Auf einen Blick
Blick: Was ist eine postpartale Depression?
Annika Redlich: Eine depressive Episode, die sich nach der Geburt eines Kindes entwickeln kann. Betroffen sind, je nach Studie, zwischen 15 und 20 Prozent der Frauen. Eine postpartale Depression (PPD) ist eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, die eine professionelle Behandlung benötigt, da sie unbehandelt – und vor allem aufgrund des Tabus unentdeckt – zu einer chronischen Erkrankung sowie zur negativen Entwicklung des Kindes führen kann. Es gilt die PPD vom Babyblues zu unterscheiden, der bei bis zu 80 Prozent der Frauen in den ersten beiden Wochen nach der Geburt aufgrund der Hormonveränderungen auftritt und in der Regel von allein verschwindet. Eine PPD hingegen entwickelt sich schleppend und kann sich auch erst einige Monate nach der Geburt zeigen.
Gibt es eine Frauengruppe, die besonders anfällig ist?
Grundsätzlich kann eine psychische Erkrankung jede Person treffen. Es gibt aber Faktoren, die das Risiko erhöhen. Dazu gehören frühere psychische Erkrankungen, genetische Veranlagung, Komplikationen während der Schwangerschaft, der Geburt oder im Wochenbett. Aber auch fehlende Unterstützung und soziale Isolation sowie schwierige und unerwartete Lebensereignisse können eine postpartale Depression begünstigen. Auch eine zu hohe Erwartungshaltung an sich selbst, idealisierte Vorstellungen an das Muttersein und perfektionistisches Verhalten können Risikofaktoren sein. Zuletzt sind auch Schlafmangel und Erschöpfung nicht zu unterschätzen.
Können auch Väter betroffen sein?
Ja. Und zwar häufiger als gedacht. Rund zehn Prozent sind betroffen. Risikofaktoren sind unter anderem eine vorherige Depression, Paarkonflikte, die soziale Stellung, belastende Umstände wie zum Beispiel Armut oder Arbeitslosigkeit, zu hohe Erwartungen an die eigene Vaterrolle oder Schwierigkeiten beim Aufbau einer befriedigenden Beziehung zum Kind. Der grösste Risikofaktor scheint aber die Erkrankung der eigenen Partnerin zu sein. Eine Literaturstudie der Hochschule Luzern im Auftrag von «Postpartale Depression Schweiz» zeigt, dass zwischen 24 und 50 Prozent der Männer, deren Frauen an einer PPD leiden, selbst eine solche entwickeln. Insofern könnte man von einer «depressiven Ansteckung» zwischen den Eltern sprechen. Meist sind Väter etwas später betroffen und zeigen andere Symptome oder Fluchtstrategien, wie exzessiven Sport oder vermehrten Alkoholkonsum.
Was sind typische Symptome bei den Müttern?
Unter anderem geistige und körperliche Erschöpfung, chronische Müdigkeit, Apathie, Energielosigkeit, inneres Leeregefühl, Unfähigkeit zu weinen oder häufiges Weinen, Selbstvernachlässigung, Vernachlässigung des Kindes, Stimmungsschwankungen, Selbstvorwürfe, Schamgefühle, Appetitlosigkeit oder übermässig gesteigerter Appetit, Angstzustände, Panikattacken, körperliche Beschwerden wie Schwindel, Kopfschmerzen, Herzbeschwerden, Verdauungsstörungen, Magenschmerzen, Muskelverspannungen, Rückenschmerzen, Übelkeit, Hitzewallungen, Benommenheit.
Wann und wie soll man sich Hilfe holen?
Je früher Betroffene verstehen, dass es sich um eine psychische Erkrankung handelt, die sie nicht allein bewältigen müssen, desto besser sind die Chancen auf eine Heilung. Wir empfehlen Betroffenen, offen mit ihren Angehörigen, Freunden oder anderen nahestehenden Personen über die Situation zu sprechen. Diese können beim Aufgleisen von Behandlung und Unterstützung wertvolle Hilfestellungen bieten. Zudem können sich Eltern direkt an die sie umgebenden Fachpersonen – wie etwa Gynäkologinnen, Hebammen, Mütter-Väter-Beratende – wenden und ihre Gefühle und Gedanken im Zusammenhang mit der Elternschaft teilen.
Wie lange dauert eine postpartale Depression?
Das ist individuell und abhängig vom Schweregrad und den Ursachen für die depressive Episode. So kann eine PPD schon nach wenigen Wochen wieder abklingen, aber auch über mehrere Monate bis Jahre dauern, insbesondere wenn die richtige Hilfe fehlt.
Wie wird sie behandelt?
Besonders die kognitive Verhaltenstherapie hat sich als sehr wirksam bei der Behandlung von PPD erwiesen. Sie hilft Betroffenen, ihre negativen Denkmuster zu erkennen und zu verändern. Auch andere therapeutische Ansätze wie die interpersonelle Therapie (IPT), die sich auf zwischenmenschliche Beziehungen konzentriert, können zielführend sein. In einigen Fällen ist eine zusätzliche medikamentöse Behandlung sinnvoll, besonders wenn die Symptome stärker ausgeprägt sind. Die Medikamente sind in der Regel stillkompatibel, jedoch sollten sie immer in enger Absprache und in Begleitung erfahrener Ärztinnen oder Psychiater eingenommen werden.