Filmemacherin kritisiert Le-Corbusier-Ausstellung in Bern
«Eine verpasste Chance»

Das Zentrum Paul Klee zeigt das Schaffen des Architekten Le Corbusier. Was fehlt: Die Kontroverse um seine Fresken in Eileen Grays berühmtem Haus am Meer. Für Regisseurin Beatrice Minger, die diese Geschichte verfilmt hat, wirft das Fragen auf.
Publiziert: 16.02.2025 um 16:42 Uhr
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Aktualisiert: 16.02.2025 um 17:22 Uhr
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Das Haus E.1027 in Roquebrune-Cap-Martin an der Côte d'Azur.
Foto: Andia/Universal Images

Darum gehts

  • Le-Corbusier-Ausstellung in Bern zeigt umfassendes Werk des Architekten
  • Ausgeblendet wird die Kontroverse um Le Corbusiers Eingriff in Eileen Grays Haus E.1027
  • Die Regisseurin des Films «E.1027» bedauert, dass Dialog so nicht stattfinden kann
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Peter AeschlimannRedaktor

Bern feiert zwei grosse Männer. Der eine, ein italienischer Stararchitekt namens Renzo Piano (87), hat vor 20 Jahren im Osten der Stadt, eingeklemmt zwischen Autobahn und Friedhof, ein Museum aus Glas und Beton gebaut – das Zentrum Paul Klee.

Der andere, ebenfalls Architekt, ertrank vor 60 Jahren im azurblauen Meer vor der Küste Südfrankreichs. Genauer gesagt in Roquebrune-Cap-Martin, einem Ort «zum Sterben schön», wie der in der Schweiz geborene Charles-Édouard Jeanneret-Gris (1887–1965), besser bekannt unter seinem Pseudonym «Le Corbusier», einmal geschwärmt hatte.

Und jetzt also, zum 60. Todestag und 20-Jahr-Jubiläum: Le Corbusier im Zentrum Paul Klee. «Die Ordnung der Dinge», heisst die Schau. So weit, so aufgeräumt.

Was beim Besuch sofort auffällt: Der «zum Sterben schöne» Ort, der in der Biografie Corbusiers eine so wichtige Rolle spielt, findet in der Ausstellung, die gemäss Machern «einen umfassenden Überblick über sein gesamtes Schaffen» zeige, keinen Einzug.

Umstrittene «Verschönerungsaktion»

Und hier kommen nun zwei Frauen ins Spiel. Die irische Architektin und Designerin Eileen Gray (1878–1976) und die Zürcher Regisseurin Beatrice Minger (45). Gray baute Ende der 1920er-Jahre in Roquebrune-Cap-Martin das Haus E.1027, ein bloss in seinen Dimensionen diskretes Refugium, das heute als avantgardistisches Meisterwerk gilt.

Mingers gleichnamiger Film, der im letzten Herbst in den Kinos Premiere feierte, erzählt die Geschichte dieses Hauses. Und von der Anziehungskraft, die es auf Le Corbusier ausgeübt haben musste. Seine fast schon an Besessenheit grenzende Faszination mit E.1027 gipfelte in einer grössenwahnsinnigen «Verschönerungsaktion», in der das Universalgenie splitternackt Eileen Grays strahlend weisse Wände mit seinen knallbunten Fresken bemalte.

Weshalb er dies tat, darüber streitet die Kunstwelt bis heute. Was man weiss: Eileen Gray hatte das modernistische Domizil für sich und ihren damaligen Lebensgefährten Jean Badovici (1893–1956), einen rumänischen Architekten und Herausgeber der Zeitschrift «L’Architecture Vivante», entworfen. Der von Gray als stiller Rückzugsort gedachte Fleck Erde verkam indes bald zu einem Treffpunkt von Künstlern aus aller Welt, die Badovici zu sich ins Haus am Meer einlud. Der Hausherrin wurde der Trubel bald zu viel. Sie verliess E.1027 nach zwei Sommern und kehrte nie mehr zurück.

Jahre später war auch Le Corbusier zu Gast in Roquebrune-Cap-Martin – und war danach voll des Lobes für Grays Werk. Er sah darin seine Prinzipien umgesetzt, hielt das Gebäude aber gleichzeitig für unfertig. Auf einer Postkarte teilte er Badovici mit, er habe «unbändige Lust, die Wände zu beschmutzen». Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs setzte Le Corbusier sein Vorhaben in die Tat um.

Als Eileen Grey Fotografien von der brutalen Intervention zu Gesicht bekam, nannte sie den Vorgang einen Akt von «Vandalismus» und forderte Le Corbusier auf, die Wände wieder in ihren ursprünglichen, unbefleckten Zustand zu versetzen. Dieser widersetzte sich und pflanzte stattdessen sein berühmtes Cabanon in den Hang direkt hinter E.1027, eine kleine Holzkonstruktion, die heute zum Uno-Weltkulturerbe gehört.

Le Corbusier, der sich als Maler stets unterschätzt fühlte, meinte, mittels seiner Fresken dem Haus E.1027 eine zusätzliche künstlerische Dimension hinzuzufügen. Er wollte darin gleichsam Kunst und Architektur vereinen. Kritikerinnen monieren jedoch, dass der Mann einem Haus, dessen Skizzen für einmal nicht seiner Feder entstammten, einen Stempel aufdrücken wollte. Dass E.1027 in der Folge oft zu Le Corbusiers architektonischem Œuvre mitgedacht wurde, schien diesen nicht gross zu stören.

Vielsagende Leere

Beatrice Minger und Co-Regisseur Christoph Schaub bringen mit ihrem Film, der den Regie-Preis der Zürcher Filmstiftung gewonnen hat und in vier Kategorien für den Schweizer Filmpreis nominiert ist, gewissermassen eine neue Ordnung in diese Dinge. Sie verschaffen Eileen Gray als Autorin eine Bühne – und kratzen am Denkmal Le Corbusiers. Dass in der grossen Ausstellung in Bern weder Le Corbusiers Fresken aus E.1027 noch das Cabanon, mit dem er in Roquebrune-Cap-Martin Präsenz markierte, thematisiert werden, irritiert Filmemacherin Minger. Gegenüber Blick spricht sie bei einem Rundgang durchs Museum von einer «verpassten Chance».

Die Ausstellung, die sie ansonsten für sehr gelungen hält, zeige fast alles. Le Corbusiers Malereien, die legendäre Unité d’Habitation, die Planstadt Chandigarh oder die Kapelle Notre-Dame-du-Haut. Die Frage müsse deshalb lauten: «Was zeigt sie nicht?» Indem die Kontroverse um Roquebrune-Cap-Martin ausgeblendet werde, brauche man nicht darüber zu diskutieren. Dass dieser Dialog im Jahr 2025 nicht stattfindet, bedauert Minger sehr. Die Geschichte von E.1027 möge in Le Corbusiers gigantischem Werk eine Fussnote sein, ein frühes Beispiel von Cancel Culture. Sie sage aber sehr viel aus über das System des Kulturbetriebs und über die Arbeitsweise des Künstlers Le Corbusier.

Schattenseiten eines Genies

Dass das Universalgenie auch seine dunklen Seiten hatte, kommt im Zentrum Paul Klee durchaus zur Sprache. Schon eingangs der Ausstellung ist auf einer Tafel gleich im ersten Satz die Rede von einer der «prägendsten und umstrittensten» Persönlichkeiten der modernen Architektur. Ausführlich auf diese dunklen Aspekte seines Schaffens gehen dann einige Texte ein, die ganz hinten im Museumssaal, gleich neben dem Notausgang, aufgehängt sind. Überschrift: «Häufig gestellte Fragen». Darin werden Le Corbusiers Sympathie für den Faschismus erklärt oder seine antisemitischen Neigungen. Über sein problematisches Frauenbild, wie es sich in der Geschichte von E.1027 manifestiert, schweigt sich die Ausstellung jedoch aus.

Für die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Bern ist das kein Thema. Sie will sich gegenüber Blick nicht dazu äussern und verweist an Kultur Stadt Bern. Kein Blatt vor den Mund nimmt dafür der Berner Sänger Büne Huber von Patent Ochsner, der seine Liebe zu Eileen Gray auf dem Album «Cut Up» aus dem Jahr 2019 im gleichnamigen Song zum Ausdruck gebracht hatte. Zu Blick sagte Huber im letzten Herbst, Le Corbusier habe Eileen Grays Haus in seiner Selbstüberschätzung «wie ein Hund markiert». Ein Mann okkupiere etwas, was eine Frau erschaffen habe – und niemand widerspreche ihm. Auf seine Karriere bezogen sei Le Corbusier ein «Dräckssiech» gewesen, so Büne Huber.

Museum rechtfertigt sich

Dass Le Corbusiers Wirken im Haus E.1027 oder sein Cabanon den Weg ins Museum nicht gefunden haben, sei nicht dieser Kontroverse geschuldet, sagt Kurator Martin Waldmeier. Es sei halt physikalisch schlicht nicht möglich, diese Fresken in Bern zu zeigen. Angesichts des enormen Werkkatalogs Le Corbusiers habe man sich für einen bestimmten Fokus entscheiden müssen. Im Vordergrund haben dabei Arbeitsprozesse und Werk gestanden – und weniger die Personalie. «Der Film über das Haus am Meer zeigt eine weitere Facette der umstrittenen Persönlichkeit von Le Corbusier», so Waldmeier. «Dass er zeitgleich zur Ausstellung in den Kinos zu sehen ist, ist ein toller Zufall. Er generiert Aufmerksamkeit für die Ausstellung, und die Ausstellung generiert Aufmerksamkeit für den Film.»

Für Regisseurin Beatrice Minger bleibt ein fader Nachgeschmack. Sie findet, dass eine Portion mehr Ambivalenz dem Mythos Le Corbusier keineswegs geschadet hätte. «So aber bleibt die ernüchternde Erkenntnis, dass der Kampf gegen patriarchale Narrative, in denen es um Besitz, Status und Macht geht, noch lange nicht gewonnen ist.»

Die Ausstellung «Le Corbusier. Die Ordnung der Dinge», bis am 22. Juni im Zentrum Paul Klee, Bern 

Der Film «E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer», läuft in Deutschschweizer Kinos. Ab 2. April in der Romandie. 

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