SAP-erlott! Bussen-Blamage in Bern
Versäumte Mahnungen wegen IT-Problemen

Löhne und Rechnungen blieben monatelang unbezahlt – und nun auch noch ein Inkasso-Chaos: Seit Monaten kämpft der Kanton Bern mit IT-Problemen. Schuld ist eine neue Software.
Publiziert: 18.06.2023 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2023 um 17:09 Uhr
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Falsch parkiert, Busse nicht bezahlt – aber nicht gemahnt? So dürfte es einigen Bernerinnen und Bernern ergangen sein.
Foto: KEYSTONE
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Wer im Kanton Bern seine Parkbussen nicht zahlt, hat gegenwärtig kaum etwas zu befürchten: Eine Mahnung wird ihn oder sie so bald nicht erreichen. Denn das Berner Busseninkasso, der zentrale Rechnungseintreiber, kämpft mit Problemen – schon seit Monaten.

Alain Streich, Leiter Stabsabteilung bei der Finanzdirektion, bestätigt die Recherchen von SonntagsBlick: «Der automatisierte Mahnprozess wurde zwischenzeitlich gestoppt.» Spezialistinnen und Spezialisten seien daran, verschiedene Systemverbesserungen umzusetzen. Die betroffenen Dienststellen würden von zusätzlichem Personal unterstützt.

Probleme wegen neuer Software

Exakte Angaben darüber, wie viele Säumige bisher ohne Busse davongekommen sind, liegen nicht vor. Laut Streich sei aber sichergestellt, dass sämtliche ausstehenden Bussen gemahnt werden, «wenn auch verzögert».

Die Frage ist nur, wann. Denn der Grund für die Misere beim Busseninkasso sind IT-Probleme: Der Kanton Bern hat per Anfang des laufenden Jahres sein Rechnungswesen auf SAP umgestellt.

Diese Software wird auch vom Bund und von vielen Kantonen verwendet. Man kann damit Aufwände verbuchen, Rechnungen erstellen, neue Mitarbeitende erfassen, Lieferketten verwalten und vieles mehr. Eigentlich sollte mit dem neuen System alles gut werden, denn die Verwaltung löste damit zwei alte, selbst entwickelte Programme ab. Doch die Einführung macht den Verantwortlichen seit Monaten zu schaffen.

Recherche-Hinweise

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Bereits im März dieses Jahres konnte der Kanton mehr als 2700 Rechnungen nicht begleichen, Löhne von Lehrpersonen und Klassenhilfen monatelang nicht auszahlen. Laut «Berner Zeitung» mussten Lehrpersonen in einem Fall gar mehrere Tausend Franken privat vorschiessen, um ein Schneesportlager zu finanzieren. Die Probleme dauern bis heute an – sollen nun aber, so Alain Streich, bis Ende Juni 2023 abgearbeitet sein.

Chaos in der Verwaltung

Das Busseninkasso – in der Finanzdirektion von Astrid Bärtschi (50, Die Mitte) angesiedelt – regelt nicht nur Geldstrafen und Bussen aufgrund von Strafbefehlen oder Urteilen, sondern auch Aufgebote zum Strafantritt, falls ein Säumiger nicht zahlt.

Gemäss einer gut informierten Quelle herrscht seit der SAP-Einführung Chaos in der Verwaltung; die Mitarbeitenden könnten das Programm nicht bedienen und hätten daher keine Übersicht über ausstehende Bussen. Es kursieren auch Berichte über Fälle, in denen Betroffene Zahlungsbefehle erhielten, obwohl sie ihre Busse bereits gezahlt hatten. Sogar Aufgebote zum Strafantritt seien verschickt worden.

Der Kanton hingegen erklärt, den fachlich zuständigen Stellen seien solche Fälle nicht bekannt.

Probleme mit SAP bekannt

Für die Anwender ist SAP häufig anspruchsvoll. Im Kanton Basel-Stadt beispielsweise wurde ein Projekt nach zwei Jahren und monatlichen Lizenzgebühren von 40'000 Franken sistiert, weil man «die Komplexität der Software» unterschätzt habe.

Alain Streich von der Finanzdirektion schreibt: «Erfahrungen zeigen, dass bei Mitarbeitenden eine Einarbeitungs- und Angewöhnungsphase von mehreren Monaten nötig ist, um mit dem System vertraut zu werden.» Das Personal sei dementsprechend gefordert, werde aber durch verschiedene Massnahmen unterstützt. Dazu gehören zusätzliche Ressourcen, Schulungen, aber auch «begleitetes Arbeiten».

Einführung der Software um effizienter zu arbeiten

Wie viel die Bussen-Blamage im Inkasso kostet, teilt der Kanton nicht mit. Für die Umstellung auf SAP sind kantonsweit rund 90 Millionen Franken vorgesehen. Sämtliche kurzfristig ergriffenen Massnahmen und Optimierungen würden nun aus diesem Kredit finanziert, so Streich.

Mit der Einführung des SAP-Systems wollte die Berner Verwaltung ursprünglich effizienter werden – und bis zu zehn Millionen Franken pro Jahr einsparen. Um dieses Ziel zu erreichen, will der Grosse Rat nun bis zu 80 Stellen abbauen. Erst letzten Donnerstag nahm das Parlament eine Motion der Finanzkommission dazu an.

Vorerst aber braucht es eher zusätzliche Kräfte – wohl noch für eine Weile.

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