Diesen Moment wird Gabi Christoffel (57) aus Flims GR nie vergessen: Die Bündnerin sitzt letzten Donnerstag mit den drei Familienhunden vor ihrem Ferienhaus auf der Alp Bargis, als plötzlich drei Herdenschutzhunde auftauchen. Konkret: Anatolische Hirtenhunde.
Die Aufgabe dieser Hunde: eine Schafherde von 900 Tieren zu beschützen. Klar, dass es sich um Hirtenhunde handelt, die Christoffels Trio – Pitbull, Jura-Laufhund, Yorkshire Terrier – gewicht- und kräftemässig massiv überlegen sind. Als die Schutzhunde näher kommen, packt Christoffel ihre drei Wauwaus und will ins Haus flüchten. «Doch Yorkie Aiden entglitt mir», sagt sie zu Blick. «Sofort umzingelten ihn die drei grossen Hunde. Aiden wehrte sich. Yorkies sind tapfere Hunde. Doch er hatte gegen die Riesen keine Chance. Dann packten sie ihn.»
Trio haut samt hilflosem Yorkie ab
Christoffel sieht nur noch, wie einer der Hirtenhunde den kleinen Aiden (4) in seine Schnauze nimmt. Dann haut das Trio samt hilflosem Yorkie ab. «Ich habe einen Zeugen dafür: Ein Nachbar sah noch, wie die Hunde mit meinem Terrier in der Schnauze wegrannten.» Dann seien sie verschwunden, so Christoffel. Seither habe sie ihren Drei-Kilo-Yorkie nicht mehr gesehen.
Später habe ein Wildhüter noch seinen Schweisshund hochgeschickt, um Aidens Fährte aufzunehmen, erklärt die 57-Jährige. «Ein Schweisshund kann verletzte Tiere aufspüren. Doch er hatte keinen Erfolg.» Daher kommt für Christoffel nur ein Vorgang infrage: «Die Herdenschutzhunde haben meinen Aiden getötet und gefressen.»
Anderer Meinung ist da der Alpverantwortliche Christian Erni (60). Die drei involvierten Schutzhunde sind während des Sommers in der Obhut der Hirtin der Schafherde. Erni ist ihr Vorgesetzter. Er sagt zu Blick: «Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Yorkshire von den Schutzhunden gefressen wurde.» Der Yorkshire sei nicht gefunden worden. «De facto: Hund nicht gefunden, daher nicht gestorben. Das Opfer fehlt.» Auch das Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit sagt auf Blick-Anfrage, dass ihm «keine Beweise bekannt» seien, «die für den Tod des Hundes sprechen würden».
«Konflikt zwischen zwei Hundegruppen»
Vielleicht habe sich der Yorkshire versteckt, mutmasst Erni. «Oder er starb durch den Angriff durch die Herdenschutzhunde, wurde dann aber von einem anderen Tier gefressen.»
Der Vorfall vor Christoffels Hütte selbst sei ein «Konflikt zwischen zwei Hundegruppen» gewesen, sagt der Alpverantwortliche. «Frau Christoffel hat ja einen Jagdhund und zwei Terriers. Dann kam es offenbar zum Konflikt. Was aber diesen ausgelöst hat, weiss ich nicht.» Er betont indes, dass die drei involvierten Hunde zu Menschen und Tieren freundlich seien. «Derartige Angriffe gegenüber Hunden sind mir neu – sofern es denn so war.»
Dazu hätten sie alle drei eine Eignungsprüfung bestanden. «Sprich: Sie sind alle geeignet für den Herdenschutz und wurden nicht als gefährlich eingestuft. Sie sind nebst den Schafen sogar mit Kindern und anderen Hunden aufgewachsen.» Zwei von ihnen seien junge Hunde, erst zwei Jahre alt.» Erni: «Shila, ein Weibchen, und Ben, ein Männchen. Für die beiden Jungen ist es die erste Saison auf der Alp.»
Abschreckung vor dem Wolf
Normalerweise beschütze das Trio zusammen mit vier weiteren Hunden eine Schafherde weiter oben im Tal, auf der Alp Culm da Sterls, erklärt Erni. «Sie dienen als Abschreckung für Angreifer – wie etwa Wölfe.» Hundebesitzerin Christoffel merkt hierzu an: «Die Schafalp, die von den Herdenschutzhunden beschützt wird, liegt kilometerweit von meiner Hütte entfernt.»
An besagtem Donnerstag habe eine Hirtin auf einer anderen Alp frühmorgens Fussabdrücke von einem hundeartigen Tier entdeckt, sagt Erni. «Ich kann nicht sagen, ob es Wolfsspuren waren – aber dort hinten halten sich keine Hunde auf. Auf dieser Alp befand sich eine Kuhherde.» Und die drei Schutzhunde, die dann später in den Vorfall mit Frau Christoffels Hunde involviert waren, hätten sich von ihrer Schafherde entfernt, um zum Rechten zu schauen. Erni betont: «Die Herdenschutzhunde haben das gesetzliche Recht, frei rumzulaufen.»
Auf dem Rückweg kam das Trio bei der Hütte von Gabi Christoffel vorbei. Erni: «Dann passierte es. Es war also wohl ein blöder Zufall, dass die Schutzhunde diesen Rückweg nahmen.»
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Polizei: Keine Anzeige eingegangen
Trotzdem: «Ich habe mich bei Frau Christoffel entschuldigt», sagt der Alpverantwortliche. «Ich stehe gerade, falls sie finanzielle Forderungen für den Schaden, also den Verlust des Hundes, geltend macht.»
Ebenfalls Kenntnis vom Fall hat die Bündner Kantonspolizei. Die Halterin Gabi Christoffel habe zwar auf eine Anzeige wegen Sachbeschädigung verzichtet, dennoch ermittelt die Polizei weiter und rapportiert an die Staatsanwaltschaft. «Von Amtes wegen», wie Sprecherin Anita Senti erklärt. «Die Polizei ermittelt wegen Gefährdung durch Tiere.» Es gehe dabei um Artikel in der Tierschutzverordnung des Bundes.