«Antisemitismus zersetzt unsere Demokratie»
Felix Klein kämpft im Auftrag der Bundesregierung gegen Antisemitismus

Er ist Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus: Felix Klein (56) im Gespräch über Israelkritik, judenfeindliche Morddrohungen von Schweizer Linksautonomen und warum die Schweiz einen Antisemitismusbeauftragten braucht.
Publiziert: 30.11.2024 um 17:05 Uhr
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Aktualisiert: 30.11.2024 um 18:04 Uhr
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Felix Klein ist seit 2018 bundesdeutscher Antisemitismusbeauftragter.
Foto: Philippe Rossier

Auf einen Blick

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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft

Herr Klein, sind Sie nicht langsam müde?
Felix Klein: Ich werde nicht müde. Antisemitismus ist ein Dauerthema, das seine Form ständig ändert. Darauf muss man politisch reagieren. Und wir können ja auch Erfolge nachweisen, wir haben Strukturen aufgesetzt, mit denen die Gesellschaft auf Antisemitismus reagieren kann. Das motiviert mich.

Trotzdem nimmt Antisemitismus zu. Wie erklären Sie das?
Die Situation ist grotesk. Am 7. Oktober 2023 wurden so viele Jüdinnen und Juden ermordet wie seit der Shoah nicht mehr. In der Folge schnellte der Antisemitismus in ungeahnte Höhen. Das zeigt, dass sich nicht alles steuern lässt. Hass und Hetze können in den sozialen Medien quasi binnen von Augenblicken zur Lawine werden und wie auch beispielsweise die Pandemie als Brandbeschleuniger wirken.

Wie kommt das?
In Krisenzeiten werden Menschen anfälliger für Verschwörungserzählungen, weil sie sich so selbst psychisch entlasten wollen. Da müssen wir dagegenhalten und die antisemitischen Diskurse durchbrechen.

Was macht Ihnen seit jenem 7. Oktober am meisten zu schaffen?
Akut macht mir die Sicherheit der jüdischen Menschen und ihrer Einrichtungen am meisten Sorgen. Einige jüdische Familien schicken ihre Kinder nicht mehr in die nicht jüdische Schule und in den Kindergarten, weil sie Angst haben.

Der Beauftragte für jüdisches Leben

Felix Klein ist 1968 in Darmstadt (D) geboren. Er stammt aus einer evangelischen Familie von Siebenbürger Sachsen, einer deutschsprachigen Minderheit in Rumänien. Er studierte Jura in Freiburg, Berlin und an der London School of Economics. An der Universität St. Gallen promovierte er als Völkerrechtler. Später wirkte als Diplomat in Kamerun und Italien. Seit 2018 ist er Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. In der Freizeit spielt er Geige im «Diplomatischen Streichquartett», das vor allem Werke jüdischer Komponisten aufführt. Klein ist verheiratet und Vater von drei Töchtern.

Felix Klein ist 1968 in Darmstadt (D) geboren. Er stammt aus einer evangelischen Familie von Siebenbürger Sachsen, einer deutschsprachigen Minderheit in Rumänien. Er studierte Jura in Freiburg, Berlin und an der London School of Economics. An der Universität St. Gallen promovierte er als Völkerrechtler. Später wirkte als Diplomat in Kamerun und Italien. Seit 2018 ist er Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. In der Freizeit spielt er Geige im «Diplomatischen Streichquartett», das vor allem Werke jüdischer Komponisten aufführt. Klein ist verheiratet und Vater von drei Töchtern.

Auch in der Schweiz ist das der Fall. Wer steckt dahinter?
Die Bedrohung geht zumindest in Deutschland aktuell stark von arabischstämmigen Gruppierungen aus. Das hat auch mit einer mangelnden Integration zu tun. Das muss man benennen, da darf man keine falsche Scheu haben.

In der Schweiz fällt die linksautonome Szene mit ihrer radikalen Anti-Israel-Haltung auf. Wo hört Israelkritik auf und wo fängt Antisemitismus an?
Kritik an der Politik Israels ist zulässig. Auch ich selbst sehe Handlungen der israelischen Regierung und Armee kritisch. Allerdings legen viele Kritiker so hohe Massstäbe bei Israel an wie sonst bei keinem Land. Es fallen Begriffe, die für Antisemitismus den Boden bereiten. Auch die Kritik am staatlichen Handeln Israels generell auf «die Juden» zu übertragen, ist antisemitisch.

Welche zum Beispiel?
Wenn man sagt: Israel führe einen Vernichtungsfeldzug. Das ist antisemitisch. Der Begriff ist historisch belastet, er gehört in die NS-Zeit. Oft hört man auch Genozid-Vorwürfe. Das ist absurd. Der Vorwurf des Genozids unterstellt, die israelische Armee greife in Gaza Palästinenser allein aus dem Grund an, dass sie Palästinenser sind. Das trifft nicht zu. Tatsache ist hingegen, dass Israel sein Recht auf Selbstverteidigung wahrnimmt und versucht, Hamas-Terroristen zu töten sowie seine Staatsbürger zu befreien, die dort immer noch in Geiselhaft sind.

Trifft aber auch zivile Opfer.
Ja, leider kommen dabei viele unschuldige palästinensische Menschen ums Leben. Doch das ist zu einem Grossteil der Terrororganisation Hamas zuzurechnen. Dass die Hamas ihre Angriffsbasen beispielsweise bewusst in der unmittelbaren Nähe von Krankenhäusern und Schulen verortet hat, zeigt die Menschenverachtung auch gegenüber der eigenen Zivilbevölkerung.

Wie kritisiert man Israel, ohne antisemitisch zu sein?
Man kann durchaus etwa darüber streiten, ob die Handlungen Israels im Gazastreifen verhältnismässig sind, solange man dessen Existenzrecht nicht infrage stellt.

In der Schweiz tauchen immer öfter rote Dreiecke an Häuserwänden auf, die in Zusammenhang mit Jüdinnen und Juden stehen – als sogenanntes Symbol der Hamas. Wie beurteilen Sie das?
Das rote Dreieck sollte man als einen Aufruf zum Mord zu verstehen. Es signalisiert Hamas-Unterstützenden: «Hier ist ein Ziel, greift das Haus oder die Menschen hier an.» Das ist völlig inakzeptabel und sollte nicht straflos bleiben. Daran sieht man gut, wie Antisemiten die roten Linien immer weiter verschieben.

Unternimmt die Schweiz genug gegen Antisemitismus?
Die Schweiz ist aus meiner Sicht auf einem guten Weg. Eine nationale Antisemitismusstrategie sowie ein Holocaust-Denkmal sind in Arbeit. Bundesrat und Parlament sind bereit, das Thema offensiv anzugehen. Ich stelle einzig fest, dass es noch kein Holocaust-Museum in der Schweiz gibt. Für die Erinnerungskultur und Debatten über Antisemitismus wäre das wichtig.

So erinnert man in der Schweiz an die Shoah

Bald soll in der Stadt Bern ein eidgenössisches Holocaust-Mahnmal stehen. Der Bund sprach dafür 2,5 Millionen Franken. Bisher gibt es zwar einige Dutzend kleinere Denkmäler, die an die Opfer der Judenvernichtung erinnern. Sie wurden aber primär auf private Initiative hin erstellt. Weiter erinnert die Dauerausstellung zur Schweizer Geschichte des Landesmuseums in Zürich an die Shoah, dies durch vier Video-Gespräche mit Holocaust-Überlebenden. Auch die Gamaraal-Stiftung tut dies unter: www.last-swiss-holocaust-survivors.ch.

Bald soll in der Stadt Bern ein eidgenössisches Holocaust-Mahnmal stehen. Der Bund sprach dafür 2,5 Millionen Franken. Bisher gibt es zwar einige Dutzend kleinere Denkmäler, die an die Opfer der Judenvernichtung erinnern. Sie wurden aber primär auf private Initiative hin erstellt. Weiter erinnert die Dauerausstellung zur Schweizer Geschichte des Landesmuseums in Zürich an die Shoah, dies durch vier Video-Gespräche mit Holocaust-Überlebenden. Auch die Gamaraal-Stiftung tut dies unter: www.last-swiss-holocaust-survivors.ch.

Bis vor einem Jahr sperrte sich der Bundesrat gegen ein Verbot von Nazi-Symbolen. Im Moment noch kann man ungestraft den Hitlergruss machen. Ist die Schweiz zu zögerlich?
In Deutschland hilft es uns beim Kampf gegen Antisemitismus sehr, dass der Hitlergruss und andere Nazi-Symbole unter Strafe gestellt sind.

Nazi-Symbole sind bloss die Symptome, Antisemitismus brodelt weiter. Was bringt ein Verbot?
Man kann und muss demokratiefeindliche Tendenzen stoppen. Wie der berühmte, jüdische Philosoph Karl Popper sinngemäss sagte: Die uneingeschränkte Toleranz führt am Ende zur Abschaffung der Toleranz, weil dann die Intoleranten übernehmen. Der Staat sollte darüber hinaus auch Präventionsmassnahmen stärker unterstützen. Es braucht mehr Aufklärung. Doch der Staat alleine kann es nicht richten. Auch die Zivilgesellschaft, Sportvereine, Betriebe und Kirchen sind gefragt.

Braucht die Schweiz einen Antisemitismusbeauftragten?
Unsere Erfahrung in Deutschland zeigt, dass es gut ist, ein Amt zu haben, das das Thema dauerhaft im Blick hat und nicht nur, wenn etwas passiert. Es braucht gut vernetzte und langfristige Strukturen, um Antisemitismus zu bekämpfen. Auch für die schweizerisch-jüdische Community wäre es sinnvoll, wenn sie eine zentrale Ansprechperson in der Regierung hätte.

Kürzlich sprachen Sie von einem «Tsunami an Antisemitismus». Hört man Ihnen noch genug zu oder beobachten Sie eine gewisse Ermüdung beim Thema Antisemitismus?
Manche Menschen winken ab, wenn sie das Wort Antisemitismus hören. Doch wir können uns nicht genug damit beschäftigen. Er trifft nicht nur die jüdische Bevölkerung. Antisemitismus zersetzt auch unsere Demokratie. Wenn jemand denkt, Juden hätten insgeheim die Macht über Medien, Politik oder Banken, misstraut er der Demokratie. Diese beruht ja gerade darauf, dass alle Menschen gleiche Rechte haben.

Gerade gewann mit Donald Trump ein Demagoge die Wahl. Spüren Sie schon Folgen?
Was im Nahen Osten passiert, prägt meine Arbeit sehr. Seit der Wahl höre ich höchst problematische Äusserungen israelischer Politiker, die jetzt davon fantasieren, Teile des Westjordanlands zu annektieren oder die Bevölkerung im Gazastreifen auszuhungern. Und wenn ich dies sage, ist das im Übrigen keineswegs antisemitisch. Weil Trump die Wahl gewonnen hat, glauben sie, für ihre radikalen Ideen mehr Raum zu haben. Das ist hochgefährlich. Jetzt können auch bei uns Judenhasser sagen: Israel will eben doch völkerrechtswidrig handeln.

Nützt oder schadet Trump den Jüdinnen und Juden insgesamt?
Bis jetzt sehe ich, was das angeht, keine Probleme. Eine erste Personalentscheidung von ihm begrüsse ich. Die künftige US-Botschafterin bei der Uno, Elise Stefanik, ist die Frau, die im Kongress die drei Präsidentinnen der Elite-Universitäten kritisch befragt hat. Nach der Befragung mussten alle drei zurücktreten, weil sie sich nicht klar gegen den Aufruf zum Mord an Jüdinnen und Juden gestellt haben.

Auch Deutschland ist angeschlagen, die Regierungskoalition ist zerfallen, die AfD im Aufwind. Wie gefährlich ist die rechtsextreme Partei?
Ich mache mir wegen der AfD grosse Sorgen. Sie versucht, die roten Linien des Diskurses immer weiter zu verschieben. Herr Höcke (Anm. d. Red.: der Thüringer AfD-Chef) beispielsweise untergräbt Errungenschaften der deutschen Erinnerungskultur. Er schwadroniert von einem Schlussstrich, den man unter die Holocaust-Vergangenheit ziehen soll, und bekommt von Teilen der Bevölkerung dafür auch noch Applaus.

2017 nannte Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin «Denkmal der Schande». Was entgegnen Sie den Rechtsextremen, die eine Schuldkultur beklagen?
Um Schuld geht es nicht. Wir nach der Shoah geborenen Deutschen haben keine Schuld. Wir haben eine Verantwortung. Wir haben diese Erbschaft und damit müssen wir umgehen.

Wenn Sie auf die Welt blicken, die derzeit so aus den Fugen ist … 

Wir leben in sehr gefährlichen Zeiten.

… was liegt Ihnen am meisten auf dem Magen?
Mehr Leute als früher sind anfällig für demokratiefeindliche Narrative. Sie haben eine Sehnsucht nach autoritären Strukturen. Gleichzeitig sind viele Menschen dieser Entwicklung gegenüber gleichgültig, sie lesen keine Nachrichten mehr. Das macht mir mindestens so viel Sorgen wie der Judenhass, der sich in Straftaten äussert. Die Passivität vieler Menschen ist gefährlich. Da sehe ich Parallelen zu den 1930er-Jahren.

Was macht Ihnen Hoffnung?
Gerade in der letzten Zeit hat sich gezeigt, dass die Gesellschaft in der Lage ist, auch kulturprägende negative Dinge zu überwinden. Das Bewusstsein für Antisemitismus als Problem ist insgesamt gestiegen. Die Akzeptanz beispielsweise von Homosexuellen oder alternativen Lebensformen hat zugenommen. Vor allem die Jüngeren machen mir grosse Hoffnung, sie sind insgesamt sensibilisierter als es meine Generation damals war.

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