Sie winken mit der Verfassung, marschieren als «Freiheitstrychler» auf oder protestieren in weisse Ganzkörperanzügen: die Protestler, die als Corona-Skeptiker bekannt geworden sind.
Was zu Beginn der Pandemie eine oft belächelte Randerscheinung war, hat sich mit der Verlängerung der Massnahmen zu einer ernst zu nehmenden Bewegung gemausert.
Einer Bewegung, die gerade erfolgreich ein Referendum gegen das Covid-Gesetz zustande gebracht hat – schon zum zweiten Mal. Dabei ist sie sehr heterogen: Die «Freunde der Verfassung», das «Bündnis der Urkantone», aber auch die Jugend-Organisation Mass-Voll» haben zwar im Kern ähnliche Anliegen, sie treten aber in der Öffentlichkeit höchst unterschiedlich auf.
Blick taucht in die Szene ein
Wer sind diese Menschen, die über Monate laut und voller Misstrauen immer wieder auf die Strasse gegangen sind? Zwar sind die Demos mit den Lockerungen der Corona-Massnahmen weniger geworden. Trotzdem haben sich am Samstag in Frauenfeld TG immer noch über 100 Menschen versammelt, um gegen die Corona-Politik des Bundes zu protestieren. Ein harter Kern, der wohl bleiben wird.
Blick ist in den letzten Monaten in die Szene eingetaucht. Reporterin Rebecca Spring recherchierte offen und verdeckt an verschiedenen Kundgebungen. Und fand einige abgedrehte Verschwörungstheorien, aber auch viel Wut und Misstrauen gegen Politik und Wissenschaft.
«Haben gemerkt, dass Demonstrierende gewaltbereit waren»
Mit den Skeptikern ins Gespräch zu kommen, war nicht immer einfach. An den Demonstrationen wurde die Stimmung mit Fortschreiten der Pandemie immer aggressiver: Journalisten wurden angegangen, genauso wie die Polizei. In Aarau kam es gar zu einer Gefangenenbefreiung: Skeptiker schlagen auf die Beamten ein, treffen Schilde und Helme. Ein eigentlich schon festgesetzter Aktivist spaziert im Chaos einfach davon.
Polizeidirektor Dieter Egli erklärte danach, man habe eine grössere Eskalation befürchtet. «Wir haben gemerkt, dass gewisse Demonstrierende durchaus gewaltbereit waren. Man muss dabei auch an die Polizistinnen und Polizisten denken: Was muten wir ihnen alles zu?»
Argumentieren ist sinnlos
Das Problem: Einige der Demonstranten sind mit Argumenten nur noch schwer zu erreichen, sagt Psychotherapeutin Jacqueline Frossard zu Blick: «Wenn man so unbeweglich wird, dass man nur noch sagt: ‹Ich weiss, wie es ist. Und alle, die es anders sehen, die verstehen es einfach nicht›, dann wird es ungut.»
Sozialwissenschaftler Marko Kovic befürchtet: «Diese Wut, die sich angestaut hat, wird nicht einfach verfliegen.» Stattdessen werde sie sich neue Kanäle suchen: «Das wird sich auf andere Themen, vielleicht auch auf andere politische Akteure richten – und weiterköcheln. Diese Bewegung der Anti-Mainstream-Verschwörungstheoretiker wird uns auch in Zukunft beschäftigen.»
Polit-Zukunft ungewiss
Vorerst beschäftigt die Bewegung vor allem auch die Politik. Laut Angaben des Referendumskomitees sind innert Kürze 187'000 Unterschriften gegen das Covid-Gesetz gesammelt worden. «Das ist sicher in der Topliga bei Referenden», schätzt Politologe Claude Longchamp (64).
Allerdings: Diese Zahl sei mit Vorsicht zu geniessen, denn es ist unmöglich zu bestätigen, ob sie stimmt. Just dank des Covid-Gesetzes müssen die Komitees die Unterschriften zurzeit nicht selbst beglaubigen, das übernimmt die Bundeskanzlei. «Und diese hört mit dem Zählen auf, sobald klar ist, dass das Referendum zustande gekommen ist.»
Referendumsfähig – doch der Abstimmungssieg fehlt
Trotzdem: Referendumsfähig seien die Skeptiker auf jeden Fall. «Sie gehören zurzeit zu den sammelkräftigsten Organisationen der Schweiz und wissen sich auch gut zu vermarkten», so der Politologe. Doch ob sich das in eine längerfristige politische Zukunft ummünzen lässt, zieht er in Zweifel. «Bis jetzt haben sie nicht bewiesen, dass sie auch Abstimmungen gewinnen können», hält Longchamp fest. Denn das erste Covid-Referendum und jenes gegen das Terrorgesetz, bei dem die Skeptiker-Bewegung mitsammelte, sind deutlich gescheitert.
Longchamp räumt auch dem zweiten Covid-Referendum, das im September vors Volk kommt, nur wenige Chancen ein. «Der Schwachpunkt ist das Reisen», sagt er. Denn ein Erfolg würde das Covid-Zertifikat zu Fall bringen – und ohne kämen Schweizerinnen und Schweizer innerhalb der EU nicht mehr weit.
Angst vor Impfpflicht kein Alleinmerkmal
Mit dem Eingriff in die Grundrechte im vergangenen Jahr hätten die Skeptiker eine valable Kritik geäussert, und damit auch einen Nerv getroffen, findet Longchamp. Doch inzwischen sind fast alle dieser Massnahmen aufgehoben, stattdessen dreht sich die Sorge um die Angst vor einer allfälligen Impfpflicht. «Doch hier hat sich mit der SVP bereits eine etablierte Partei dem Thema angenommen.»
Wenn es nicht neue Corona-Massnahmen gebe, werde sich die Bewegung wohl noch ein bis zwei Jahre halten können, vermutet Longchamp. Doch für einen nachhaltigen politischen Einfluss fehlten die entsprechenden Strukturen. «Spätestens die Wahlen 2023 werden ein Knackpunkt werden.» Dann müssten sich die Skeptiker entscheiden, ob sie auch eine Partei sein wollen. Eine Option, der Longchamp schlechte Aussichten einräumt, da die Bewegung zu heterogen sei und damit schnell splittern würde.
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