Eine Berliner Badi beschäftigt ganz Deutschland. Vor zwei Wochen mussten Polizisten das Columbiabad in Neukölln räumen, weil Jugendliche randalierten, herumpöbelten und Bademeister bedrohten. Seither gilt in allen Berliner Freibädern Ausweispflicht. Und in der Schweiz? Was müssen Badmeisterinnen und Badmeister hier aushalten?
Berlin ist auch hier ein Thema – jedoch in Form von Memes. Roman Lepori (56) zückt sein Handy und zeigt ein Bild aus einem Chat: Ein Mann im Tauchanzug hält ein Sturmgewehr, darunter der Text: «Badmeister in deutschen Schwimmbädern. Voraussetzungen: Nahkampfausbildung; Fremdsprachenkenntnisse.»
Lepori, Typ Freigeist mit Hang zum Philosophieren, ist Herr über die zweitgrösste Badi der Schweiz, das Freibad Allenmoos in Zürich-Unterstrass, von allen «Möösli» genannt. Lepori erscheint im gelben Tenue der Zürcher Badmeister, mit Baywatch-roten Flipflops, in denen er auch schon den Karakoram Highway bis auf 4800 m ü. M. gelaufen ist. Er sagt: «Deutschland ist weit weg für uns.»
Am Donnerstagmorgen ist es ruhig, ein Bildschirm an der Kasse zeigt die aktuelle Besucherzahl: 93. An heissen Tagen sind zu dieser Zeit bereits über 1000 Leute hier, an Spitzentagen wie sonntags vor zwei Wochen können es bis zu 7000 sein.
Dann seien sie zu siebt unterwegs, sagt Lepori. Und dennoch ist es stressig. «Das Wetter bestimmt unsere Gangart.» Ein Spitzentag ist es, wenn es richtig heiss ist. Nicht 30, sondern 34, 35 oder 36 Grad. Dann zählt Lepori bis zu 20'000 Schritte auf seinem Zähler.
«Schweiz ist nicht gemacht für 30 Grad»
Lepori weiss: je heisser, desto konfliktreicher. «Der Schweizer ist nicht gemacht für 30 Grad plus.» Die Empfindlichkeit nehme zu, die Frustrationstoleranz ab.
Dass die Hitze uns zu Kopf steigt, ist wissenschaftlich belegt. Eine Analyse der Hamburger Polizei beispielsweise zeigte einen deutlichen Zusammenhang zwischen Wetter und Kriminalität: mehr Sonne, mehr Gewalt.
Schlägereien, Ehestreitigkeiten, Familiendramen – Lepori hat in den 23 Jahren als Badmeister schon alles erlebt. Einmal pro Monat muss er deswegen eine Ambulanz aufbieten, dann kommt es auch zur Anzeige. Die Polizei habe man diese Saison dreimal alarmieren müssen.
Einmal, erzählt Lepori, sei ein Vater mit einem Töff vorgefahren und mit erhobener Faust auf ihn zugeschritten. Lepori hatte dessen Sohn zuvor der Badi verwiesen. Es kam zu einem Handgemenge, andere gingen dazwischen – bevor die Polizei eintraf, flüchtete der Mann. Lepori hatte sich das Nummernschild notiert und erfuhr vom Polizisten, dass er sich eben einem Mitglied einer Rockergruppe entgegengestellt hatte.
Prügeleien versucht Lepori zu verhindern, er hat einen Gewalt- und Präventionskurs besucht. Geht es nicht mehr, schmeisse man die Prügelnden raus.
Halbstarke, die dumme Sprüche klopfen und vom Beckenrand ins Wasser springen, kennt auch Daniel Keller (56), Badmeister im Gartenbad Eglisee in Basel gut. Vor allem Jugendliche, die Grenzen ausloten, muss er im Auge behalten. Dafür hat er aber Verständnis: «Wir waren als Teenager ja nicht anders.»
Im Eglisee gibt es Badegäste, die sich trotz Aufforderung weigern, das Bad zu verlassen. «Da mussten wir auch schon die Polizei rufen.» Gut sei, dass in Basel Alkohol in öffentlichen Bädern verboten sei. Wenn das Kassenpersonal merke, dass jemand betrunken ist, werde die Person gar nicht erst reingelassen. An Spitzentagen mit 3500 Eintritten sorgt zusätzlich Sicherheitspersonal am Eingang für Ordnung. «Damit die Leute normal anstehen und sich normal verhalten.»
Böötler gegen Badegäste
Im Marzilibad an der Aare in Bern, einer der grössten Schweizer Badis, kam es Mitte Juni zu einer Schlägerei. Eine Gruppe von Böötlern und Badegästen stritt sich, der Zwist artete aus, am Schluss prügelten sich etwa zehn Personen. Die Polizei musste ausrücken.
Das sei die «absolute Ausnahme», sagt Nico Kinzl (26), braun gebrannter Psychologie-Student und seit fünf Jahren Badmeister im Marzili. Bedroht wurde aber auch er schon: «Ein Mann hatte sein Velo unerlaubterweise auf unseren Parkplätzen abgestellt. Als ich ihn darauf hinwies, begann er mich zu beleidigen und meinte irgendwann vielsagend, er sei Schweizer Meister im Thaiboxen.»
Badmeister, das merkt man in den Gesprächen, sind heute nicht nur Sozialarbeiter – sondern vor allem Putzkräfte. «Wir müssen ständig etwas putzen: das Becken, den Fussweg, die technischen Anlagen», sagt der Zürcher Badmeister Lepori.
Kinzl aus Bern: «Ich muss immer wieder Zigarettenstummel aus der Wiese picken, obwohl es bei uns Aschenbecher gibt. Was denken sich diese Leute? Kinder könnten die essen.» Es gebe immer wieder Personen, die Melonenschalen im Gras liegen lassen. «Sie denken, die sind ja auch grün.»
Ein grosses Thema in allen Badis: Duschen vor dem Schwimmen. «Die Zeiten, als vor dem Baden geduscht wurde, sind vorbei», sagt Lepori. «Das machen vielleicht noch die Alten, die Jungen sicher nicht.» Massregeln sei schwierig – vor allem an Spitzentagen. «Wenn man seine Message durchgeben will, braucht es Durchsetzungsvermögen und Geduld.»
Nicht die Jugendlichen, die mit Unterhosen unter der Badehose schwimmen gehen, seien die Schlimmsten, sagt Lepori, sondern stark geschminkte Frauen. «Die Chemikalien im Make-up sind extrem schlecht fürs Wasser.»
Speiseöl vor dem Baden
In Basel beschäftigt die Crew noch ein anderes, neues Phänomen: Leute, die sich vor dem Schwimmen mit Speiseöl eincremen. «Im Becken sieht das dann aus, wie wenn ein Öltanker ausgelaufen wäre», sagt Keller. Die Badi hat jüngst Plakate aufstellen müssen, die darauf hinweisen, dass dies nicht erlaubt ist.
Badmeister werden unweigerlich zu Experten in Sachen menschliche Ausscheidungen an Orten, wo sie nicht sein sollten. «Möösli»-Badmeister Lepori erzählt von Tampons im Wasser, aber auch Kot neben der WC-Schüssel, Tampons in den Wandritzen. In Basel beschweren sich die Gäste am häufigsten über dreckige WCs – manchmal zu Recht, wie Keller findet.
In der Schweiz sind Anforderungen an die Wasserqualität hoch, die Filtersysteme teuer und komplex. Was Probleme mit der Wasseraufbereitung bedeuten, spürten die Embracherinnen und Embracher erst kürzlich: In der Badi Talegg im Kanton Zürich fiel das Chlor aus – nun muss sie mitten in der Hauptsaison für mindestens vier Wochen geschlossen bleiben.
Im Zürcher «Möösli» wird das Wasser im Becken innert 24 Stunden sechsmal umgewälzt. Der Kanton macht regelmässige Kontrollen. Mitten im Gespräch zwischen SonntagsBlick und Badmeister Lepori steht plötzlich ein Inspektor des kantonalen Amts mit schwarzem Köfferchen in der Badi. Unangemeldet, natürlich. Lepori wird ein bisschen nervös, sagt noch zu Journalistin und Fotograf, er hoffe, alles sei gut. Ist die Qualität dreimal nacheinander ungenügend, müsste er nämlich schliessen. Das wäre der Super-GAU.
Das Klischee des Badmeisters, der von den Hochsitzen aus die Badenden überwacht, braun gebrannt und durchtrainiert am Beckenrand posiert, trifft man heute kaum noch an. Mittlerweile seien sie viel mehr «Mädchen für alles», für die Wünsche und Problemchen der Besucherinnen und Besucher, sagen die drei. Der Grund: die Anspruchshaltung der Gäste. «Die Leute sind komplizierter geworden», sagt Lepori. Und Keller: «Ich kann nicht verstehen, dass Leute bei Full House das Gefühl haben, ihre Bahnen in Ruhe ziehen zu können und sich nachher beschweren, wenn dem nicht so ist.»
«Gesunder Menschenverstand ist nicht selbstverständlich»
«Ein Vater bat mich einmal, auf sein neugeborenes Baby aufzupassen, damit er sich umziehen könne», erzählt Kinzl. Den Berner nervt aber am meisten, dass er sich immer wieder mit Gästen herumschlagen muss, die nach Betriebsschluss nicht gehen wollen. Man wolle das Bier noch austrinken, die Pommes fertig essen, die Kinder anziehen. «Deswegen dauert meine Schicht jedes Mal eine halbe Stunde länger», sagt er. In solchen Situationen brauche es Humor. «Ich frage dann, habt ihr ein VIP-Ticket? Oder witzle, dass das Bier draussen besser schmecke.» Kinzl sagt, wenn er als Badmeister eines gelernt habe, sei es: «Gesunder Menschenverstand ist nicht selbstverständlich.»
Trotz aller Unzulänglichkeiten: Die drei Badmeister lieben ihren Job, können sich keinen anderen vorstellen. «Man ist den Leuten schon sehr nah», sagt Lepori. «Ich kenne nicht alle persönlich, aber viele.» Kinzl: «Den ganzen Tag im Büro, das will ich nicht.» Und Keller: «Wenn ich diesen Job nicht mögen würde, würde ich ihn nicht seit 32 Jahren machen.»
Und wie stehts um die Wasserqualität im «Möösli»? Lepori hat sich umsonst Sorgen gemacht: Kurz vor Mittag sieht er den Inspektor Richtung Auto laufen. «Chasches trinke, s Wasser!», ruft der Inspektor ihm über die Schulter zu. Lepori strahlt.