Kinder besonders gefährdet
Sekundäres Ertrinken: Ein schleichender Erstickungsprozess

Gelangt bei einem Badeunfall Wasser in die Lungen, wird die Sauerstoffzufuhr des Körpers gestört – den Betroffenen geht langsam die Luft aus. Das Phänomen ist bekannt als sekundäres Ertrinken. So erkennen Eltern die Symptome bei Kindern.
Publiziert: 11.07.2023 um 14:53 Uhr
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Aktualisiert: 11.07.2023 um 15:46 Uhr
Bei Kindern ist Ertrinken die zweithäufigste unfallbedingte Todesursache, nach Verkehrsunfällen.
Foto: Getty Images
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Désirée Reinke
Beobachter

Die Sonne scheint, die Familie fährt an den See, die Kinder planschen vergnügt. Doch plötzlich verschwindet eines der kleinen Gesichter in den Wellen. Nur Sekunden vergehen, bis die Eltern ihr Kind aus dem Wasser ziehen. Husten, Spucken, lautes Weinen. Aber das Kind ist gerettet, alles ist gut – vermeintlich.

Einige Stunden später, die Schrecksekunde am Badesee ist fast vergessen, entwickelt das Kind starken Husten. Es atmet schnell und bekommt Fieber. Ein viraler Infekt? Der Zustand verschlechtert sich: Es wirkt müde und abgeschlagen, die Lippen verfärben sich bläulich. Jetzt gilt es schnell zu reagieren. Denn das Kind befindet sich in Lebensgefahr.

Was ist sekundäres Ertrinken?

Gelangt bei einem Badeunfall Wasser in die Lungen, wird die Sauerstoffzufuhr des Körpers gestört. Rote Blutkörperchen nehmen weniger Sauerstoff auf, sodass Zellen im gesamten Körper nicht mehr ausreichend versorgt werden und in der Folge absterben. Der Mensch erstickt. Betroffene sterben meist noch im Wasser oder kurze Zeit später im Spital.

In schätzungsweise ein bis zwei Prozent aller tödlichen Badeunfälle dauert es allerdings 24 Stunden oder länger, bis die Person Erstickungssymptome entwickelt und verstirbt. Dieses Phänomen heisst sekundäres Ertrinken. Offizielle Statistiken dazu gibt es nicht, lediglich Schätzungen.

Sicher aber ist, dass schon wenige Milliliter Wasser, die eingeatmet werden und in der Lunge verbleiben, reichen, um an sekundärem Ertrinken zu versterben. Verschmutzungen im Wasser können einige Zeit nach dem Badeunfall Entzündungen, Ödeme oder eine schwere Lungenentzündung hervorrufen. Der Körper wird über lange Zeit mit Sauerstoff unterversorgt – ein schleichender Erstickungsprozess.

Auch am Ausgang von Wasserrutschen schlucken Kinder manchmal zu viel Wasser.
Foto: Keystone

Welche Symptome deuten auf sekundäres Ertrinken hin?

Starker Hustenreiz direkt nach dem Badeunfall ist ein erster Hinweis darauf, dass Wasser eingeatmet wurde. Das Tückische beim sekundären Ertrinken ist aber, dass der Husten zeitweise wieder abklingen kann. Es entsteht ein falsches Gefühl der Sicherheit. Bis zu 24 Stunden später treten dann deutliche Symptome auf, die unbehandelt zum Tod führen:

  • Starker, anhaltender Husten mit teils rasselnden Atemgeräuschen
  • Erhöhte Körpertemperatur oder Fieber
  • Durchfall und Erbrechen
  • Müdigkeit und Abgeschlagenheit
  • Schmerzen in der Brust
  • Schnelle Atmung bis zur Atemnot
  • Bläuliche Verfärbung der Lippen

Wer ist besonders gefährdet?

Erwachsene und Kinder erleiden Badeunfälle. Bei Kindern ist Ertrinken jedoch die zweithäufigste unfallbedingte Todesursache, nach Verkehrsunfällen. Der naheliegende Grund: Oft können sie nicht oder nur schlecht schwimmen. Kinder sollten daher niemals unbeobachtet am Wasser sein.

Verdacht auf sekundäres Ertrinken – was tun?

Ist ein Kind kurz unter Wasser getaucht und hat sich verschluckt, muss man nicht gleich auf den Notfall. Beruhigt es sich schnell und zeigen sich keine weiteren Symptome, sollte das Kind lediglich für die nächsten 24 Stunden beobachtet werden. In der Nacht ist es ratsam, gelegentlich zu überprüfen, ob es gleichmässig atmet. Beim sekundären Ertrinken stellen sich die Symptome meist schleichend ein – erst dann ist ein Arztbesuch nötig. Klagt das Kind hingegen über Atemnot oder weist bereits bläuliche Lippen auf, sollten Eltern direkt die Notfallstation eines Spitals aufsuchen.

Was ist der Unterschied zum trockenen Ertrinken?

Zu Verwechslungen führt oft der Begriff des trockenen Ertrinkens. Auch hierbei erstickt der Mensch ausserhalb des Wassers. Betroffen sind meist Kinder, die beim Untertauchen Wasser eingeatmet hatten. Der Körper reagiert reflexartig und verschliesst die Stimmbänder im Rachen, um ein Eindringen des Wassers in die Lunge zu verhindern. Dabei kann es zu einem Stimmritzenkrampf kommen, der sich nicht wieder von allein löst. Das Kind kann nicht atmen und erstickt infolge dieses körpereigenen Schutzmechanismus.

Wie können Eltern vorbeugen?

Bei Kleinkindern bis fünf Jahre reichen kleinste Mengen Wasser zum Ertrinken – egal ob sofort oder sekundär. Deshalb sollten badende Kinder niemals unbeaufsichtigt, optimalerweise sogar in Griffweite sein. Auch Schwimmhilfen sind keine Alternative, sondern höchstens eine Zusatzmassnahme.

Vorsicht ist nicht nur in der Badi, am Meer oder See geboten. Kinder bis drei Jahre können schon in einer Wassertiefe von fünf Zentimetern ertrinken – Planschbecken, Gartenteich und Wasserpfütze sind also ebenso gefährlich wie das Schwimmbecken. Deshalb sollten Kinderbassins abgesperrt werden, wenn man sie nicht benutzt. Bei Bootsfahrten sollten Kinder immer eine passende Schwimmweste tragen.

Empfehlenswert ist eine frühe, spielerische Wasserangewöhnung. Das kann mit einem Kurs für Babys im Alter von wenigen Monaten beginnen. Ein Alter von vier Jahren gilt als guter Start fürs Schwimmenlernen.

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