Blick zu Besuch an der Caravan-Messe in Bern
«Ich schlafe nicht in einem Auto!»

Nie waren mehr Reisemobile auf Schweizer Strassen unterwegs als in diesem Sommer. Wozu braucht es da noch eine Caravan-Messe? Ein Augenschein zeigt: Um zu träumen!
Publiziert: 26.10.2024 um 18:44 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2024 um 06:19 Uhr
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Noch bis am Montag der grösste temporäre Campingplatz der Schweiz: Suisse Caravan Salon in Bern.
Foto: Kim Niederhauser

Auf einen Blick

  • Caravan-Markt hat sich nach Boom normalisiert
  • VW California bleibt das beliebteste Modell bei Campern
  • Schweiz verzeichnete 50-Prozent-Anstieg bei Wohnmobil-Zulassungen in fünf Jahren
  • Luxuscamper mit Preisen bis zu 650'000 Franken
  • Allradantrieb-Fahrzeuge im Trend auf der Messe
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.

Wolfgang Speck ist ein Krisengewinnler. Vor vier Jahren, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, sagte der CEO des Caravan-Herstellers Knaus Tabbert in einem Interview: «Homeoffice geht auch im Wohnmobil.»

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Wer trotz Lockdown und «Social Distancing» nicht aufs Reisen verzichten oder lieber anderswo arbeiten wollte als im damals besonders gefürchteten Grossraumbüro, tat dies in vielen Fällen auf den eigenen vier Rädern – und der Markt für Camping-Fahrzeuge florierte wie nie. Alle wollten plötzlich einen Volkswagen California.

Der Boom lässt sich in Zahlen ausdrücken. Gemäss Bundesamt für Statistik stieg die Zahl der in der Schweiz zugelassenen Wohnmobile in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent. Waren es 2000 noch 22’518 Fahrzeuge, sind wir heute bei rund 100'000.

Mirjam Affolter, Co-Gründerin des Camper-Vermieters Mycamper, verriet der «Handelszeitung», ihr Angebot habe sich seit 2018 verfünffacht. Etwa 400 ihrer insgesamt verfügbaren 2400 Fahrzeuge sind vom Typ VW California: «Mit Abstand das beliebteste Modell.»

Gesättigter Markt

Die Liebe zum VW-Büsli scheint ungebrochen. Das zeigt sich auch am Suisse Caravan Salon in Bern. Doch nicht nur der deutsche Autobauer hat ein Problem, das auf Absatz und Umsatz drückt: In der Garage von vielen, die einen Blick auf das neue Modell erhaschen wollen, steht bereits ein älteres Exemplar.

Zum Beispiel bei Roger Gabriel (63). Der Rentner aus Kloten ZH liess sein California-Dreaming anno 2021 Wirklichkeit werden. Zwanzig Jahre lang hatte er damit seiner Frau Marianne (61) in den Ohren, gelegen – aber stets winkte sie ab: «Ich schlafe nicht in einem Auto!»

Heute geniessen beide das «Van-Life», fahren ins Tessin oder an den Bodensee und leben gelegentlich monatelang auf Campingplätzen. Unter freiem Sternenhimmel – beziehungsweise unter dem Aufstelldach des VW-Freizeit-Bulli – schlafe sie sogar besser als zu Hause, sagt Neo-Camperin Marianne Gabriel. Es sei doch ein gutes Zeichen, ergänzt ihr Mann, dass sie nach dreissig Jahren Ehe wochenlang auf so engem Raum leben könnten. Voraussetzung sei allerdings: «Man muss einfach immer Ordnung halten.»

Trend zum Allradantrieb

Noch bis morgen Montag zeigen 370 Aussteller ihre Innovationen auf dem 50'000 Quadratmeter grossen Gelände der Berner Expo.

Am Eröffnungstag duftet es auf dem temporären Campingplatz nach Militärkäseschnitte und Bratwurst, aus Lautsprecherboxen schwärmt Country-Ikone Willie Nelson «On the road again, I just can’t wait to get on the road again» – er könne es kaum erwarten, wieder unterwegs zu sein. Menschen in Outdoorkleidern sitzen in kompliziert konstruierten Campingstühlen, trinken Bier und berichten stolz von bestandenen Abenteuern: «In der Nähe von Genua hat es mir die Wasserpumpe gelüpft.»

Dass der Caravan-Hype abflacht, sei keine schlechte Nachricht für Kundinnen und Kunden, sagt Christoph Hostettler, Präsident des Schweizerischen Caravangewerbe-Verbands. «Nachdem die Preise in den Covid-Jahren um 25 Prozent gestiegen sind, hat sich der Markt inzwischen beruhigt.»

Das gilt auch für die Wartezeiten: Wer damals ein Wohnmobil bestellte, musste sich unter Umständen bis zu 2,5 Jahre gedulden, ehe es ausgeliefert wurde – heute dauert es nur noch ein paar Monate. Die Preiskorrektur nach den fetten Jahren ist laut Hostettler ein grosses Thema auf der Messe, ein anderes ist «Offroad»: Immer mehr Fahrzeuge seien mit Allradantrieb ausgerüstet.

Tatsächlich stehen im Freien ein paar Wagen, die einem «Mad Max»-Film entstammen könnten. Monströse Reifen, bullige Karosserien mit Totenschädel-Verzierungen, ideal für die Apokalypse oder ein bisschen Paris-Dakar-Feeling an der Bahnhofstrasse.

Mit dem bis zu knapp vier Meter hohen Bliss-Mobil zum Beispiel schafft man es mühelos durch Schlamm und Wüstensand, in der Migros-Tiefgarage aber würde man damit stecken bleiben. Egal: Wenn die Welt vor die Hunde geht, setzen wir uns ans Steuer und lassen sämtliche Sorgen hinter uns.

Suite auf vier Rädern

Corona hat die Camper-Community nicht nur vergrössert. Einige Outdoor-Fans wurden in dieser Zeit auch sesshafter. «Wenn man ein Jahr im Voraus einen Stellplatz buchen muss, verleidet es mir», sagt etwa Hanna Wirth (75). Das Gefühl für Freiheit sei in letzter Zeit verloren gegangen – zu viele Leute hätten jetzt das gleiche Hobby.

Mit ihrem Mann Karl (80) ist sie seit 1982 «on the road». Zunächst in einem VW-Bus, den sie selbst ausgebaut hatten, später in einem hochklassigen Phoenix-Reisemobil, vom Nordkap bis nach Gibraltar. Den Phoenix habe man dem Nachwuchs vermacht, sagt Karl Wirth leicht wehmütig, inzwischen übernachtete man öfter im Hotel. «Auch wenn mir das eine zu steife Angelegenheit ist.»

Komplett abgehakt scheint das Thema Campieren für die beiden noch nicht. In Bern bewundern sie Luxuscamper des Herstellers Morelo, die so illustre Namen tragen wie «Palace», «Loft Premium» oder «Empire Liner».

Das imperiale Gefährt ist mit mehr Deckenhöhe gesegnet als manche S-Bahn. Das Innere des 12-Tonnen-Palasts erinnert an eine von Donald Trump eingerichtete Präsidentensuite – inklusive Küche mit Induktionsherd und Bad mit Closomat. Die Cüpli-Gläser in den mit Edelhölzern verkleideten Schränken sind im Kaufpreis von 650'000 Franken inbegriffen.

Wohnwagen mit Holzofen

Bloss etwa ein Zehntel dieser Summe muss man für den Wohnwagen investieren, den Martin Maag mit seiner Frau Ruth entworfen hat. Im Grunde genommen handelt es sich um ein schlichtes Chassis, auf das die beiden ihr Traumferienhäuschen gepflanzt haben, samt Dusche, Küche, Bibliothek und Holzofen.

Breite und Wölbung des Dachs seien vorgegeben, den Rest könne man komplett nach eigenen Wünschen gestalten, wirbt Maag für sein Produkt. Mit der Variante, die er in Bern zeigt, war das Paar vier Monate lang unterwegs. 18'000 Kilometer ohne Probleme: «Das Konzept verhebt!»

«Abenteuer beginnen hier», lautet das Motto der Messe. Dass man dafür in manchen Fällen erst mal im Lotto gewinnen muss, gehört zum Traum. Zurück an den Bahnhof geht es jedenfalls für viele vorderhand mit dem 9er-Tram.

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