Gabi Christoffel (57) aus Flims GR trauert um ihren Hund. Der vierjährige Aiden wurde am Donnerstag vor einer Woche von drei Hirtenhunden angegriffen und verschleppt. Seither fehlt vom Yorkshire Terrier jede Spur. Die Hundebesitzerin glaubt, dass ihr kleiner Vierbeiner getötet und gefressen wurde.
Jetzt ist ein Beweis-Video aufgetaucht, das am Schicksal des kleinen Aiden keine Zweifel lässt. Es zeigt drei Hirtenhunde, die auf einem Weg hintereinanderlaufen. Der erste von ihnen trägt einen kleinen Hund in der Schnauze, der keinerlei Regung zeigt. Er wirkt tot.
Die Aufnahme stammt von Blick-Leser Cedric Häfliger (17) aus Rothenburg LU. Der Biker war am selben Tag wie Gabi Christoffel in Flims unterwegs, als ihm die drei Hunde plötzlich auf seiner Route begegneten. «Ich war mit meiner Familie zuerst auf dem Weg zu einem Wasserfall, da kamen uns die Hunde ein erstes Mal entgegen. Noch mit leeren Schnauzen», sagt er zu Blick.
«Das ist eindeutig mein Hund!»
Auf dem Rückweg ins Tal begegneten ihm die Hunde erneut, die bergaufwärts liefen. «Sie haben uns aus der Ferne gesehen und sind dann langsamer gelaufen, wohl um zuerst abzuchecken, wer wir sind. Als sie erkannt haben, dass wir keine Gefahr darstellen, liefen sie ruhig und zügig an uns vorbei. Ich habe von weitem gesehen, dass sie etwas in der Schnauze halten, dachte aber zuerst an einen Hasen. Erst meine Mutter erkannte den Hund und wusste auch gleich die Rasse – ein Yorkshire Terrier.»
Als Gabi Christoffel von dem Video erfährt, möchte sie die Bilder sehen – trotz der Schmerzen. Blick zeigt ihr die verstörende Aufnahme.
Ihre erste Reaktion: «Das ist eindeutig mein Hund!» Man sehe klar, dass er tot sei. «Er ist so ein feines Hündchen, einmal zuschnappen reicht, und er ist tot.» Der Hirtenhund, der Aiden in der Schnauze trage, sei auch derjenige, der ihn vor ihrer Alphütte gepackt habe.
«Es war also wohl ein blöder Zufall»
Bei den drei Hirtenhunden handelt es sich um Jenna (8), Shila (2) und Ben (2). Sie beschützen normalerweise eine Schafherde weiter oben im Tal. Sie sollen Angreifer wie Wölfe abschrecken, erklärt der Alp- und Hundeverantwortliche Christian Erni (60) gegenüber Blick.
Am Tag, als Aiden angegriffen wurde und verschwand, hatten sich die Hirtenhunde von ihrer Schafherde entfernt, um auf einer anderen Alp eine Kuhherde zu bewachen. Auf dem Rückweg kam das Trio bei der Hütte von Christoffel vorbei. Erni zu Blick: «Dann passierte es. Es war also wohl ein blöder Zufall, dass die Schutzhunde diesen Rückweg nahmen.»
Gabi Christoffel kann diese Worte nach dem neuen Video nicht fassen. «Ich finde es sehr schlimm, und es macht mich wahnsinnig traurig. Es tut mir so leid, dass ich ihn nicht retten konnte. Gleichzeitig macht es mich sehr wütend, dass von einem blöden Zufall und freundlichen Herdenschutzhunden gesprochen wird. Man sieht doch im Video, was passiert ist.»
«Vielleicht hat sich der kleine Hund falsch verhalten»
Christian Erni betrachtet die Sache nüchterner. «Das Video ist offensichtlich. Jenna trägt den kleinen toten Hund davon.» Ob allerdings sie oder einer der anderen Hunde – Ben und Shila – ihn getötet habe, sei unklar.
Erni fügt hinzu: «Für mich sieht es nach einem Konflikt zwischen den Hunden aus. Ich war nicht dabei und kann nicht genau einordnen, was passiert ist. Vielleicht hat sich der kleine Hund falsch verhalten, gekläfft und der Hirtenhund hat sich gewehrt. Es war auf jeden Fall ein blöder Unfall.»
Das sieht Christoffel ganz anders. «Es war für mich ganz klar kein Unfall! Ich sass vor meiner Hütte mit meinen Hunden, und die greifen uns einfach an. Das ist total fahrlässig und daneben!»
«Dass sie zugeschnappt hat, ist sehr ungewöhnlich für sie»
Der Alpverantwortliche bedauert natürlich den Vorfall. «Es tut mir leid für den kleinen Hund. So was soll natürlich nicht passieren.» Und er ergänzt: «Aber ich kann das nicht rückgängig machen.» Er glaube nicht, dass Jenna Aiden gefressen habe. Viel wahrscheinlicher sei für ihn, dass die Hündin den Yorkshire Terrier irgendwo habe liegen lassen. «Die Hunde bekommen genug zu fressen und laufen nicht hungrig in der Gegend herum. Auch an diesem Donnerstagmorgen hatten sie Futter bekommen.»
Nach dem Vorfall letzte Woche fuhr er selbst zur Alp hoch. Dort traf er auch auf Jenna. «Sie kam zusammen mit den anderen beiden Hunden zurück zur Alp. Da trug sie nichts in der Schnauze. Es waren auch keine Haare oder Blut zu sehen. Sie wirkte ausgelaugt und sehr müde. Die drei Hunde sind dann zur Herde rübergelaufen. Alles war normal, wie immer.»
Jenna sei eine erfahrene Hirtenhündin, die seit mehreren Jahren auf der Alp ist. «Sie ist sehr ruhig und ausgeglichen. Dass sie zugeschnappt hat, ist sehr ungewöhnlich für sie», sagt Erni.
«Hirtenhunde sind eine Gefahr!»
Das Frauchen von Aiden hat dazu eine andere Meinung: «Diese Hirtenhunde gehören einfach nicht ins Tal. Sie sind generell eine Gefahr für andere Hunde und auch für Menschen.» Denn selbst wenn konkret diese Hunde von der Alp abgezogen würden, würden dann andere kommen. «Woher haben wir die Gewissheit, dass so etwas nicht nochmals passiert?», fragt sie sich.
Ob Jenna nach dem Vorfall auf der Alp bleibe, ist noch unklar. Der Alpverantwortliche will zuerst noch mit dem Herdenschutzberater sprechen.
Er stellt jedoch klar: «Generell stellen Hirtenhunde keine Gefahr dar für Menschen. Für diese Herdenhunde kann ich meine Hand ins Feuer legen. Auch mit anderen Hunden gab es bisher keine Zwischenfälle. Sie haben immer wieder Kontakt zu anderen Hunden, auch zu kleinen.»
«Wir haben Gewissheit bekommen»
Bis jetzt wurde kein Kadaver des Yorkshire Terriers gefunden. «Trotz aller Logik hegte ich immer noch ein bisschen Hoffnung, dass ich Aiden wiederbekomme. Gleichzeitig war die Angst da, dass er irgendwo halbtot und mit Schmerzen liegen könnte», sagt Christoffel.
Das Video hilft ihr nun wohl dabei, den Verlust besser zu verarbeiten. «Zum Glück haben wir durch das Video Gewissheit bekommen.»
Derweil ermittelt die Polizei von Amtes wegen weiter und rapportiert an die Staatsanwaltschaft. Kantonspolizeisprecherin Anita Senti erklärt: «Die Polizei ermittelt wegen Gefährdung durch Tiere.» Es gehe dabei um Artikel in der Tierschutzverordnung des Bundes.
Für das Bundesamt für Umwelt (Bafu) spielen Herdenschutz- oder Hirtenhunde eine wichtige Rolle, wenn es um die Abwehr von Nutztierschäden geht. Die Hunde würden dafür fachgerecht gezüchtet, ausgebildet, gehalten und eingesetzt.
Der Hund muss in einer Prüfung nachweisen, dass er sich für «den Herdenschutz grundsätzlich eignet, sich durch Menschen führen lässt und ein grundsätzlich gesellschaftskompatibles Wesen aufweist», schreibt das Bafu in einem Vollzugshilfe-Dokument.
Jeder zukünftige Halter muss einen eintägigen theoretischen Einführungskurs absolvieren. «Der Kurs vermittelt das theoretische Rüstzeug zum Verstehen der komplexen rechtlichen Situation bei der Haltung und dem Einsatz» von Hirtenhunden.
Die Hundehalter müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass die Herdenschutzhunde keine Menschen oder Tiere gefährden. Den Hunden sei es aber erlaubt, den öffentlichen Raum frei und ohne Hundehalter zu begehen. Bei Vorfällen würde darum eine erhöhte Rechtssicherheit zum Zug kommen. Anastasia Mamonova
Für das Bundesamt für Umwelt (Bafu) spielen Herdenschutz- oder Hirtenhunde eine wichtige Rolle, wenn es um die Abwehr von Nutztierschäden geht. Die Hunde würden dafür fachgerecht gezüchtet, ausgebildet, gehalten und eingesetzt.
Der Hund muss in einer Prüfung nachweisen, dass er sich für «den Herdenschutz grundsätzlich eignet, sich durch Menschen führen lässt und ein grundsätzlich gesellschaftskompatibles Wesen aufweist», schreibt das Bafu in einem Vollzugshilfe-Dokument.
Jeder zukünftige Halter muss einen eintägigen theoretischen Einführungskurs absolvieren. «Der Kurs vermittelt das theoretische Rüstzeug zum Verstehen der komplexen rechtlichen Situation bei der Haltung und dem Einsatz» von Hirtenhunden.
Die Hundehalter müssen gleichzeitig dafür sorgen, dass die Herdenschutzhunde keine Menschen oder Tiere gefährden. Den Hunden sei es aber erlaubt, den öffentlichen Raum frei und ohne Hundehalter zu begehen. Bei Vorfällen würde darum eine erhöhte Rechtssicherheit zum Zug kommen. Anastasia Mamonova