Auf einen Blick
- Ausgeschaffter Afghane kickte beim Fussball einen Gegenspieler in den Kopf
- Seit zwei Monaten lebt er in einer leer stehenden Wohnung in Kabul
- Der 27-Jährige sieht sich nicht als Gefahr – seinen Fehler bereut er
Milad Ahmadi* (27) friert. In diesen Tagen ist der Winter über Kabul hereingebrochen, in der Nacht fällt die Temperatur in der afghanischen Hauptstadt unter null Grad. Ahmadi schläft in einer leer stehenden Wohnung. Die Fenster sind zum Teil kaputt, eine Heizung gibt es nicht. Ihm sei kalt, schreibt er via Whatsapp: «Ich bin allein und habe Angst. Ich will zurück in die Schweiz.»
Bis vor zwei Monaten lebte der Afghane in einem Rückkehrzentrum für abgewiesene Flüchtlinge im Kanton Bern. 2015 war er als Minderjähriger in die Schweiz eingereist. Drei Jahre später lehnten die Behörden sein Asylgesuch ab. Dann rastete er aus.
Landesverweis nach Schlägerei
Ahmadi schlug beim Fussballspielen einen anderen Flüchtling zu Boden und trat ihm gegen den Kopf. Die Tat ging glimpflich aus. Das Opfer erlitt Blutergüsse und Schürfwunden im Gesicht, aber keine schweren Verletzungen. Das Berner Regionalgericht verurteilte den Afghanen wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 16 Monaten.
Seit das Volk 2010 die Ausschaffungs-Initiative der SVP angenommen hat, zieht ein solches Urteil automatisch den Landesverweis nach sich. Doch Ahmadi blieb in der Schweiz. Rückführungen nach Kabul waren jahrelang nicht möglich. Erst wegen Corona, 2021 dann wegen der Machtübernahme der islamistischen Taliban. Beim Bund hiess es: «Ein zwangsweiser Vollzug ist aus operativen Gründen nicht möglich. Unter anderem kann die Sicherheit der begleitenden Polizisten nicht gewährleistet werden.» Ob es am politischen Willen fehlte?
Kurswechsel von Bundesrat Jans
Vor kurzem verfügte Asylminister Beat Jans einen Kurswechsel. Wie Blick publik machte, schaffte die Schweiz Ende September zum ersten Mal seit 2019 zwei verurteilte Afghanen in ihr Heimatland aus, darunter Milad Ahmadi. Nach Deutschland ist die Schweiz erst die zweite Nation Europas, die wieder Zwangsrückführungen nach Kabul durchführt. NGOs kritisieren die Praxis heftig, weil den Ausgeschafften unter den Taliban Folter und Verfolgung drohen. Das sei nicht mit dem Völkerrecht vereinbar.
Polizisten setzten Ahmadi in ein Flugzeug der Turkish Airlines nach Istanbul (Türkei). Dort angekommen, begleiteten ihn Sicherheitsbeamte weiter nach Kabul. «Wir haben es mit Straftätern zu tun, die ein Problem für die öffentliche Sicherheit der Schweiz darstellen», sagte Vincenzo Mascioli, der Vizedirektor des Staatssekretariats für Migration (SEM).
Wie gefährlich ist Milad Ahmadi? Er selbst schreibt aus Kabul: «Ich habe 2018 einen schweren Fehler gemacht, den ich bereue. Eine Gefahr bin ich aber nicht.»
Auch Ahmadis Berner Anwalt Ismet Bardakci wiegelt ab. «Mein Klient stellt für die öffentliche Sicherheit absolut keine Gefahr dar», sagt er. «Es war eine gewöhnliche Schlägerei mit Fäusten und Füssen, bei der niemand schwer verletzt wurde.» Abgesehen von diesem Vorfall habe sich Ahmadi in der Schweiz stets korrekt verhalten.
«Kein Ermessensspielraum»
Tatsächlich sass der Afghane für seine Tat in der Schweiz keinen einzigen Tag im Gefängnis. Er fiel auch nie als politischer oder religiöser Gefährder auf. Die «Wochenzeitung», die ebenfalls über den Fall berichtete, titelte kürzlich: «Ausschaffungsgrund: Bauernopfer». Sie warf dem SEM vor, mit den heiklen Rückführungen bloss Härte demonstrieren zu wollen, um in der aufgeheizten öffentlichen Debatte über Migrationspolitik zu punkten.
Das SEM wehrt sich. Auf den konkreten Fall will es aus Datenschutzgründen zwar nicht eingehen. Gerichtlich angeordnete Landesverweise durchzuführen, sei aber ein gesetzlicher Auftrag, bei dem es «keinen Ermessensspielraum» gebe.
Drei Zwangsausschaffungen bis jetzt
Nach Informationen von Blick liess der Bund vor Ahmadis Ausschaffung eine Lageeinschätzung erstellen – und kam zum Schluss, dass eine Rückführung vertretbar sei. Geprüft wurde allerdings weniger die Menschenrechtslage in Afghanistan als die Gefahr einer Doppelbestrafung, dass Ahmadi also nach seiner Verurteilung in der Schweiz auch von den Taliban noch einmal dafür bestraft würde. Diese Gefahr besteht gemäss Bund nicht.
Zur möglichen Verfolgung durch die Taliban sagt SEM-Sprecherin Magdalena Rast: «Wenn bei einer Rückkehr ein konkretes Risiko von schweren Menschenrechtsverletzungen droht, ist die zwangsweise Rückführung nicht zulässig.» In diesem Fall werde keine Ausweisung angeordnet. Das SEM habe seit 2022 jedoch 50 freiwillige und mittlerweile drei zwangsweise Rückführungen organisiert, ohne dass es nach der Ankunft in Afghanistan zu Zwischenfällen gekommen sei.
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Ahmadi ist in Kabul zwar in Freiheit, seine Lage fühle sich allerdings «wie ein Gefängnis» an, klagt er. Aus Angst vor den Islamisten gehe er kaum nach draussen. «Die Taliban haben Angehörige von mir umgebracht, als ich neun Jahre alt war.» Überprüfen lässt sich das nicht.
Als Starthilfe hätte der junge Mann vor seiner Abreise 500 Franken von den Schweizer Behörden erhalten können. Laut eigenen Aussagen habe er das Geld aber abgelehnt – aus Protest gegen seine Abschiebung. So landete Ahmadi nur mit 90 Franken in Kabul. Eine Arbeit hat er bis heute nicht – im Land am Hindukusch herrscht bittere Armut.
20 weitere Straftäter sollen nach Kabul
In der Schweiz durfte Ahmadi nicht arbeiten. In Afghanistan verkaufte er als Jugendlicher zusammen mit seinem Vater Esswaren auf der Strasse. «Ich habe mir jetzt 300 Franken von einem Bekannten geliehen», schreibt er.
Sein einziges Ziel sei jetzt: möglichst schnell weg aus Kabul, am liebsten zurück in die Schweiz. In seinem Fall bleibt das wohl ein aussichtsloser Wunsch. Weil sein Asylantrag abgelehnt wurde, hätte er bei einem zweiten Versuch kaum Chancen. Der Landesverweis der Schweiz ist zudem im gesamten Schengen-Raum registriert.
Beim Bund betrachtet man die Abschiebung von Ahmadi als Erfolg. Schon bald sollen mehrere seiner Landsleute folgen. Laut SEM befinden sich zurzeit 20 kriminelle Afghanen im Land.
* Name geändert