Die Feuersbrünste in der Mittelmeerregion sind nur einige von zahlreichen Extremereignissen der jüngsten Zeit: Die Jahrtausendhitze im Westen Nordamerikas mit Temperaturen mit bis zu 50 Grad im Schatten, die tödlichen Fluten in Belgien und Deutschland, Brände in der sibirischen Taiga, Hochwasser in der Schweiz – extreme Wetterlagen sind das neue Normal.
Just in dieser Katastrophenzeit hat der Weltklimarat am Montag seinen sechsten Bericht veröffentlicht. Er beginnt mit einer beunruhigenden Feststellung: «Es ist unzweifelhaft, dass menschlicher Einfluss die Atmosphäre, die Ozeane und die Landmassen erwärmt hat.»
Bald soll es laut Klimareport unmöglich sein, die Erwärmung der Erde unter zwei Grad, geschweige denn 1,5 Grad Celsius zu halten, «wenn nicht umgehend begonnen wird, die Treibhausgasemissionen schnell und drastisch zu reduzieren».
Klima wird sich weiterhin ändern
Egal, welche Reaktionen dem Bericht folgen und welche Klimapolitik nun eingeschlagen wird – in den kommenden Jahrzehnten werden wir uns an Extremwetterlagen und Temperaturschwankungen gewöhnen müssen.
Historische Berichte zeigen auf, was dies bedeutet. Denn das Klima hat immer wieder zugeschlagen.
Da sind beispielsweise die Wetterkapriolen in Europa zwischen 1300 und 1850. In vielen Regionen kam es während der Kleinen Eiszeit zum Temperaturrückgang von durchschnittlich zwei Grad Celsius. Verantwortlich waren insbesondere Phasen verminderter Sonnenaktivität und Vulkanausbrüche.
Katastrophales Wetter löste Hungersnöte, soziale Unruhen und Aufstände aus
Für den Umwelt- und Klimahistoriker Christian Rohr (54) von der Uni Bern ist diese Periode deshalb von grosser Bedeutung, «weil sie uns eine Vorstellung von den schweren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen gibt, die starke klimatische Veränderungen auslösen».
Am empfindlichsten trafen die Auswirkungen des damaligen Klimas die Landwirtschaft. Kurze und verregnete Sommer führten zu katastrophalen Missernten in der Getreide- und Weinproduktion, vor allem in den Alpenregionen und in Nordeuropa.
Es folgten Hungersnöte, soziale Unruhen und Aufstände. Wirtschaftspolitisch brach eine neue Ära an; die feudalen Strukturen zerfielen, kapitalistische Gesellschaften entstanden.
Menschen ziehts weiterhin in die Städte
Hunderttausende Bauern flohen in die Städte. Die grosse Herausforderung: Wie ernährt man so viele Menschen? «Ernteausfälle wurden durch Importe kompensiert und in vielen Städten wurden grosse Getreidespeicher gebaut, um die Versorgung zu sichern und Preisschwankungen abzufedern», sagt Rohr.
Besonders aus diesen Entwicklungen lassen sich Schlüsse ableiten, wie sich die heutige Lebensweise verändern könnte – gerade in urbanen Zentren, die kontinuierlich wachsen. 2050 werden fast 75 Prozent der Menschen in Städten wohnen.
Versorgungssicherheit wird zentrale Rolle spielen
Für Urs Niggli (68), einem der weltweit führenden Agrarwissenschaftler, steht fest: Mit den Menschen werde auch die Landwirtschaft in die Städte ziehen, «wo sich völlig neue Produktionssysteme entwickeln. Lebensmitteltürme oder grosse Industriehallen entstehen, in denen Früchte und Gemüse hergestellt werden».
Wie in der Kleinen Eiszeit wird die Versorgungssicherheit in Zukunft die zentrale Rolle spielen. Gerade dann, wenn Lücken nicht mit Importen kompensiert werden können. Umwelt- und Klimahistoriker Rohr sagt: «Wir müssen damit rechnen, dass diese Ausgleichsmechanismen je länger, je weniger gut funktionieren. Erodieren die Felder weltweit, was durch den Klimawandel durchaus möglich ist, wird sich eine globalisierte Gesellschaft nicht mehr ernähren können.»
Wissen, was auf uns zukommt
Es muss dabei Verlierer geben, so viel ist klar. Die ärmeren Länder trifft es härter als die reichen. «Die entscheidende Frage wird sein, wie wir mit Armut umgehen», sagt Rohr. Ein Beispiel: Im April 1815 brach in Indonesien der Vulkan Tambora aus. Die Auswirkungen zeigten sich ein Jahr später auch in der Schweiz – in einem «Jahr ohne Sommer» fiel die Ernte komplett aus.
«Behörden einiger Schweizer Gemeinden forcierten ärmere Schichten damals sogar zur Auswanderung, weil es schlicht nicht genug Nahrung gab», sagt Rohr.
Ähnliches lässt sich auch heute beobachten. Oder wie es der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres (72) sagt: «Der Klimawandel könnte zum Hauptfluchtgrund werden. Er verstärkt den Wettstreit um die Ressourcen – Wasser, Nahrungsmittel, Weideland – und daraus können sich Konflikte entwickeln.»
Die Kleine Eiszeit zeigt, wie eng Ereignisse in Natur und Gesellschaft miteinander verbunden sind. Umwelt- und Klimahistoriker Rohr hält aber fest: «Besser als historische Gesellschaften können wir heute mit dem Wissen der Klimaforschung relativ genau sagen, was in ein oder zwei Generationen auf uns zukommt – und entsprechende Massnahmen treffen.»
«Wir haben die Wahl»
Dieses Wissen ist auch eine Verpflichtung.
Der renommierte Klimaforscher Reto Knutti (48) wird seit Jahren nicht müde, Gesellschaft und Politik über die Risiken unseres Lebensstils aufzuklären: «Wir haben die Wahl. Wir wissen, dass wir auf den Klimawandel reagieren müssen, doch wir sind uns noch nicht einig, wie wir das tun sollen.» In seiner Aussage schwingt auch Kritik mit. Es sei dem trägen politischen System geschuldet, dass wichtige Klimavorlagen «bachab» gingen.
Tatsächlich warf die Ablehnung des CO2-Gesetzes die Schweiz bei der Erfüllung der Klimaziele weit zurück. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass sogar der Kompromiss vom Kompromiss durchfallen würde. «Die Interessenspolitik der SVP und der Erdöl- und Autolobby haben in diesem Fall rationale Entscheidungen verunmöglicht», sagt Knutti.
Ein letzter Versuch
Nun wagt die Schweiz einen neuen Anlauf. Am Mittwoch hat die Landesregierung einen direkten Gegenentwurf zur Gletscher-Initiative verabschiedet. Damit will sie dasselbe Ziel in die Verfassung schreiben wie die Initianten: Netto-null-Treibhausgasemissionen bis 2050.
Im Gegensatz zur Initiative lehnt der Bundesrat allerdings ein Verbot fossiler Energieträger ab – und will die Transformation «wirtschaftlich erträglich» gestalten. Was das bedeutet, ist unklar.
Klar ist: Es dürfte der letzte Rettungsanker für die Schweizer Klimapolitik sein.
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