Der SVP-Bundesrat und sein «Deep State»
Wie sich Röstis Beamte mit der Autobranche anlegen

Die Schweiz kauft zu wenige Elektrowagen, um das Ziel der Energiestrategie zu erreichen. Darum plant die Behörde des Verkehrsministers rückwirkend Strafzahlungen für die Händler. Ein Gutachten stuft das als widerrechtlich ein. Der Streit eskaliert.
Publiziert: 00:01 Uhr
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2024 am Genfer Autosalon: Bundesrat Rösti war zuvor oberster Autolobbyist.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Autobranche fordert Handeln von Verkehrsminister Rösti wegen CO2-Verordnung
  • Elektroauto-Verkäufe sinken, Branche warnt vor Existenzkrise und Arbeitsplatzabbau
  • Strafzahlungen von bis zu einer halben Milliarde Franken drohen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Am Donnerstag landete im Vorzimmer von Albert Rösti (57) ein Brief. Datiert ist er vom 8. Januar, unterschrieben wurde er von Gerhard Schürmann (64), dem CEO der Emil Frey Gruppe. Die Zeilen des Chefs des zweitgrössten Schweizer Autoimporteurs sind dramatisch. Er beklagt die Notsituation der Branche und wertet dies als «direkte Folge einer jahrelangen Politik auf Bundesebene». Er moniert den fehlenden «Rückenwind» aus Bern – und fordert den Verkehrsminister zum Handeln auf: «Wir zählen kurzfristig auf die Politik und die Verwaltung.» Frei übersetzt heisst das: Wir zählen auf dich, Albert.

Anlass für Schürmanns Schreiben ist die geplante CO2-Verordnung, die seit letztem Sommer in der Vernehmlassung ist. Der Entwurf basiert auf dem wuchtigen Ja der Stimmbevölkerung 2023 zum Klimagesetz und damit zum Netto-Null-Ziel bis 2050. Bis dahin soll die Schweiz nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre ausstossen, als durch natürliche und technische Speicher aufgenommen werden können.

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Ins Visier gerät dabei auch der motorisierte Verkehr. Stein des Anstosses sind die angedrohten Sanktionszahlungen. Damit wollen Röstis Beamte das heimische Automobilgewerbe bestrafen, weil bislang viel weniger Elektrowagen verkauft werden, als die Verwaltung kalkuliert hat. Die Branche fordert mehr Zeit für die Umstellung auf Stromer. Doch die Verwaltung bleibt stur. Man setze bloss den Volkswillen um.

Peter Grünenfelder (57), Präsident des Branchenverbands Auto Schweiz, sagt: «Kauft die Schweizer Bevölkerung nicht wie vom Bund gefordert deutlich mehr Elektrofahrzeuge, drohen jährliche Strafzahlungen von bis zu einer halben Milliarde Franken.» Um dies zu verhindern, müssten dieses Jahr doppelt so viele Elektrowagen wie 2024 veräussert werden. Tatsächlich sank aber der Absatz der reinen E-Wagen 2024 um über 10 Prozent.

Rösti, einstiger Autolobbyist

Der Verwaltungsratspräsident der Emil Frey Gruppe, dessen CEO den Brief verfasst hat, ist der ehemalige Nationalrat und Röstis prominenter Parteikollege Walter Frey (81). Das ist ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, dass Rösti bis zu seinem Amtsantritt als Präsident des Verbands Auto Schweiz der Vorgänger von Peter Grünenfelder als oberster Schweizer Autolobbyist war, von Haus aus also auf Seiten der Automobilbranche steht.

Doch Rösti reitet ein Monster. So jedenfalls dürfte sich der SVP-Magistrat zuweilen fühlen, seit er am 1. Januar 2023 das Infrastrukturdepartement Uvek übernommen hat. Denn das Uvek ist nicht irgendein Ministerium, sondern ein eigenes Reich mit 2500 Mitarbeitenden, jährlichen Ausgaben von über 11 Milliarden Franken und sieben Bundesämtern, die die Geschicke des Landes von der Stromversorgung über den Strassen- und Schienenverkehr bis zur Medienpolitik bestimmen.

Der Knatsch mit dem ARE

Bis zu Röstis Amtsantritt war das Uvek 27 Jahre lang in der Hand von CVP- und SP-Vorgängerinnen. Und weil Personalpolitik Politik ist, sitzen an diversen Schalthebeln Leute, die ihre ganz eigene ideologisch gefärbte Mission verfolgen. Rösti regiert in manchen Dossiers nicht mit, sondern gegen seine eigenen Mitarbeitenden. Das bekam er zuletzt beim Referendum über den Autobahnausbau im November zu spüren. In der heissen Phase des Abstimmungskampfs sickerte aus dem Rösti unterstellten Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) eine umstrittene Studie in die Medien, wonach die Umwelt- und Gesundheitskosten des Autoverkehrs «weit kostspieliger» seien als bislang bekannt. Nach dem Querschuss aus den eigenen Reihen kam die Mitteilung, dass ARE-Direktorin Maria Lezzi (61), die einst von Ex-Uvek-Vorsteher Moritz Leuenberger (78) zum Uvek geholt wurde, per September ihren Posten räumen wird.

Im vorliegenden Streit um die Regulierung der Autowirtschaft ist das Bundesamt für Energie (BFE) zuständig. Geleitet wird es von Benoît Revaz (52). Der Walliser war einst beim Stromkonzern Alpiq, ehe ihn die damalige Uvek-Chefin Doris Leuthard (61) zum BFE-Direktor machte. Zwar fährt der Chefbeamte privat selber einen Verbrenner, wie er zumindest noch 2022 in der «Schweizer Illustrierten» einräumte: «Ich habe einen Camper mit einem Verbrennungsmotor, aber mit einem Solarpanel auf dem Dach.» Doch bei den helvetischen Autohändlern kennen die BFE-Leute keine Gnade – schon dieses Jahr müsste eigentlich die Hälfte der Neuwagenflotte aus Elektrowagen bestehen.

Am 16. Dezember kam es gemäss Blick-Recherchen zum Spitzentreffen mit Uvek-Chef Rösti, der BFE-Spitze und Vertretern der Autobranche. Im Gespräch blieb das Bundesamt hart und stellte sich gegen die Wünsche der Wirtschaft. Und Autofan Rösti befindet sich in der Zwickmühle.

Die Versäumnisse der Politik

Der Kern des Problems: Die Wirklichkeit ist weit von der Utopie aus Bundesbern entfernt. Der Anteil der Elektromobilität lag Ende 2024 bei den neu zugelassenen Fahrzeugen gerade mal bei 28 Prozent. Die Quote stagniert. Das liegt unter anderem daran, dass die europäische Autoindustrie den Trend verschlafen hat. Mercedes liess seine besten IT-Entwickler ziehen, die heute beim Tesla-Konzern von Elon Musk (53) tätig sind. Und China ist drauf und dran, seinen Strassenverkehr vollends vom Erdöl abzukoppeln. Verantwortlich sind aber auch die Versäumnisse der schweizerischen Verkehrspolitik. Die bürgerliche Mehrheit stand bei der ökologischen Umstellung auf die Bremse. Konsequenz: Das Netz an Ladestationen ist viel zu löchrig, und wer günstig ein Auto kaufen will, ist mit einem Benziner tendenziell immer noch besser bedient. Es fehlen hierzulande, anders als etwa in Skandinavien oder in Ostasien, schlicht die Anreize.

Nun will Röstis Amtschef Benoît Revaz den Schweizer Markt für Automobilisten mit der Brechstange ändern – und droht den Verkäufern mit happigen Strafzahlungen, die rückwirkend per 1. Januar 2025 gelten sollen.

Für das ohnehin schon kriselnde Autogewerbe ist dieses Dekret ein Schlag in die Magengrube – solche Mehrkosten können nicht bloss auf die Käuferinnen und Käufer abgewälzt werden. Womit die nach eigenen Angaben drittgrösste Schweizer Importwirtschaft massiv geschwächt würde. Mit Margen, die punktuell gegen null sinken, würde diese Entwicklung für einzelne Unternehmen existenzbedrohende Ausmasse annehmen.

Warnung vor «Garagensterben»

Hubert Waeber (63) ist bekannt als Präsident des Eishockeyklubs HC Fribourg-Gottéron, beruflich betreibt er zwölf Garagen in Bulle FR, Freiburg und Biel BE mit 160 Angestellten. «Persönlich bin ich ein Fan von Elektroautos. Sie haben ein hohes Drehmoment, sind leise und gut zu fahren», sagt er. Doch sei die Infrastruktur im Land «absolut nicht genügend, auch in den nächsten drei, vier Jahren noch nicht.» Allein für seine Angestellten, wenn die alle ein E-Auto fahren würden, müsste er zwölf Ladestationen pro Betrieb haben. Er sei «nicht gegen strengere Normen», wie er betont; der Umwelt müsse man Sorge tragen. «Doch das Tempo geht nicht.»

Schlimmer noch sei, dass die ersten Leasing-Rückläufer von E-Autos mit zu hohen Restwerten zurückkommen und diese nur mit hohen Verlusten verkauft werden können. Die Händler bringen die Wagen nicht los. «Die Lager sind überstockt, das kostet uns Zinsen. Der Ertrag und die Margen gehen zurück.» Viele würden heute schon von der Substanz leben. Waeber warnt vor einem «Garagensterben». Und seine Lösung? «Tiefere Bussen, keine schärferen Regeln als die EU und mehr Zeit.»

Umstrittener «Swiss Finish»

Auto-Präsident Grünenfelder sagt: «Damit stürzt man die Schweizer Autowirtschaft in eine Existenzkrise, eine rentable Geschäftstätigkeit wird so staatlich quasi verunmöglicht.» Er redet von einer «behördlichen Willkür», die «die gesamte Schweizer Autowirtschaft mit über 100'000 Arbeitsplätzen und mehr als 4000 Unternehmen in der Wettbewerbsfähigkeit massiv einschränken» würde. Grünenfelder warnt vor einem «Arbeitsplatzabbau von Tausenden von Stellen», von einer «Ausdünnung des Händlernetzes» und der Aufgabe von Garagenbetrieben.

Dazu kommt: Das BFE möchte in einzelnen Punkten noch schärfere Regeln als die EU. Der «Swiss Finish» soll zum Beispiel bei Lieferwagen Strafen von rund 15’000 Franken nach sich ziehen, was einem Drittel des Kaufpreises entspräche.

Das Vorgehen von Röstis Energiebehörde veranlasste die Autobranche dazu, bei HSG-Rechtsprofessor Peter Hettich (50) ein Gutachten erstellen zu lassen. Nun liesse sich dieses als Parteigutachten verunglimpfen, doch gehört der Jurist zweifellos zu den Koryphäen im Bereich Öffentliches Wirtschaftsrecht. Hettich kommt im 102-seitigen Bericht, der Blick vorliegt, zu einem differenzierteren Befund als die Autolobby. In manchen Punkten allerdings geht er mit der Praxis des BFE hart ins Gericht: Rückwirkend eine Busse oder Steuer zu erheben, sei in diesem Fall illegal. «Da kein Referendum zustande kommt, besteht weder für die Änderung des CO2-Gesetzes noch für die Änderungen der CO2-Verordnung eine gesetzliche Grundlage», konstatiert der Professor. Und: Anders als vom BFE behauptet, sieht Hettich durchaus Spielraum beim Erlass von Richtwerten. Überdies würde der «Swiss Finish» dem Willen des Parlaments widersprechen.

Beim Bundesamt für Energie will man die Sache nicht öffentlich kommentieren. «Derzeit läuft die Auswertung der Vernehmlassung. Wie üblich wird nun aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen geprüft, ob und wie der Vernehmlassungsentwurf der Verordnung angepasst werden soll», teilt die Mediensprecherin mit. «Ebenfalls wie üblich geben wir vor dem Bundesratsentscheid keine Kommentare zu Aussagen zum Vernehmlassungsentwurf ab.»

Letztlich werde der Bundesrat über die Ausgestaltung der Verordnung entscheiden. Spätestens dann muss sich Rösti festlegen. Nach Blick-Informationen haben sich neben der Emil Frey Gruppe noch weitere bei ihm gemeldet und dieselbe Forderung erhoben, darunter die Amag-Gruppe.

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