Bundesrat Ueli Maurer (71) zeigt sich besorgt über den Zustand des Landes. Die Covid-Pandemie treffe die Schweiz im Herzen. Insbesondere mit der Spaltung des Landes bekundet der Bundesrat Mühe. Im «Weltwoche Daily»-Gespräch mit Verleger und SVP-Nationalrat Roger Köppel (56) plaudert Maurer dazu aus dem Nähkästchen. Ausgerechnet am Tag, bevor der Bundesrat am Freitag neue Corona-Massnahmen bekannt gibt. Maurer wundert sich über das Corona-Krisenmanagement des Bundesrats, ohne den zuständigen Gesundheitsminister Alain Berset beim Namen zu nennen.
Maurer wird von Parteikollege Köppel vertraulich geduzt und in der Wandelhalle des Bundeshauses erst auf sein Finanzamt angesprochen. Die Schweiz habe «noch nie in so kurzer Zeit so viele Schulden gemacht, auch im Zweiten Weltkrieg nicht», sagt der Finanzminister. Doch das nehme «niemand ernst». Diese «gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit der Verschuldung» beschäftigt Maurer. 35 Milliarden Franken betrage die neue Schuldenlast der Schweiz. Dafür sollen über die nächsten 12 Jahre jährlich etwa drei Milliarden zurückbezahlt werden, etwa drei Prozent des Budgets von 80 Milliarden – «damit wir wieder robust sind für die nächste Krise». Doch man wolle das «Geld weiter ausgeben für Konsum, und das ist falsch», sagt Maurer.
Schnell finden die beiden Herren zum Chefthema, der Corona-Politik des Bundesrates. Im Trychler-Hemd abgebildet zu werden, hatte dem Zürcher Bundesrat ja auch zahlreiche Rückmeldungen beschert. Untergraben tut Maurer das Kollegialitätsprinzip nicht, doch er wählt deutliche Worte: «Was mich beschäftigt: Es gibt Dinge, die man in diesem Land nicht mehr laut sagen kann, nicht mehr laut sagen darf. Man wird sofort in eine Ecke gedrängt. Das passiert mir als Bundesrat, und das passiert Tausenden, Zehntausenden von Leuten auch.»
«Schade für die Schweiz»
Das sei für die Schweiz «sehr gefährlich, wenn man in einer Demokratie nicht mehr sagen darf, was man denkt. Dann ist die Meinungsfreiheit eingeschränkt, und das ist vielleicht die grösste Gefahr dieser Krise, die wir jetzt erleben. Sofort jemanden in eine Ecke zu drängen.» Maurer pocht auf Verständnis und gegenseitigen Respekt. Geimpfte und Ungeimpfte: Alle würden den gleichen Respekt verdienen. «Diese Selbstverständlichkeit wird infrage gestellt», sagt Maurer, «und das ist schade für die Schweiz.»
Ob er sich fürs Jahr 2022 zum Vorsatz genommen habe, jetzt Klartext zu reden, fragt Köppel. «Ich spreche Klartext im Bundesrat, das ist auch mein Gremium», sagt Maurer. Er halte es für wichtig, dass die Schweiz im kommenden Jahr zu einer «offenen Gesprächskultur findet. Dass man wieder sagen darf, was man denkt».
Er erlebe das in seinem Umfeld sehr oft, dass «Leute sich nicht mehr getrauen, dass sie sich vom Staat abkapseln, den Staat nicht mehr ernst nehmen. Das ist das Gefährlichste, das uns passieren kann. Alle würden gebührenden Respekt verdienen». Man könne eine andere Meinung haben, aber sie in eine Ecke zu stellen, das gefährde die Demokratie.
Kritik an Covid-Management des Bundesrats
Roger Köppel schneidet die Spitalbettenkapazitäten an. «Es wird erstaunlicherweise wenig darüber gesprochen. Wir befinden uns in einer Art Kriegsfall mit dem Virus, wird gesagt, da muss die Schweiz doch aufrüsten», meint der Nationalrat.
Der Bundesrat habe in dieser Covid-Krise «alles geregelt», sagt Maurer, «nur die Spitalbetten nicht. In dieser Zeit würde eine Reserve gebraucht. Das müsse im Bundesrat noch diskutiert werden: Wir schreiben offenbar vor, wie viele Personen einer Familie zusammen Weihnachten feiern dürfen, aber zu den Spitalbetten machen wir nichts. Wir bräuchten eine Reserve, um die Spitzen aufzufangen. Die Feuerwehr muss bereit sein – es brennt im Gesundheitswesen, aber wir sind offensichtlich nicht in der Lage, etwas zu unternehmen.»
Maurer: «Um diese Frage hat sich der Bundesrat immer gedrückt. Das ist auch im Gesetz nicht vorgesehen, auch jetzt nicht.» Dabei gehe es der Schweiz noch immer «gut»: «Wir sind satt, sozusagen, wir sind nicht mehr bereit, auf Sonderfälle zu reagieren. Wir sind unflexibel geworden. Risiken schalten wir aus. Risiken, die wir nicht wollen, die schalten wir aus. Wir müssen wieder risikobasiert werden.»
Maurer wünscht sich «mehr Mut»
Maurer fordert, dass Menschen «sich wieder damit abfinden müssen, dass Dinge passieren, die wir nicht beeinflussen können, die wir nicht voraussehen. Darauf müssen wir uns flexibler einstellen.» Maurer wünscht sich auch «mehr Mut», auf solche Vorkommnisse zu reagieren.
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