»
Die Entscheidung zur Flucht aus dem westukrainischen Lwiw ist Havryshko schwergefallen. Erst im Januar hatte sie eine prestigeträchtige Stelle angetreten: Sie wurde Direktorin des Instituts für interdisziplinäre Studien an der Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar bei Kiew. Endlich ein gut bezahlter Job. Zuvor hatte sie sich jahrelang als wissenschaftliche Mitarbeiterin an Unis durchgeschlagen, die in der Ukraine mit gerade einmal 100 Franken im Monat entlöhnt werden.
Gehen? Bleiben? Sie haderte. Dann begann Sohn Danylo (9) Anzeichen einer Traumatisierung zu zeigen. Er schlief nicht mehr, ihm war schlecht – und dauernd fragte er: «Mama, wer wird der Ukraine helfen?» Da fasste sie den Entschluss. Sie wollte ihrem Sohn ermöglichen, Kind zu sein. Ein weiterer Grund, der für ihre Flucht sprach: Ihre Forschung macht sie zum Ziel für die Russen. In den seit 2014 von prorussischen Separatisten besetzten Gebieten im Donbass verschwanden Historikerkollegen von Marta Havryshko im Gefängnis: «Einzig weil sie zu politischer Repression während der Sowjetzeit forschten.»
Der Sohn fragt nach dem Vater
Marta Havryshko liess ihren Mann in Lwiw zurück. «Ich musste mich zwischen meinem Sohn und meinem Mann entscheiden.» Die Angst um ihn schnürt ihr manchmal die Luft ab. Auch Sohn Danylo vermisst seinen Papa, der sich vor Kriegsausbruch mehrheitlich um ihn kümmerte, weil Mutter Marta viel unterwegs war.
In Basel hat Sohn Danylo zum ersten Mal wieder gelacht. Ausserdem lebt mittlerweile auch ihr Neffe Ostap (13) hier. Den Grossteil ihres Lohns schickt Havryshko in die Ukraine. Sie sagt: «Ich bin sehr dankbar, dass ich in Basel forschen darf.» Sie arbeitet an der auf Ukraine-Forschung spezialisierten Abteilung Uris (Ukrainian Research in Switzerland) des Historischen Instituts. Und unterrichtet unter anderem Schweizer Studenten. Sie, die ukrainische Holocaust-Spezialistin, die fliehen musste, weil ein russischer Diktator ihre Heimat «denazifizieren» will.