Wo Kriminalität auf Geld trifft, sind sie nicht weit weg: Rockergangs in der Schweiz. Im Wallis vertickten drei Mitglieder Kokain im grossen Stil. Im Basler Untersuchungsknast bezahlte ein anderer die Aufseherin für Sex. Und in der Berner Altstadt gingen sie vor dem Amtsgebäude so aufeinander los, dass ein Wasserwerfer auffahren musste.
Sie gehören zu den Hells Angels, Broncos, Bandidos oder anderen Organisationen – Kriminelle in Lederjacken auf lauten Töffs. Manche geniessen gar Promi-Status, lassen sich von Nati-Stars wie Breel Embolo und Granit Xhaka zum Geburtstag gratulieren. Sie wirken einflussreich, mächtig – doch der Schein trügt.
Zwar halten Rockergangs Polizei und Gerichte in der Schweiz auf Trab. Wie derzeit in Bern, wo der Berufungsprozess rund um eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Rockergangs läuft. Aus Angst vor einem Showdown zwischen Hells Angels und Bandidos am Gerichtsgebäude fährt die Polizei mit Grossaufgebot vor. Und muss dafür fast alle Wachen für die Dauer des Prozesses schliessen. Der Staat demonstriert seine Überlegenheit.
Kriminologe Dirk Baier lobt das Vorgehen der Polizei: «Man sieht hier schön, dass die Polizei Präsenz und Stärke zeigt und damit auch das Signal aussendet, für Recht und Ordnung zu sorgen.»
In den letzten Jahren warfen mehrere Gerichtsprozesse Licht auf die kriminellen Machenschaften der Gangs. Typisch sind laut Baier folgende Delikte: «Im Bezug auf einzelne Mitglieder sprechen wir von Drohungen, Erpressungen, Körperverletzungen. Als Gruppe wird insbesondere der Drogenhandel organisiert.»
Zwölf Jahre Knast
So nahm die Kantonspolizei Wallis 2023 drei Mitglieder der Bandidos wegen Kokainhandels fest. Beim Österreicher Ableger der Gruppe fanden Ermittler Waffen im Wert von 1,5 Millionen Franken. Die verantwortlichen Rocker waren teils mit den Thuner Bandidos verbandelt.
Ertan Y.*, ein ehemaliger Hells Angel, wurde letzten Mai in Basel zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Zu seinen Taten gehören neben Geldwäscherei auch mehrfache Vergewaltigung und sexuelle Handlungen mit Kindern. Der Verurteilte war in Basel bestens vernetzt. So hatte er etwa dem Schweizer Nati-Trainer Murat Yakin Uhren verkauft.
Jürg Krumm, Partner der Kanzlei Landmann & Partner in Zürich, vertrat bereits einige Mitglieder der Hells Angels vor Gericht. «Das sind ganz liebe Menschen!», sagt er gegenüber Blick.
Den Ruf der kriminellen Gang verdiene die Rockergruppe nicht, findet er. «Klar hat es unter den Mitgliedern vereinzelt schwarze Schafe, wie in jeder anderen Organisation auch», so Krumm. Auf den Hinweis, dass häufig mehrere Mitglieder vor Gericht stehen, die zusammen ein Delikt begangen haben sollen, antwortet er: «Die schwarzen Schafe schliessen sich halt manchmal zusammen. Doch der Club toleriert Drogengeschäfte nicht – das führt zum Ausschluss.»
Die Rocker von nebenan also. In Feuerthalen ZH eröffneten die Hells Angels letzten Frühling ein neues Clublokal mitten in einem Wohnquartier – und luden die Anwohnerinnen und Anwohner zu einer Grillparty ein. Jürg Krumm sagt: «Sie wollen zeigen, dass man vor ihnen keine Angst haben muss.»
Von Behörden überwacht
Das Fedpol kommt zu einer anderen Einschätzung. Die Situation in der Schweiz sei nach wie vor angespannt, da die verfeindeten Rockergruppen weiterhin um Territorium kämpften.
Der aktuelle Berufungsprozess in Bern folgt auf die erstinstanzliche Verhandlung von 2022. Damals eskalierte es vor dem Gerichtsgebäude: Hells Angels und Bandidos gingen auseinander los, Steine flogen durch die Luft.
Grund für den Prozess ist ein gewalttätiges Aufeinandertreffen der verfeindeten Töff-Clubs in Belp BE. Dabei wurden Schüsse abgefeuert und mehrere Personen verletzt.
Kriminologe Dirk Baier hält eine weitere solche Eskalation für unwahrscheinlich. «Die Gruppen wissen, dass die Behörden sie weiterhin im Blick haben. Dadurch bleibt es derzeit einigermassen ruhig», erklärt er.
«Mafia hat mehr Macht»
Lückenlos überwachen könne man die Gangs nicht. «Das ist aus meiner Sicht auch nicht nötig», so Baier. Ausserdem dürfe man die Macht der Rockerbanden nicht überschätzen. Sie würden zwar von den engen nationalen und internationalen Verbindungen sowie ihrem gewalttätigen Ruf profitieren. «Doch andere Akteure der organisierten Kriminalität, wie etwa die Mafia, haben eine grössere Macht.»
Die Urteile gegen die angeklagten Rocker wegen des Vorfalls in Belp fielen mild aus. Die meisten von ihnen kamen mit bedingten Freiheitsstrafen oder Freisprüchen davon. Denn solche Prozesse seien schwierig, sagt Baier: «Aussagen von Opfern liegen meist nicht vor, weil diese Angst haben. Gehören sie anderen Rockergruppen an, verhindert der Kodex, dass sie aussagen.»
Trotz des geringen Strafmasses legten acht der Verurteilten Berufung ein. Nun muss das Obergericht entscheiden, ob die Beweise gegen sie ausreichen.
* Name geändert