Berner Polizei irrt sich in der Türe – und stürmt in Wohnung von Alain B.
«Ich stand splitternackt im Gang und war völlig perplex»

Obwohl sich Alain B. (38) nichts zu Schulden hat kommen lassen, stand plötzlich die Polizei in seiner Wohnung in Rüfenacht BE – weil sie einen Mann suchte, der nichts mit ihm zu tun hat. Die Kapo Bern bestätigt den Einsatz, sieht aber kein Fehlverhalten.
Publiziert: 05.09.2024 um 00:54 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2024 um 08:32 Uhr
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Denn in der Wohnung, in die die Polizisten eindrangen, wohnt Alain B. Er ist aber nicht der Mann, den die Beamten suchten, und hat nichts mit der Sache zu tun. «Ich stand splitternackt im Gang und war völlig perplex.»
Foto: Gina Krückl

Auf einen Blick

  • Die Polizei stürmte aus Versehen Wohnung von unbescholtenem Alain B. in Rüfenacht BE
  • Polizisten suchten einen unbekannten Mann und drohten Alain B.
  • Der Vorfall ereignete sich Donnerstag vor zwei Wochen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Gina KrücklReporterin

Gerade erst ist Alain B.* (38) in seine neue Wohnung gezügelt und dann das: Plötzlich steht die Polizei in seinen vier Wänden in Rüfenacht BE. Kurz zuvor aufgewacht und noch nackt muss er den Beamten beweisen, dass er nicht der Verbrecher ist, den sie suchen. Alain B. sagt: «Das kann doch nicht normal sein.»

Donnerstag vor zwei Wochen, 9 Uhr: Nach einer langen Schicht am Tag zuvor habe er ausgeschlafen, erzählt B. «Ich war noch nicht richtig wach und habe mich nackt, wie ich kurz nach dem Aufstehen bin, ins Wohnzimmer gesetzt.» Als es an seiner Haustür läutete, ignorierte er es, weil er keinen Besuch erwartete. Als dann jemand heftig an seine Wohnungstür klopfte, schaute er durch den Türspion. «Ich habe zwei mir unbekannte Männer gesehen. Also bin ich wieder ins Wohnzimmer.» Doch da öffnete sich plötzlich seine Wohnungstür.

Unbekannter gesucht

«Ich stand splitternackt im Gang und war völlig perplex», erzählt B. Er habe einige Zeit gebraucht, bis er verstanden habe, wer da gerade in seiner Wohnung stehe und was sie von ihm wollten. «Die Polizisten suchten einen Mann, den ich nicht kenne. Und dachten, das wäre ich.» Einer der Beamten sei ihm nicht von der Seite gewichen, während B. eine Trainingshose aus dem Schlafzimmer geholt habe.

Dann habe er ihnen eine Versicherungs- und eine Bankkarte gegeben – die erstbesten Gegenstände, die ihn auswiesen. Schliesslich seien die Polizisten wieder gegangen. «Zum Abschied haben sie mir gedroht, dass es schlimme Konsequenzen haben wird, wenn ich lüge.»

Geschockt habe er sich von der Arbeit abgemeldet und mit seiner Mutter gesprochen, so B. «Meine Mutter hat dann bei der Polizei angerufen, aber die hat abgestritten, dass an meiner Adresse ein Einsatz stattgefunden hat. Stattdessen haben sie etwas von Betrügern erzählt, die sich als Polizisten ausgeben.» Erst am Nachmittag hätte sich ein Beamter bei B. gemeldet, den Einsatz erklärt und sich dafür entschuldigt.

Laut Kapo «kein Fehlverhalten»

Auf Anfrage von Blick bestätigt die Kantonspolizei Bern den Einsatz. Demnach fand dieser aufgrund eines Haftbefehls statt – nach wem gesucht wurde, könne aus ermittlungstechnischen Gründen nicht gesagt werden. «Es gab einen begründeten Verdacht, dass sich die gesuchte Person in diesem Haus aufhielt», sagt ein Sprecher der Kapo. Weil bei der Wohnung von B. kein Name an der Klingel stand, hätten die Polizisten es dort versucht.

Die Beamten sahen demnach im fehlenden Namensschild einen möglichen Ansatzpunkt, den Gesuchten dort anzutreffen. Dabei hatte B. in den zwei Wochen seit seinem Umzug schlicht noch keine Zeit, neue Schilder zu kaufen. Der Sprecher führt weiter aus: «Da nach mehrmaligem Läuten und Klopfen niemand öffnete, haben die Beamten die unverschlossene Tür geöffnet und sich erneut angekündigt.» Die Polizisten hätten die Wohnung aus Sicherheitsgründen kurz betreten, als B. Kleidung und Ausweise holte. «Die Personenkontrolle hat im Treppenhaus stattgefunden.»

Die Kapo könne nachvollziehen, dass ein solches Erlebnis starke Emotionen hervorrufen kann, so der Polizeisprecher. Konsequenzen wird der Einsatz dennoch keine haben: «Es gab kein Fehlverhalten. Weder von unserer Seite, noch vonseiten des Bewohners.» Auch die Kommunikation nach dem Einsatz sei demnach vorschriftsgemäss abgelaufen. «Als die Mutter anrief, wurde ihr versichert, dass der Einsatz abgeklärt wird und wir uns später direkt bei der betreffenden Person melden werden. Das haben wir getan.»

«Was mir passiert ist, könnte jedem passieren»

Mit dieser Erklärung will sich B. nicht zufriedengeben: «Es kann doch nicht sein, dass Schweizer Polizisten so mit jemandem umgehen, der nichts getan hat.» Insbesondere, da die Polizei sogar bestätigt, dass er selbst nichts Falsches getan habe. «Das heisst: Was mir passiert ist, könnte jedem passieren.»

Tragischerweise ist B. bereits 2021 etwas Ähnliches passiert – mit deutlich schlimmeren Folgen. Eine Falschaussage brachte ihn unschuldig in ein spanisches Gefängnis. «Ich sass zwei Tage in einer Fünf-Mann-Zelle ohne Tageslicht und mit kaputter Toilette, bevor mich das EDA rausgeholt hat. Zuerst wusste ich nicht einmal, wieso ich überhaupt dort war.»

Weil er gerade erst umgezogen ist, vermutet B., dass die Polizisten seinen Vormieter gesucht haben. «Soweit ich weiss, hat der aber schon seit einiger Zeit vor meinem Einzug nicht mehr hier gewohnt.» Und selbst wenn: Er habe sich kurz nach dem Umzug auf der Gemeinde umgemeldet. «Müsste die Polizei nicht die Einwohnerdaten checken? Bevor sie in die Wohnung von jemanden eindringt, der nichts mit dem Ganzen zu tun hat?»

* Name bekannt 

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