Grosse Aufruhr nach einem Bundesgerichtsentscheid in Sissach BL: Ein Urteil zu einer Masernimpfung sorgt für erhitzte Gemüter – und vor allem für einen Menschenauflauf vor der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb).
Vor einer Woche versammelten sich erstmals Demonstranten vor dem Verwaltungsgebäude, sogar die Freiheitstrychler marschierten lautstark auf. Es brennen Grabkerzen, Plakate werden aufgehängt und ein Nachtlager mit Schlafsäcken aufgebaut. Manche Aktivisten campieren seit Tagen vor Ort. Sicherheitskräfte beaufsichtigen die friedliche «Mahnwache».
Bundesgericht schlägt Richtungswechsel ein
Hintergrund ist ein Streit zwischen zwei Elternteilen: Vater und Mutter waren sich nicht einig, ob sie ihre beiden Kinder gegen Masern impfen lassen wollen, und beschritten den Rechtsweg. Schlussendlich musste die Kesb entscheiden: Sie ordnete an, dass der Nachwuchs geimpft werden müsse – dies auf Basis einer Empfehlung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Das Bundesgericht stützte schliesslich den Entscheid der lokalen Behörde: ein Novum!
In der Schweiz galt nämlich bisher: Sollten Eltern mit einer Impfung nicht einverstanden sein, so werden die Kinder nicht geimpft. In seinem Urteil erkennt das Gericht laut einem Bericht der «Basler Zeitung» in diesem Fall jedoch eine Kindeswohlgefährdung bei einer Nichtimpfung. Eine Zwangsimpfung, die mit Polizeieinsatz durchgesetzt werden könnte, wäre ein schweizweit beispielloser Vorgang. Am Freitag droht jetzt dieser behördliche Vollzug der rechtskräftig angeordneten Masernimpfung.
«Wir bleiben so lange hier wie nötig»
«Dieses Urteil ist völlig willkürlich und ein staatlich durchgesetzter Impfzwang ist komplett verwerflich», so Aktivist Albert Niklaus Knobel (72). «Wir haben aus den Medien davon erfahren und ein aufmerksamer Bürger hat dazu aufgerufen, hier zu demonstrieren. Wir sind aus Solidarität für diese Familie hier, aber es geht auch ums Prinzip.»
Die Aktivisten kennen die Familie grossmehrheitlich nicht, sie wollen lediglich ein Zeichen gegen den Bundesgerichtsentscheid setzen. «Und wir bleiben so lange hier wie nötig», meint Knobel.
«Die Gemeinde sollte die Demonstranten wegschicken»
Vielen Passanten und Anwohnern sind die Camper ein Dorn im Auge. Urs Junker (66) aus Zunzgen BL trinkt in einer Beiz in Sissach gerade ein Bier. «Einen Gerichtsentscheid müssen wir akzeptieren und fertig», meint er. «Die Gemeinde sollte die Demonstranten wegschicken.»
Ausserdem habe er erst kürzlich eine Doku zum Thema Impfen gesehen: «Ein deutscher Arzt sagte, man habe die Masern beinahe ausgerottet – nun sei die Krankheit wieder auf dem Vormarsch. Und dies nur wegen dummer Leuten, die solche dummen Dinge machen.»
«Die Freiheit ist unser wichtigstes Gut»
Auch ein älterer Herr sagt zu Blick: «Die Camper würden sich auch besser nützlich machen. Sie könnten ja beispielsweise den Rasen mähen. Müssen die eigentlich nicht arbeiten?» Eine reifere Dame hat eine andere Meinung: «Die Freiheit ist unser wichtigstes Gut und dafür muss man kämpfen.»
Die Kesb wollte sich gegenüber Blick nicht äussern. Sie verweist auf eine Medienmitteilung, die am Freitag versandt wird. Auch der Sissacher Gemeindepräsident äussert sich auf Anfrage nicht.