Seit rund einem Monat klaffen im Boden rund um die Gantrischstrasse in Thun BE über ein Dutzend Löcher. Die meisten von ihnen mehrere Meter lang und breit. Der Graben, der nun die hiesigen Schrebergärten vom Zugangsweg trennt, ist ganze 50 Meter lang. Der erschwerte Gartenzugang ist aber nicht das, was dem Anwohner Hansruedi Gafner (63) und einer Gruppe seiner Nachbarn am meisten Sorgen bereitet.
«Was, wenn jemand in eine der Gruben fällt?»
Im Gespräch mit Blick stellt Gafner immer wieder eine Frage: «Was, wenn jemand in eine der Gruben fällt?» Das Quartier sei voller älterer Menschen und jungen Familien mit kleinen Kindern, die sich bei einem Sturz schwer verletzen könnten. Direkt hinter seinem Wohnhaus – umzingelt von Gruben – steht der Genossenschafts-Spielplatz. An die Schrebergärten grenzt ein Kindergarten.
Das erste Unglück ist laut Gafner bereits passiert: Ein Pizzakurier habe sein Auto etwas zu schräg auf einem direkt neben einer Grube gelegenen Platz parkiert. «Er ist mit einem Rad in die Grube hineingefahren und stecken geblieben.» Dank der Hilfe einiger Passanten habe er sich glücklicherweise schnell wieder aus seiner misslichen Lage befreien können.
Gruben zur Regensammlung – Auffüllen verboten
Im Gespräch mit den Bauarbeitern findet Gafner heraus, dass es sich bei den Löchern um Sickergruben handelt. Durch die soll das Regenwasser künftig statt in die Kanalisation ins Grundwasser geführt werden. Im selben Gespräch erfährt Gafner ein weiteres schockierendes Detail: Die neuen Löcher sollen mehr oder weniger genau so bleiben, wie sie sind. Sie etwa mit grossen Steinen zu befüllen – damit sich in ihnen weiterhin Regenwasser sammeln kann, aber das Sturz-Risiko gesenkt ist – sei gesetzlich verboten.
Gafner versteht die Welt nicht mehr: «Was soll dieser Schwachsinn? Was, wenn ein Kleinkind in eine Grube fällt und im Wasser ertrinkt?» Und: «Wieso wurden wir nicht richtig über so was informiert?» Im Hauseingang sei mal ein Flyer gehangen, auf dem etwas von Wassersanierung stand, so Gafner. «Daneben war auch ein Bild von einer kleinen Grube. Aber wer rechnet gleich mit so was?»
«Da müssen Sie halt besser aufpassen»
Von seinen Bedenken erzählt Gafner auch einer offiziell aussehenden Frau, die einmal die Bauarbeiten beaufsichtigte – ob sie vom Kanton, Stadt, der Baufirma oder Gafners Wohnbaugenossenschaft kommt, weiss er nicht. «Ich war viel zu geschockt von ihrer Arroganz. Zur Gefahr wegen der Gruben meinte sie nur: ‹Da müssen Sie halt besser aufpassen.›»
Auf Anfrage von Blick erklärt das Amt für Wasser und Abfall des Kantons Bern, dass das Projekt in die Zuständigkeit der Gemeinde Thun falle. Das Auffüllen solcher Sickergruben etwa mit Steinen sei gemäss Gewässerschutzgesetz aber tatsächlich verboten. «Dadurch würde das Wasser zu schnell versickern, und die gewünschte Filterwirkung wäre zu schwach.» Für die Information der Betroffenen und allfällig notwendige Schutzmassnahmen sei dagegen die Bauherrin verantwortlich. In diesem Fall ist das Gafners Wohnbaugenossenschaft.
Schutz-Massnahmen geplant
Laut Rolf Imhof, Präsident der Wohnbaugenossenschaft Pro Familia Thun, wurden die Anwohnenden sehr wohl über das Gruben-Projekt informiert. «Wir haben mit einem Infoschreiben an den Anschlagbrettern in den Hauseingängen über die Bauarbeiten informiert und ausführlich darüber in unserem Geschäftsbericht geschrieben.» Auch über die Sicherung der Gruben habe man sich bereits Gedanken gemacht: «Wie genau die aussehen wird, wissen wir aktuell allerdings noch nicht.»
Für die genaue Gestaltung des Projekts sind die beauftragten Ingenieure von der Kissling + Zbinden AG zuständig. Auf Anfrage erklärt die Firma knapp: «Das Gewässerschutzgesetz verlangt, dass gering verschmutztes Oberflächenabwasser nicht in die Kanalisation eingeleitet, sondern über eine begrünte Oberbodenpassage in einer Mulde in den Untergrund versickert wird.» Der Auftrag sei anforderungsgemäss erfüllt worden.
Aussagen, die Gafner nicht zufriedenstellen: «Die Gruben waren jetzt mindestens einen Monat ungesichert. Die Schutzmassnahmen, die hier noch kommen sollen, will ich zuerst mal sehen.» Insbesondere da sich die Kosten für die Regenwasser-Umleitung laut Imhof bereits jetzt auf rund 150'000 Franken belaufen – gänzlich finanziert von der Genossenschaft. So zieht Gafner ein bitteres Fazit: «Der Staat schreibt vor, es ist lebensgefährlich, und zahlen müssen wir auch noch.»