«Wir können den Bewohnern momentan keine Zuversicht geben»
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Christian Gartmann:«Wir können den Bewohnern momentan keine Zuversicht geben»

Pure Verzweiflung in Brienz GR wegen erneuter Evakuierung
«Ich würde lieber unter den Steinen sterben!»

Kommt der Berg oder kommt er nicht? Sicher ist: In Brienz GR sind viele Bürger wütend. Denn: Ihnen droht schon wieder eine Evakuierung. Diese könnte schon bald anstehen. Der Grund: Der Felsschutt bewegt sich jeden Tag 30 Zentimeter weit gegen das Dorf zu.
Publiziert: 11.11.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 11.11.2024 um 10:19 Uhr
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Pietro Lazzara (46) sagt: «Ich würde meine Familie in Sicherheit bringen, selber aber hier bleiben. Ich lasse mir das von den Behörden nicht mehr bieten und würde hier sogar unter den Steinen sterben.»
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Erneute Evakuierung droht Brienz GR nach dem Bergsturz im Juni 2023
  • Viele Bewohner sind wütend und fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen
  • Bis zu 1,2 Millionen Kubikmeter Felsschutt bewegen sich auf das Dorf zu
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Ralph DonghiReporter News

«Nicht schon wieder», sagen sich viele Bewohnerinnen und Bewohner im Bündner Bergdorf Brienz. Nach dem grossen Bergsturz im Juni 2023 droht ihnen nun erneut die Evakuierung. Die Verzweiflung ist gross.

Einer der Betroffenen ist Taxi-Unternehmer Pietro Lazzara (46), Vater von sieben Kindern. Er hat im 2018 ein Gebäude mit Restaurant gemietet, das inzwischen geschlossen ist. Der Gedanke an eine erneute Evakuierung macht ihn wütend: «Ich würde meine Familie in Sicherheit bringen, selber aber hier bleiben. Ich lasse mir das von den Behörden nicht mehr bieten. Und würde lieber unter den Steinen sterben!»

Felsschutt gegen 80 km/h schnell

Laut Experten bewegen sich bis zu 1,2 Millionen Kubikmeter Felsschutt auf das Dorf zu, sie könnten am Ende gegen 80 km/h schnell sein. Der Gemeindeführungsstab bereitet deshalb Notfall-Massnahmen vor.

An einer Informationsveranstaltung am Samstagabend sagte der zuständige Leiter des kantonalen Amts für Militär und Zivilschutz den Betroffenen in Tiefencastel GR: «Bereiten Sie sich bitte umgehend darauf vor.» Es drohe eine Evakuierung von mehreren Monaten.

Brienz wurde zuletzt erst am 12. Mai 2023 evakuiert. In der Nacht auf den 16. Juni 2023 gingen dann 1,2 Millionen Kubikmeter Fels als gewaltiger Schuttstrom ab. Dieser stoppte kurz vor dem Dorf. Anfang Juli 2023 konnten die Menschen wieder in ihre Häuser zurück.

«Das Schwierigste ist diese Ungewissheit»

Umso schwerer wiegt die erneute Unsicherheit, jeden Moment wieder das Zuhause verlassen zu müssen. Wie etwa bei Elisabeth Arpagaus (86): «Es wäre schön, wenn man wüsste, wann man evakuiert wird», sagt die pensionierte Pflegefachfrau zu Blick. «Das Schwierigste ist diese Ungewissheit.»

Die Witwe lebt schon seit bald 60 Jahren hier und hat von ihrem Haus aus einen direkten Blick auf den letzten Felssturz. Gepackt hat sie ihre Siebensachen noch nicht. «Ich nehme auch nicht mehr so viel mit, wie das letzte Mal», sagt sie. «Nur noch das Allerwichtigste.»

Elisabeth Arpagaus möchte danach irgendwann wieder zurück. «Es ist hier ja eigentlich schön», sagt sie. Sie mache sich vielmehr Sorgen um die Zukunft der Familien mit Kindern, die das alles mitmachen müssten.

Drohnenaufnahmen zeigen Ausmass von Felssturz
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Bilder vom Sommer 2023:Drohnenaufnahmen zeigen Ausmass von Felssturz

«Schon vor Jahren wurde Kanton von Gemeinde gewarnt»

Renato Liesch (44) würde bei einer Evakuierung wieder in seine Jagdhütte gehen. Der Werkdienstmitarbeiter hat jedoch eine klare Meinung, wie er Blick sagt: «Schon vor Jahren wurde der Kanton von der Gemeinde wegen diesen Abgängen gewarnt. Doch es wurde nichts getan. Dass wir auf diesem Gebiet leben, ist einfach Pech.»

Der Gemeindepräsident Daniel Albertin versuchte, die Gemüter an der Info-Veranstaltung vom Samstag zu beruhigen. «Sie können auf unsere Solidarität vertrauen», sagte er. Er verwies auf den Bau eines Entwässerungsstollens, der die Landmasse entwässern und so den Druck auf die Rutschungen reduzieren soll. Dennoch musste der Gemeindepräsident sich viel Kritik anhören.

Messungen zeigen, dass sich der oberste Teil der Schutthalde seit der zweiten Septemberhälfte mit zeitweise mehr als 30 Zentimetern pro Tag bewegt. Wie geht es nun weiter? «Im Moment ist das Wetter trocken, und am Berg ist es ruhig. Wir beobachten die Lage aber sehr eng», sagt Christian Gartmann vom Führungsstab der Gemeinde Albula zu Blick. Aber: «Falls es nötig würde, könnten wir auch kurzfristig eine Evakuierung auslösen.»

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