Dirk Baier (46) leitet das Institut Delinquenz & Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und hat kürzlich eine Arbeit über Staatsverweigerer verfasst. Er sagt: «Es entsteht gerade eine Bewegung, von der man nicht genau weiss, wie gross und wie gefährlich sie ist.» Der Experte macht klar: «Das geht über individuelles Querulantentum hinaus. In der Szene teilt man sich gleiche Narrative, das hat etwas Verbindendes.»
Baier geht von einer vierstelligen Anzahl Staatsverweigerern in der Schweiz aus. Seine Definition: «Ein Staatsverweigerer malt sich einerseits die fundamentale Ablehnung von Rechtsordnung und Staat aus.» Andererseits werde diese Ablehnung mit Verschwörungstheorien begründet - zum Beispiel, dass der Staat nur eine Firma ist.
«Sie befürworten grundsätzlich den Gewalteinsatz»
Die Pandemie dürfte für viele Staatsverweigerer ein Erweckungserlebnis gewesen sein, so Baier: «Das sind Leute, die schon vorher staatskritisch gedacht haben. Und plötzlich wurde dieses gemeinsame Feindbild Staat sehr mächtig, hat Restaurants geschlossen und Massnahmen eingeführt.»
Dass die Staatsverweigerer mit ihrer Haltung schnell auf Probleme im Alltag stossen dürften, tut der Denkweise keinen Abbruch. «Aus Sicht des Staatsverweigerers gehört der Kampf gegen den Staat dazu. Das könnte dieses Denken sogar noch unterstützen.» So entstehe ein Teufelskreis, ein regelrechter Tunnelblick, sagt Baier.
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Unklar ist das Gefahrenpotenzial der Ideologie. Zwar hat es in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland nie eine entsprechende Gewalttat gegeben. Aber: «Unsere Studie hat gezeigt, dass diese Menschen eine positive Einstellung zu Gewalt haben. Sie befürworten grundsätzlich den Gewalteinsatz, um Ziele zu erreichen. Dass dies einmal jemand umsetzt, lässt sich nicht ausschliessen.» Baier relativiert aber auch: «Bis zum effektiven Umsetzen einer Gewalttat ist es noch ein grosser Schritt.»
«Man sollte nicht zurückweichen und Gesetze durchsetzen»
Trotzdem befürwortet er es, dass die Behörden genauer hinschauen. Zwar sei das Thema auf Bundesebene seiner Einschätzung nach noch nicht ganz angekommen. Aber: «Die Polizei hat auf kantonaler Ebene begonnen, die Szene zu beobachten.»
Im Umgang mit den Staatsverweigerern empfiehlt Baier eine konsequente Haltung der Behörden. «Man sollte nicht zurückweichen und die Gesetze durchsetzen.» Seiner Erfahrung nach seien die Schweizer Behörden hier schon relativ konsequent. Andererseits sei es auch Aufgabe der Gesellschaft, Staatsverweigerern die Hand zu reichen: «Wir müssen diese Menschen wieder überzeugen, dass unser demokratisches System der richtige Weg ist.»