Vera Wäfler (10) aus Frutigen BE hat einen anstrengenden Schulweg. «Denn die Leute wollen alles von mir wissen», sagt die Viertklässlerin zu Blick. «Sie fragen, wo ich in die Schule gehe, wie ich hinkomme, wie das mit dem Schulbus ist und so weiter.»
Der Grund für diese Ausfragerei: Vera, das jüngste von vier Kindern, hat auch einen wunderschönen und spektakulären Schulweg. Er führt sie vom Zuhause, das an einem Hang im Engstligental liegt, über eine Hängebrücke. Die wippende Brücke ist 153 Meter lang und der Gitterrost zum Drüberlaufen 65 cm breit. 38 Meter unter ihr schlängelt sich das Flüsschen Engstlige durch die Talsohle. «Würde die Brücke nicht existieren, müsste Vera stundenlang über steile Wanderwege stapfen, um zu ihrer Schule zu gelangen», sagt ihr Vater Martin (49), Wirt des Hängebrügg-Beizli.
«Will einfach nur Zmittag essen»
Doch das Bauwerk ist zum Glück da – vor 17 Jahren liessen es die Wäflers errichten. Vera meint: «Ich bin froh, muss ich nicht den langen und gefährlichen Weg gehen.»
Weniger froh ist die Schülerin, wenn die Touristen, die sich über die Brücke wagen, sie zur Mittagszeit mit Fragen löchern. «Ich will doch einfach nur nach Hause und Zmittag essen.» Sie freut sich nicht nur aufs Zmittag, sondern allgemein auf ihr Zuhause: «Ich finde mein Daheim schön», sagt die Primarschülerin. «Wir wohnen in einer grossen Waldlichtung. Gehen wir über die Brücke, sind wir gleich bei der Busstation. Das finde ich sehr praktisch.» Bei dieser Busstation holt der Schulbus Vera ab und fährt sie talaufwärts nach Rinderwald in die Schule.
Der Gang an sich über die Brücke bereitet dem Mädchen keine Bauchschmerzen: «Ich habe keine Höhenangst. Manchmal gehe ich mit geschlossenen Augen über die Brücke – ich kenne sie so gut», sagt sie. «Ich warte, wie lange es dauert, bis ich drüben bin. Oft habe ich aber die Augen offen und schaue nach links und rechts – und bewundere die Natur.»
Angsthasen empfiehlt sie, nicht gross herumzugucken. Vor allem: «Nicht in die Tiefe schauen!», so ihr Tipp. Und: «In der Mitte laufen.» Drittens: «Losgehen, wenn möglichst wenig Leute drauf sind.»
«Kenne den Weg in- und auswendig»
Ratschläge, die Veras ältere Schwester Fabia nicht benötigt. Auch die 14-Jährige startet jeden Morgen ihren Schulweg mit dem Gang über die Hängebrücke. Im Winter ist es am Morgen oft noch dunkel. «Die Autos, die auf der Hauptstrasse vorbeifahren, geben uns dann ein bisschen Licht», sagt Vera, die 10-Jährige.
Ebenfalls auf der Hauptstrasse fährt der Linienbus. Dieser bringt seit Montag Fabia in ihr neues Schulhaus in Frutigen. Seit dieser Woche ist sie Sekundarschülerin. Der Bus stoppt um 7.10 Uhr an der Haltestelle bei der Brücke. «Nehme ich diesen Bus, bin ich viel zu früh in der Schule. Nehme ich den nächsten, komme ich ein paar Minuten zu spät.» Aber: «Vielleicht kann ich mit der Klassenlehrerin etwas aushandeln.»
«Man weiss nie, was für Verrückte sich im Wald aufhalten»
Grundsätzlich gilt aber auch für Fabia: Ohne Hängebrücke wäre sie aufgeschmissen. «Mit dem Velo müsste ich 30 Minuten den Wanderweg herunterrattern», sagt sie. Oder: Über eine Stunde zu Fuss über Stock und Stein mit dem Schulranzen zu Tal stolpern.
Schlechte Alternativen, wie Martin Wäfler betont. «Müssten meine Töchter zu Fuss durch den Wald laufen, wäre ich besorgt», sagt er. «Man weiss nie, was für Verrückte sich dort aufhalten.» Kurz: «Ich bin froh, haben meine Kinder die Möglichkeit dieses sicheren Schulwegs via Hängebrücke.»