Zunächst sind sie nur ein entferntes Grollen, dann tauchen die Kampfjets am Himmel über Forel FR auf: Eine Formation F/A-18, gestartet vom Militärflugplatz in Payerne VD. Eigentlich müssten die Piloten jetzt abdrehen und Ziele auf dem Neuenburgersee ins Visier nehmen. Die Luftwaffe hatte im Internet Trainingsflüge angekündigt: «Es werden Schiessübungen mit Kampfmunition durchgeführt.» An rund zwanzig Tagen im Februar, von 9 bis 16 Uhr. Doch die Jets verschwinden mit Getöse hinter den Neuenburger Juragipfeln – ignoriert von den Kormoranen, die auf den Zielen im Wasser sitzen und ihre Hälse in die Sonne recken.
Zwei Militärpolizisten patrouillieren über den Steg in der kleinen Bucht von Forel. Durchdiener, schon seit drei Monaten da. Tieffliegende Kampfjets hätten sie in dieser Zeit keine gesehen, sagen sie. Und auch der Bauer, der hier aufgewachsen ist, spricht von ruhigen Zeiten. In den 1960er-Jahren, als er in Forel die Schulbank drückte, hätten Hunter-Jets praktisch das ganze Jahr über von Montag bis Freitag ins Wasser gefeuert. An ruhigen Unterricht sei damals kaum zu denken gewesen, erzählt er. Heute sei es nicht ganz so schlimm: «Wenn der Pilot nett ist und sauber abdreht, hält sich der Lärm in Grenzen.»
Dass es im Naturschutzgebiet Grande Cariçaie in diesem Winter so friedlich zu- und hergeht, hat mit Bundesbern zu tun. Dort befahl Verteidigungsministerin Viola Amherd (60, Mitte) bereits im September 2021 «Übung halt!» Das letzte Mal scharf geschossen wurde in den Neuenburgersee am 17. Februar 2021. Bis zu 2000 Projektile vom Typ Übungspatrone97 feuerten die F/A-18-Piloten an diesem Tag in den Seeboden. Seitdem schweigen die Bordkanonen. «Die VBS-Chefin hat die Armee beauftragt, den Bedarf für Schiesstrainings mit Kampfflugzeugen zu überprüfen», sagt Armeesprecher Daniel Reist. Bis ein Resultat vorliegt, fänden in Forel keine Schiessübungen mit scharfen Geschossen mehr statt.
Munitionsrückstände in knöcheltiefem Wasser
Knapp 5000 Tonnen Munitionsrückstände liegen derzeit im Neuenburgersee. Ein Teil der Geschossreste befindet sich gut sichtbar in Ufernähe, in knöcheltiefem Wasser. Bundesrätin Viola Amherd hat die Armee beauftragt, ein Konzept für eine allfällige Räumung der Munition in Forel zu erarbeiten. Das Papier hätte gemäss VBS schon im Sommer 2022 vorliegen sollen – aber das klappte nicht. «Die Arbeiten nehmen mehr Zeit in Anspruch, da das Problem komplex ist und weitere Abklärungen erfordert», sagt VBS-Sprecherin Mireille Fleury zu SonntagsBlick.
Das Risiko, auf Blindgänger zu stossen, mache eine Räumung anspruchsvoll. Zudem hätten die Arbeiten Auswirkungen auf die aquatische Umwelt, etwa durch aufgewirbelte Sedimente. Fleury: «Wir werden im Laufe des ersten Quartals 2023 festlegen, wie es mit dem Schiessplatz Forel weitergehen soll.»
Ein erster Bericht, den das VBS angefertigt hatte, kam 2021 zum Schluss, dass von den Munitionsrückständen im Neuenburgersee keine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgeht. Die Methodik der Untersuchung sorgte bei den betroffenen Kantonen allerdings für Kritik. Wissenschaftlich nicht haltbar, hiess es. Es seien Proben vermischt und Mittelwerte ohne Aussagekraft verwendet worden.
Eines der bedeutsamsten Umweltschutzgebiete
Das VBS liess seine Analyse daraufhin extern prüfen. In diesem unabhängigen Gutachten, das SonntagsBlick vorliegt, halten Expertinnen des Schweizerischen Zentrums für angewandte Ökotoxikologie fest: «Die Strategie zur Probeentnahme lässt Zweifel aufkommen hinsichtlich der Eignung dieser Studie.»
Die Grande Cariçaie ist eines der bedeutsamsten Umweltschutzgebiete der Schweiz. Zahlreiche seltene oder bedrohte Pflanzen- und Tierarten sind im 3000 Hektar grossen Streifen entlang des Südostufers des Neuenburgersees heimisch, darunter Schnatterenten, Rostgänse oder Pfeifenten. Für Umweltorganisationen ist darum klar, dass der Schiessplatz in Forel nie wieder in Betrieb gehen darf.
Die Neuenburger Ständerätin Céline Vara (38, Grüne) steht in dieser Sache seit über einem Jahr im Austausch mit Bundesrätin Amherd und den Zuständigen der Armee. «Dass die Luftwaffe ihre Schiesstrainings eingestellt hat, werte ich als positives Zeichen», sagt Vara, die dem Zentralvorstand von Pro Natura angehört. Die Politikerin hofft, dass die Armee nach einer Räumung die Schiesstrainings in Forel nicht mehr aufnehmen wird: «Die Armee sorgt sich um ihre Reputation und will nicht als Umweltverschmutzerin in Verruf geraten.»
Armee müsse in der Schweiz trainieren können
Bei der Armee will man indes von einem dauerhaften Schiessstopp in Forel noch nichts wissen. «Aus Sicht der Luftwaffe können wir den Schiessplatz wieder in Betrieb nehmen, sobald das Departement über das weitere Vorgehen entschieden hat», sagt Armeesprecher Daniel Reist. Unterstützung bekommen die Militärs von bürgerlichen Sicherheitspolitikern. So findet der Berner SVP-Nationalrat Erich Hess (41), die Armee müsse die Möglichkeit haben, innerhalb der Schweiz zu trainieren. Nirgendwo sonst als in Forel können die Schweizer Piloten das Schiessen auf bewegliche Ziele mit scharfer Munition üben. «Der Lärm und eine gewisse Umweltverschmutzung müssen dafür in Kauf genommen werden.»
Manche Armeeangehörige sehen im Schiessplatz Forel sogar Vorteile für die Natur. In einem Beitrag auf der Website des Artillerie-Vereins Zofingen heisst es, dass die militärische Nutzung der Grande Cariçaie gut in den Naturschutz eingebettet sei und die Vorteile fürs Militär allfällige Störungen kompensierten: «Hier wie auf anderen Waffenplätzen auch fördert die Armee erfolgreich die Biodiversität.»
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