Céline M.* kam in China zur Welt und wuchs als Tochter eines Professors in Japan und Kanada auf. Seit vier Jahren lebt die Übersetzerin in der Schweiz. Einem Land, in dem fast alles fast immer funktioniert. Ausser bei Fällen, die im System nicht vorgesehen sind. Wie bei Céline M.
Im vergangenen Jahr wurde sie Mutter – es war der Startschuss zu einem regelrechten Hürdenlauf. Céline M. musste feststellen: Ihr kanadischer Pass und die Aufenthaltsbewilligung reichen nicht aus, um die Geburt ihrer Tochter einzutragen.
Kein Dokument ihrer Geburt
Wenn Schweizer ein Kind bekommen, erhalten sie innerhalb weniger Tage eine Geburtsurkunde. Bei Ausländern verlangen die Behörden zusätzliche Angaben: Die Eltern müssen zuerst ihre eigene Geburtsurkunde einreichen, die nicht älter als sechs Monate sein soll. Erst dann wird das Kind von den Zivilstandsbehörden erfasst.
Nur: Céline M. hat kein solches Dokument. «Ich wurde in einem ländlichen Teil Chinas geboren», erklärt sie. «Geburtsurkunden gab es damals nicht.»
Gemeinde beharrt auf Papier
Céline M. teilte den Sachverhalt ihrer Gemeinde mit. Dort sei man darauf nicht eingegangen, erzählt M. «Man sagte mir nur: ‹Wir brauchen Ihre Geburtsurkunde.›»
M. wusste nicht, was tun. Ihre Eltern leben im Ausland. Die Ärzte und Hebammen, die sie zur Welt gebracht hatten, arbeiten längst nicht mehr. «Es gibt niemanden vor Ort, der meine Geburt bezeugen kann», sagt M.
Sie war verzweifelt, fühlte sich alleingelassen. Auch ihr Partner machte ihr wegen der fehlenden Geburtsurkunde Vorwürfe.
Urkunde nur gegen Geld
M. suchte Hilfe bei einer Verwandten, die noch in China lebt. «Sie bestach die Ärzte in meinem Geburtsspital, damit sie eine Geburtsurkunde ausstellen.» Diese sei natürlich wertlos. «Aber offenbar haben die Behörden lieber ein falsches Dokument, als eine Lösung zu suchen.»
Der Schweizer Botschaft in Peking sei bekannt, dass manche Chinesen keine Geburtsurkunde hätten. «Trotzdem bestanden auch sie darauf.»
Céline M. ist mit ihrem Fall nicht allein. Viele Ausländer haben Schwierigkeiten, von der Schweiz aus eine aktuelle Geburtsurkunde aufzutreiben.
Das gilt besonders für jene, die in Asien oder Afrika zur Welt gekommen sind. Dort kann man eine Urkunde selten per Klick bestellen. Hinzu kommt: Die Schweizer Verwaltung hat teils eigenartige Methoden, um Geburtsurkunden zu verifizieren. Diese Erfahrung hat Kaira T.* (35) gemacht.
«Wir dachten, das sei ein Trickbetrüger»
Die Inderin lebt seit sieben Jahren in der Schweiz, arbeitet als IT-Expertin und brachte letztes Jahr eine Tochter zur Welt. Auch sie brauchte eine aktuelle Geburtsurkunde, um ihr Baby eintragen zu lassen.
Die Eltern von T., die noch in Indien wohnen, schickten ihr eine aktuelle Geburtsurkunde. Doch damit begannen die Schwierigkeiten erst.
Denn die Gemeinde teilte T. mit, sie müsse die Urkunde von der Schweizer Botschaft in Indien beglaubigen lassen. Also schickte Kaira T. das Dokument zurück nach Indien. «Eines Tages rief mich mein Vater an: Ein Fremder habe ihn per Whatsapp kontaktiert und gesagt, er wolle ihn im Auftrag der Schweizer Botschaft treffen. Zuerst dachten wir, es handle sich um einen Trickbetrüger.»
Als der Herr – der tatsächlich von der Schweizer Botschaft geschickt wurde – bei T.s Eltern auftauchte, wollte er die Hochzeitsfotos von T. und ihrem Ehemann sehen, liess sich von T.s Eltern zeigen, wo T. in die Schule gegangen war, und inspizierte die Dokumente von T.s Bruder.
«Es war extrem unangenehm: Da verlangte ein Fremder Zutritt zum Haus meiner Eltern, wollte persönliche Fotos und gar die ID meines Bruders sehen», sagt T. «Meine Eltern fühlten sich in ihrer Privatsphäre verletzt.»
Schmiergeld gefordert
Der Höhepunkt aber sei gewesen, dass der Herr für seine «Ausgaben» ein Bestechungsgeld verlangt habe. «Da tun die Schweizer Behörden so, als ob diese Verifizierung so wichtig sei – und dann schicken sie jemanden, der seinen Entscheid von Schmiergeld abhängig macht?» T. ist immer noch empört, als sie davon erzählt.
Fake-Dokumente und korrupte Handlanger: Die Massstäbe des Schweizer Rechtssystems kollidieren mit der Realität im Ausland. Dabei gibt die Zivilstandsverordnung den Gemeinden die Möglichkeit, von einer aktuellen Geburtsurkunde abzusehen, falls dessen Beschaffung «unzumutbar» ist. Dafür müssen sie bei der kantonalen Aufsichtsbehörde eine entsprechende Bewilligung einholen.
Hohes Risiko von Fälschungen
Allerdings lässt der Fall von Céline M. und weiteren Betroffenen, mit denen SonntagsBlick sprach, den Schluss zu: Die Zivilstandsbeamten nutzen diesen Spielraum oft sehr zurückhaltend. Auch bei Personen aus Bürgerkriegsländern wie Jemen halten manche Gemeinden die Beschaffung einer Geburtsurkunde für «zumutbar».
Das Aussendepartement (EDA) wiederum begründet die Praxis, offizielle Dokumente wie im Fall von Kaira T. ein zweites Mal zu überprüfen, mit dem Risiko von Fälschungen. Dieses sei in gewissen Staaten «erfahrungsgemäss sehr hoch». In solchen Ländern werde eine Vertrauensperson mit der Überprüfung beauftragt, so das EDA weiter. Dazu gehöre auch, das «soziale Umfeld» zu prüfen oder nahe Verwandte zu befragen.
EDA rät, nicht zu zahlen
Zu den Korruptionsvorwürfen, die T. erhebt, äussert sich das EDA nicht konkret. Man nehme diese «sehr ernst», heisst es nur. Zudem müssten die Betroffenen eine allfällige Zahlung «verweigern und der Schweizer Vertretung melden».
Zum Fall von Céline M. teilt das Aussendepartement mit, die Schweizer Botschaft in Peking habe «keine Kenntnis vom geschilderten Fall».
Bundesrat sieht kein Handlungsbedarf
Politisch waren die Schwierigkeiten ausländischer Eltern, eine Geburtsurkunde zu beschaffen, schon einmal Thema. In einem Bericht von 2009 zur «Beurkundung der Geburt ausländischer Kinder» schreibt der Bundesrat, «dass es sich bei den Negativbeispielen betreffend die Beurkundung (…) zahlenmässig um isolierte Einzelfälle handelt». Handlungsbedarf, so die implizite Schlussfolgerung, bestehe nicht.
Die Gespräche mit Kaira T. und Céline M. zeichnen ein anderes Bild. Die Hürden, um das eigene Kind zu registrieren, seien im Freundeskreis ein grosses Thema, sagt T. «Ich kenne zahlreiche Mütter und Väter, die damit zu kämpfen hatten.» Manche hätten ein Jahr warten müssen, bis ihr Kind offiziell existierte. «Ein Jahr. Das kann ich nicht verstehen.»
* Namen geändert
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