Dieser Schulweg ist der Horror. Lastwagen donnern im Minutentakt über die unübersichtliche Strasse, einen Fussgängerstreifen gibt es keinen. Trotzdem müssen die drei Söhne (6, 9 & 12) des Ehepaars Dietrich jeden Tag auf das Trottoir auf der anderen Strassenseite. Einzige Orientierungshilfe: Ein kleiner Verkehrsspiegel, mit dem man um die Ecke schauen kann.
Schon für Erwachsene ist das nicht einfach – für kleine Kinder umso weniger. «Schon mehrmals habe ich beobachtet, wie Autofahrer voll auf die Bremse mussten, ansonsten wären sie in meine Kinder gefahren», sagt Mama Jasmine (36). Zusammen mit ihrem Mann Ari (39) nimmt sie die jüngeren beiden Söhne stets bei der Hand und geht mit ihnen über die Strasse, wenn es sicher ist. Die gefährliche Lage ihres Hauses, in dem die Familie seit sieben Jahren wohnt, macht ihnen zunehmend zu schaffen.
Vor Jahren haben die Dietrichs mit den Nachbarn eigentlich ausgemacht, dass ihre Kinder durch ein eingebautes Tor im Maschendrahtzaun auf das Grundstück nebenan gelangen und dort den sicheren Weg hinter einer Betonmauer zurücklegen dürfen.
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Letzte, sichere Möglichkeit verbaut
Doch plötzlich sperrten sich die Nachbarn und verboten den Kindern den Durchgang. Als Grund wurde ein versicherungstechnisches Problem angegeben, falls ein Kind auf dem Weg stürzt und dabei verletzt wird. Ein Vertrag, wonach die Nachbarn nicht haften, falls einem Kind auf dem Weg etwas passiert, sei kommentarlos abgelehnt worden. Ein Vermittlungsversuch der Gemeinde Tübach fruchtete ebenfalls nicht. Gegenüber Blick wollen sich die Wohnungseigentümer nicht äussern.
Die Familie Dietrich hat das Tor seit Anfang Jahr verriegelt, konnte aber eine Zwischenlösung finden. «Dank einer lieben Nachbarin, dürfen unsere Kinder nun über ihr Grundstück hinter unserem Haus zum nächstgelegenen Trottoir gehen», sagt Ari Dietrich. Allerdings ist diese Lösung nur temporär. In naher Zukunft bleibt also nur der Weg über die gefährliche Strasse.
Kein sicherer Fussgängerstreifen ohne Bürokratie
«Wir haben schlaflose Nächte wegen der Sicherheit unserer Jungs», klagt das Ehepaar. Ein Fussgängerstreifen an dieser Stelle ist aber offenbar unmöglich. Der Gemeinde sind die Hände gebunden, sagt Gemeindepräsident Michael Götte (43): «Da es sich bei dieser Strasse um eine Kantonsstrasse handelt, ist der Kanton allein dafür verantwortlich.» Dieser habe in puncto Fussgängerstreifen viele Vorgaben einzuhalten.
Unter anderem die Richtlinien der Beratungsstelle für Unfallverhütung. Dort wird festgehalten: «Damit ein Fussgängerstreifen sicher betrieben werden kann, soll dieser von Fussgängern regelmässig begangen werden.» An den fünf intensivsten Stunden eines Tages müssen demnach mindestens 100 Menschen den Fussgängerstreifen überqueren. «Wir mussten schon andere Fussgängerstreifen genau wegen dieser Vorgaben aufheben», sagt Götte.
«Fussgängerstreifen sind nicht per se sicher»
Auf Anfrage bei der Kantonspolizei St. Gallen sagt der Leiter Verkehrstechnik, Werner Lendenmann: «Ein Fussgängerstreifen ist nicht per se sicher.» Die Unfallforschung zeige, dass viele verschiedene Faktoren zur Sicherheit beitragen. Nebst der Frequentierung spielen beispielsweise ein gesicherter Warteraum, die Sichtbarkeit oder die Beleuchtung eine wichtige Rolle. «Diskussionen über Fussgängerstreifen sind immer sehr, sehr emotional. Wir haben da manchmal auch unangenehme Entscheidungen zu treffen.»
Ari Dietrich hofft dennoch auf eine Lösung. «Meine schlimmste Angst ist, dass eines meiner Kinder umgefahren wird und stirbt. Ich frage mich manchmal: Muss denn erst etwas geschehen, damit hier etwas gemacht wird?»
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