«Der Stress hat seit Corona definitiv zugenommen», sagt Sophie Luge (35). Die Deutsche sitzt auf der Terrasse des Berghotels Oeschinensee im Berner Oberland, blickt auf den See, der jedes Jahr Tausende Touristen aus aller Welt anlockt. Die Ruhe der Berge aber ist oft trügerisch. Denn im Berghotel will der Umgangston der Gäste nicht immer zur idyllischen Landschaft passen.
Seit acht Jahren arbeitet Luge in dem Betrieb, dessen Chef vergangene Woche für Schlagzeilen sorgte. Denn Gastronom Christoph Wandfluh (37) hat genug. Genug von pöbelnden Gästen, genug von Morddrohungen gegen seine Angestellten, genug von Respektlosigkeiten. Im Berghotel Oeschinensee oberhalb von Kandersteg BE gehörte dies leider viel zu oft zur Tagesordnung. Dabei benehmen sich Schweizer Gäste genauso daneben, wie es ausländische tun. All das machte Wandfluh in einem hochemotionalen Post auf Facebook publik.
Daher hat sich Wandfluh entschieden, das Gastronomiekonzept anzupassen. Statt Service am Tisch müssen sich die Gäste neu selbst wie in einer Kantine verpflegen. Self-Service ist angesagt. Das soll das Personal entlasten und zu weniger hässlichen Szenen mit den Gästen führen, Blick berichtete.
Morddrohung gegen Fahrerin
Ein unschöner Höhepunkt im Fehlverhalten der Gäste war die Morddrohung gegen eine Fahrerin des Hotels. Der Betrieb bietet einen Transportservice zur Bergstation der Seilbahn an, damit die Gäste sich den 30-minütigen Fussmarsch sparen können. «Der Bus war voll, ein Gast konnte nicht mehr mitfahren. Da hat er die Drohung gegen die Angestellte geäussert», erzählt Sophie Luge. Die Frage, ob die Drohung zur Anzeige gebracht wurde, will Chef Christoph Wandfluh nicht kommentieren.
Auch sonst kommt es beim Busbetrieb immer wieder zu unschönen Szenen. Fritz Zurbrügg (66) fährt ebenfalls Gäste mit dem Elektrobus hin und her. Er sagt: «Manchmal muss man sich schon die eine oder andere Beleidigung anhören. Zum Glück verstehe ich nicht immer alles.» Der Stressfaktor bei den Gästen sei teilweise hoch. «Das liegt auch daran, dass immer mehr den Bus nehmen wollen anstatt zu laufen», so Zurbrügg.
Eine Zunahme an Stress stellt auch Lidia Soares (42) fest. Sie arbeitet seit 22 Jahren am Oeschinensee. «Vor Corona waren die Gäste schon entspannter», sagt sie. Jetzt müsse immer alles von hier auf jetzt gehen.
Ihre Kollegin Sophie Luge ergänzt: «Ärger gibt es zum Beispiel auch, wenn ein Gast nicht den Platz bekommt, den er sich wünscht.» Dann gebe es auch einmal Beleidigungen oder unflätige Geste. «Den Mittelfinger kennen wir hier leider sehr gut.»
Neues Konzept bewährt sich
Trotz der unschönen Szenen, die sich teilweise an ihrem Arbeitsplatz abspielen: Sophie Luge und Lidia Soares wollen ihrem Arbeitsplatz treu bleiben. «Nein, an Kündigung haben wir nicht gedacht», sagen die beiden zu Blick.
Das gilt jedoch nicht für alle. Das Team des Berghotels ist innerhalb eines halben Jahres von 38 auf 23 Mitarbeitende geschrumpft. «Das Team ist super, die Chefs kümmern sich wirklich um unsere Bedürfnisse, wie man am neuen Betriebskonzept sieht», führt Luge aus.
Dieses hat die Bewährungsprobe über Pfingsten übrigens gut bestanden. «Manche Gäste wundern sich zwar über die Neuerungen, grundsätzlich sind die Feedbacks aber sehr positiv», sagt Lidia Soares. Ihre Kollegin Sophie Luge ergänzt: «Klar kann es hier am Oeschinensee mit den vielen Menschen stressig werden, aber es ist halt nicht umsonst ein beliebter Ort.»