Bald ein Jahr ist es her, als sich Felsmassen oberhalb des Bündner Bergdorfs Brienz lösten und ein Schuttstrom das Dorf nur knapp verschonte. Heute rutschen das Dorf und der Hang dahinter so schnell wie noch nie, aber die Brienzerinnen und Brienzer haben ihre Hoffnung nicht aufgegeben.
Zwei Meter pro Jahr bewegt sich das Messhäuschen bei der Brienzer Kirche aktuell talwärts. So schnell wie noch nie seit Messbeginn, wie der Kommunikationsverantwortliche der zuständigen Gemeinde Albula, Christian Gartmann, auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.
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Schuld ist die grosse Wassermenge in der Landmasse, auf dem das Bergdorf steht. Im letzten Spätsommer, Herbst und Winter waren die Niederschlagsmengen ungewöhnlich hoch und brachten sehr viel Wasser in die Rutschung ein. Aktuell treiben Niederschläge die Pegelstände von Flüssen und Seen in die Höhe. Der Bund warnt am Bodensee vor grosser Hochwassergefahr. Angesichts der Jahreszeit erwarten die Behörden aber eine baldige Beruhigung. «Die ergiebigen Niederschläge der letzten Tage machen sich auch in Brienz bemerkbar», sagt Gartmann auf Anfrage von Blick, hält aber auch fest, dass «anders als im letzten Jahr, aber keine akute Gefahr besteht.» Zwar würden immer wieder Felsbrocken vom Berghang in die riesige Geröllhalde hinter dem Dorf hinunterstürzen, aber sie würden nicht über den Schuttkegel hinausrollen. «Das Leben im Dorf ist ungefährlich», so Gartmann.
Vor einem Jahr, als der Bereich «Insel» abrutschte, hatten die Geschwindigkeiten zuvor exponentiell zugenommen. Dank zahlreicher Überwachungssysteme am «vermutlich best-überwachten Hang Europas» konnten die Behörden die Bevölkerung frühzeitig warnen. Rund einen Monat vor dem Schuttstrom am 15. Juni verliessen alle 84 Brienzerinnen und Brienzer ihre Häuser mit den wichtigsten persönlichen Gegenständen.
Brienz von Schuttstrom nur knapp verfehlt
Wie die damals zwei Millionen Kubikmeter absturzgefährdeten Felsmassen talwärts kommen war zu dem Zeitpunkt noch ungewiss. Die Behörden berechneten drei Szenarien. Am wahrscheinlichsten und harmlosesten seien zahlreiche Felsstürze von einigen Tausend bis mehreren Hunderttausend Kubikmetern, sagten die Verantwortlichen im Frühjahr 2023.
Als halb so wahrscheinlich wurde ein Schuttstrom eingestuft. In einem solchen rutscht das Material langsam aber andauernd ab und kann für grosse Zerstörung sorgen. Am wenigsten wahrscheinlich, aber dennoch nicht ausgeschlossen war ein weitreichender Bergsturz, der das Dorf unter sich begraben hätte.
Schliesslich rutschten am 15. Juni kurz vor Mitternacht 1,2 Millionen Kubikmeter Gesteinsmassen als Schuttstrom ab und türmten sich bis zu 12 Meter auf. Das Dorf verfehlten sie nur knapp. Einzig ein alter Schopf am Hang wurde mitgerissen und zerstört. Der Gemeindepräsident Daniel Albertin sprach von einem Glückstag.
Ein Jahr nach dem glücklichen Ausgang der drohenden Naturkatastrophe ist die Hoffnung der Brienzer Bevölkerung nach wie vor gross. Ein 2,3 Kilometer langer Entwässerungsstollen, der aktuell unter dem Bergdorf gebaut wird, soll den Wasserdruck baldmöglichst senken und dadurch die Rutschung des Dorfs und des Hangs dahinter drastisch reduzieren. «Für das Dorf und seiner Häuser, Strassen und Leitungen ist die schnelle Rutschung ein Problem, denn sie beschädigt die Infrastruktur schleichend», erklärt Gartmann.
Bevölkerung verunsichert
Deshalb der Stollen. «Und er funktioniert», sagte Gartmann im Gespräch mit Keystone-SDA dazu. Messungen aus dem Sondierstollen, der als Versuchsstollen vor dem Ausbau zum Entwässerungsstollen diente, hätten die entwässernde Wirkung bestätigt.
Im Sommer 2027 soll der 40-Millionen-Franken-Stollen fertig sein. Ob er damit noch rechtzeitig das Dorf vor weiteren Naturkatastrophen bewahrt? Die Unsicherheit diesbezüglich sei bei der Bevölkerung da, so Gartmann. Albertin zeigte sich zuversichtlich, dass das Dorf auch in 100 Jahren noch bewohnt sein wird, «aber eine Garantie dafür kann niemand geben», so der Gemeindepräsident.
Alles ruhig in Schwanden GL
Auch in Schwanden GL sorge im letzten Jahr Erdrutsche für Schlagzeilen. Ende August letzten Jahres hatten zwei Rutschungen aus dem Gebiet Wagenrunse das Quartier getroffen. Kurz vor Weihnachten war ein weiteres Mal Erde abgebrochen und verschüttete als Murgang weitere Teile des Quartiers. An 27 Gebäuden entstand Totalschaden. Zwischenzeitlich waren über 100 Personen evakuiert.
Hier haben die Regenfälle der letzten Tage keinen Einfluss auf die Gefahrensituation gehabt. Tina Wintle, Kommunikationsbeauftragte des Ereignis Wagenrunse, erklärt auf Anfrage von Blick: «An der Hanglage hat sich wegen des Wetters in den letzten Tagen nichts verändert.»
Derweil läuft der Bau eines Schutzdamms in der Gefahrenzone. Denn nach wie vor drohen 45'000 Kubikmeter Geröllmassen ins Tal zu rutschen, wie Ruedi Stüssi, Leiter der Naturgefahrenkommission der Gemeinde Glarus Süd Mitte Mai erklärte.
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