Tag für Tag kommen neue ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz an – dem Staatssekretariat für Migration (SEM) zufolge sind Stand Donnerstag bereits über 30'000 Personen registriert. Die Unterbringung der Schutzsuchenden stellt die Behörden vor Herausforderungen.
Auf dem Viererfeld in Bern wird jetzt deshalb gebaut: Für ukrainische Flüchtlinge soll hier ein Containerdorf entstehen. Bereits im Mai sollen bis zu 1000 Geflüchtete in den Containern auf der 18'000 Quadratmeter grossen Fläche unterkommen. Damit wollen die Behörden verhindern, dass die Schutzsuchenden in Bunkern leben müssen. Ob das Bauen des Containerdorfs rechtmässig ist, wird allerdings bestritten, wie die «Berner Zeitung» berichtet.
Mehrere baupolizeiliche Beschwerden eingegangen
Stadträtin Simone Machado (52) bezeichnet das Projekt als «widerrechtliches Bauvorhaben». Das Erstellen von Bauten sei nämlich bewilligungspflichtig, wie die Politikerin der Grün-alternativen Partei sagt. In ihrer Beschwerde verlangt Machado deshalb nicht nur die Einstellung der Bauarbeiten, sondern gerade ein Bauverbot.
Gegenüber der «Berner Zeitung» bestätigte Stadtpräsident Alec von Graffenried (59), dass das Projekt nicht die üblichen Bewilligungsprozesse durchlaufen hat. Das Tempo sei in der Tat einmalig in der Berner Baugeschichte. Vom Beschluss des Regierungsrates bis zu den ersten Bauarbeiten seien 48 Stunden vergangen. «Es ist klar, dass bei diesem Tempo die üblichen Bewilligungsverfahren nicht berücksichtigt werden können», so von Graffenried. Die Bewilligungen müssten dann rückwirkend eingeholt werden.
Machado ist jedoch nicht die Einzige, die sich über den Bau des Flüchtlingsdorfs beschwert. Wie das Statthalteramt Bern-Mittelland der Zeitung bestätigt, habe man Kenntnis von «mehreren baupolizeilichen Eingaben». Derzeit fühlt sich das Statthalteramt jedoch dafür nicht zuständig. Deshalb habe man die Anzeige ans Stadtberner Bauinspektorat weitergeleitet.
Bern habe genügend Alternativ-Unterkünfte
Dem Stadtberner Polizeiinspektorat zufolge hat der Kanton am Mittwoch ein Baugesuch für die Einrichtung temporärer Unterkünfte auf dem Viererfeld eingereicht. Mit diesem Gesuch könne «im Sinne eines vorzeitigen Baubeginns sofort der Aushub der Baugrube, das Legen von Leitungen und ähnliche Arbeiten freigegeben werden, soweit sich die Bauherrschaft verpflichtet, bei Verweigerung der Baubewilligung den natürlichen Zustand des Baugrundstücks wiederherzustellen». Das Gesuch sei bewilligt worden.
Machado zufolge liege jedoch für das nachträgliche Einreichen eines Baugesuches keine gesetzliche Grundlage vor – jedenfalls nicht, wenn vorsätzlich illegal gebaut werde. Man laufe Gefahr, dass dann jedermann mit Bauen beginnt und es erst später bewilligen lässt. Dass das Projekt für einen guten Zweck sei, ändere in diesem Fall nichts. «Man kann nicht den Rechtsstaat durch Solidarität ersetzen.»
Die Stadträtin betont aber, dass sie durchaus dafür sei, dass Flüchtlinge aus der Ukraine angemessen untergebracht werden. Dafür habe Bern aber anderes zu bieten, als ein riesiges Containerdorf: «Zurzeit stehen zum Beispiel über 2000 Hotelzimmer leer.»
Anwohner kreierten Willkommensgeschenk für Flüchtlinge
Der Kanton hingegen weist darauf hin, dass es keine alternativen Unterbringungsmöglichkeiten gebe. Die geplante Anlage auf dem Viererfeld sei für «zwei bis drei Jahre» nutzbar, schreibt der Sprecher der Gesundheitsdirektion, Gundekar Giebel, in einer Mitteilung. Die meisten bestehenden Objekte seien nicht so lange verfügbar. «Es ist daher kaum möglich, allein mit bestehenden Objekten die Nachfrage zu bewältigen.»
Auf dem Viererfeld solle sich in den kommenden Jahren ein neues Stadtviertel entwickeln – bis dahin könne das Gelände aber zwischengenutzt werden. Die Lage sei ideal, heisst es.
Obwohl unter den Einsprechenden angeblich auch eine Person aus der Nachbarschaft vertreten sei, scheint im Quartier die Sympathie für das Containerdorf zu überwiegen. So verziert selbst gebastelte Ukraine-Flagge den Zaun gegenüber der Baustelle – angefertigt von Anwohnern. Ein 62-jähriger Passant zeigt Verständnis für das Vorgehen der Behörden: «Den Menschen aus der Ukraine muss rasch geholfen werden.» Ein anderer Bewohner eines nahen Reihenhauses empfindet die Siedlung ebenfalls als «eine gute Sache». (dzc)