«Psychische Krankheiten sollen entstigmatisiert werden»
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Morten Keller (61):«Psychische Krankheiten sollen entstigmatisiert werden»

Der Bundesratsgatte Morten Keller über eine schwierige Zeit
Aus dem Nichts überfiel ihn Panik

Kürzlich machte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter bekannt: Ihr Ehemann Morten Keller litt unter Panikattacken. Zum ersten Mal gibt der Rechtsmediziner und Psychiater nun Einblick, wie er das erlebt hat. Er will das Stigma bekämpfen.
Publiziert: 09.03.2025 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 09.03.2025 um 10:43 Uhr
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2023 war ein schwieriges Jahr für Morten Keller.
Foto: Thomas Meier

Auf einen Blick

  • Morten Keller, Ehemann von Karin Keller-Sutter, spricht über seine Panikattacken
  • Keller will das Stigma bei psychischer Gesundheit brechen
  • 20 Prozent der Menschen in der Schweiz kämpfen mit psychischen Belastungssymptomen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Ein schwarzer Schwan. Selten ist er. Rar gar! Und symbolisch aufgeladen. Flugzeugabsturz. Finanzkrise. Fukushima. Schwarzer Schwan nennt man ein Ereignis, das sehr unwahrscheinlich, aber möglich ist. So einen will man nicht. Morten Keller blickt in Wil SG beim Stadtweier auf genau dieses Tier. Unweit von seinem Zuhause. Der Vogel putzt sich mit dem Schnabel das schwarze Gefieder, das in der Wintersonne bläulich schimmert. Irgendwo im Wasser zieht noch ein zweiter seine Kreise. Eine Wiler Eigenheit, so wie das fehlende H im Wort Stadtweier. Für Morten Keller eine Erinnerung. Er hat ihn erlebt, den schwarzen Schwan, das unvorhersehbare Ereignis. Deshalb ist er mit uns hergekommen.

Morten Keller (60) ist Psychiater, Rechtsmediziner, sitzt im Verwaltungsrat bei der Psychiatrie St. Gallen, leitete lange die städtischen Gesundheitsdienste Zürich und ist seit kurzem frühpensioniert. Was er auch ist: der Ehemann von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61). Viel mehr war lange nicht bekannt. Bis vergangenes Wochenende. Die Bundespräsidentin hat in der Rede zum «Tag der Kranken» öffentlich gemacht: Ihr Mann litt unter Panikattacken. Auslöser war ein medizinischer Notfall. Darüber will er sprechen. Er will helfen, das Stigma bei psychischer Gesundheit zu brechen.

Morten Keller beim Stadtweier auf der Holzbrücke.
Foto: Thomas Meier

Am Weiher schöpft er Kraft

Morten Keller schreitet über die Holzbrücke, die sich über den Weiher spannt. Auf ihr hat er als Bub schon Enten gefüttert. Es gibt ein Foto, wie seine Mutter auf der Brücke steht und ihn hochhebt, damit er mit seinen kurzen Ärmchen Salatblätter über die Brüstung ins Wasser werfen kann. «Das ist mein Kraftort», sagt er und lächelt. Dann hängt er sich seine Tasche über die Schulter. «Gehen wir ein Stück?» Keller wirkt entspannt. Ganz anders vor zwei Jahren.

Morten Keller ist alleine daheim. Plötzlich spürt er sein Herz, es rast. Sofort nimmt er mit den Fingern den Puls und merkt: Der ist gigantisch hoch. Und bleibt es, fünf Minuten, zehn Minuten. Er greift zum Blutdruckgerät, das er als Arzt daheim hat, und misst. Auf dem Display steht ERROR. Als Arzt weiss er: Das ist nicht gut. «Ein unangenehmes Gefühl», sagt er und presst die Lippen zusammen. Morten Keller schleppt sich zu Fuss ins nahe Spital, wo die Ärzte rasch feststellen: Herzrhythmusstörungen. Gutartig. Man kann ihm helfen. Er atmet auf. Doch nicht lange. Tage später liegt er im Spital auf dem Operationstisch. Die Ärzte wollen die Problemstelle in seinem Herzen beheben. Um sie zu finden, müssen sie mit Stromstössen wieder Rhythmusstörungen auslösen. Das geht nur ohne Betäubung. «Da merkte ich: Das fühlte sich psychisch nicht gut an», sagt er. Was er nicht weiss und später in der Therapie erfährt: Der Eingriff traumatisiert ihn.

Der Weiher ist sein «Kraftort».
Foto: Thomas Meier

Es ist Frühling im Jahr 2023. Die Credit Suisse crasht. Karin Keller-Sutter ist mit der Bankenrettung beschäftigt. Sie telefoniert. Sie trifft. Sie verhandelt. Und im Nachgang dazu, kurz nach dem Eingriff im Spital, macht sich bei ihrem Mann das rasende Herz wieder bemerkbar. Diesmal ist der Auslöser nicht körperlich, sondern psychisch. Aus dem Nichts kommt es über ihn. Zieht ihm den Boden weg. Er sagt: «Ich hatte in jenem Moment Angst, es passiere etwas Schlimmes.» Eine Panikattacke. Weitere folgen, in allen möglichen Situationen. Zweimal in den Sommerferien mit seiner Frau. Sie habe ihn sofort ernst genommen, sagt er. «Das war wichtig.»

Er hat viel gesehen – und gemeistert

Morten Keller ist eine Erscheinung. Bei der Begrüssung der Journalistin muss er sich fast bücken. Und ein Pressebild aus dem Jahr 2018, auf dem er nach der Wahl seiner Frau in den Bundesrat seinen Arm um sie gelegt hat und lächelt, zeigt: Der stärkt ihr den Rücken. Der Mann kann mittragen. Morten Keller hat schon viel gestemmt. Als Direktor der städtischen Gesundheitsdienste hat er ganz Zürich durch die Pandemie geholfen. Als Gerichtsmediziner hat er viele Tote gesehen. Auch jene vom Anschlag in Luxor im Jahr 1997 oder vom Amoklauf in Zug 2001. Ständig ist er im Einsatz. 60, 70 Stunden pro Woche. Kaum einen Tag krank. Auch im Jahr 2023, als die Panikattacken beginnen. Nun zittert dieser grosse, leistungsstarke Mann. Er verliert sein Urvertrauen. Er sagt: «Ich wusste: Ich muss mir schnell Unterstützung holen.» Sonst wachse es sich zu einer Angststörung aus.

Keller beginnt eine Therapie. Regelmässig sitzt er mit einer Psychologin zusammen. Er lernt, wie es sich anfühlt, wenn sich eine Attacke ankündigt. Wie er dagegenhalten kann: sich die Situation bewusst machen. Bewusst atmen. Kaffee vermeiden. Die Sitzungen helfen. Bald geht es ihm besser. «Heute sogar wieder sehr gut», sagt er. Und wieder ist es da, das Lächeln. Wir setzen uns auf eine Bank am Ufer. Kellers Blick wandert kurz aufs Wasser, als hole er Anlauf, denn wegen der Botschaft, die jetzt kommt, macht er seine Geschichte überhaupt öffentlich. Er sagt: «Eine psychische Erkrankung kann jeden Menschen treffen.» Auch wenn man voll im Leben steht. Das ist ihm ein Anliegen: dass in der Bevölkerung das Bewusstsein dafür wächst.

Psychische Erkrankungen sind verbreitet. Die Schweizerische Gesundheitsbefragung zeigt: 2022 kämpfte rund jede fünfte Person mit Symptomen einer psychischen Belastung. Acht Prozent der Befragten berichteten, dass sie in den letzten zwölf Monaten an einer Depression gelitten haben. Zehn Prozent hatten in den letzten zwölf Monaten eine Angststörung. Der Nachbar, die Arbeitskollegin, das Gschpänli aus dem Chor – wir alle kennen Betroffene. Oft ohne es zu ahnen. Und das ist paradox. Heute weiss die Gesellschaft so viel über psychische Erkrankungen wie nie zuvor. Doch das Thema bleibt tabu. Das gibt Morten Keller zu denken. Er sagt: «Das Stigma ist gross.»

Psychische Probleme sind häufig

Die Befragung des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums aus dem Jahr 2022 gibt ihm recht. Bei den 15- bis 24-Jährigen sucht sich fast jede dritte Person keine Hilfe, wenn es ihr psychisch nicht gut geht – aus Angst, was die anderen denken könnten. Bei den Älteren sind es zwischen einem Drittel und der Hälfte – Letzteres bezieht sich vor allem auf Männer. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Männer müssen stark sein. Ganze Generationen haben solche Sätze eingepflanzt bekommen. Wie ist es bei ihm, Morten Keller? Haben die Panikattacken sein Selbstbild verändert?

Auf den Bänkli am Weiher sitzt er heute öfter als früher.
Foto: Thomas Meier

Er schüttelt den Kopf. Er sei nicht der Typ, der immer alles im Griff habe. «Man muss loslassen können.» Das Leben habe ihn das gelehrt. Morten Keller hat losgelassen. Tut es immer wieder. Im Jahr 2000 steht er kurz davor, die neu geschaffene Forensik in Wil zu leiten, dafür hat er zusätzlich den Facharzt in Psychiatrie und Psychotherapie gemacht. Doch dann schafft es seine Frau Karin Keller-Sutter in die St. Galler Regierung und übernimmt das Sicherheits- und Justizdepartement. Ein Interessenkonflikt. Er muss sich beruflich neu orientieren. «Da hatte ich kurz eine depressive Verstimmung», sagt er und schmunzelt. Er weiss: Es ist alles gut gekommen. Sehr gut.

Morten Keller hat nun wieder losgelassen. Vergangenes Jahr. Er ist vorzeitig in Pension gegangen. Jetzt sitzt er öfters auf einer Bank beim Stadtweier und schaut den Enten zu. Das ist neu. Auch für die Leute im Ort. Kürzlich ist ein Bekannter mit dem Velo vorbeigefahren, erzählt Keller, und hat verdutzt gefragt, was er hier mitten am Tag macht. Seine Antwort: «Das Leben geniessen!» Er grinst. Dann nimmt er seine Tasche und steht auf. Er muss noch an eine Sitzung.

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