Der Vater ist Schreiner und zimmert Kirchenbänke. Die Mutter ist tiefgläubig und betet mehrmals am Tag. Ihre sieben Kinder erzieht sie in Waldshut (D) nahe der Schweizer Grenze sehr religiös. «Heute würde man das dogmatisch nennen», sagt Andreas Tröndle (58). Der grösste Wunsch der Mutter: Einer der Söhne wird Priester. Andreas setzt sich am meisten damit auseinander: «Ich war als Kind verträumt; das Religiöse, Spirituelle hat mich schon immer fasziniert. Das kriegt man in die Wiege gelegt.»
Er studiert Theologie und Sozialpädagogik. 1994 wird er Jugendseelsorger im aargauischen Fricktal. Tröndle ist katholisch, bezeichnet sich aber als progressiv und liberal. Er gestaltet den Glauben freier. Er zeigt den Jungen die verschiedenen Facetten von Religion. Damit hat er bei den Katholiken keinen leichten Stand. Auch weil er kein geweihter Priester ist. In Armut leben, zölibatär und gehorsam gegenüber dem Bischof – das passt ihm nicht. Er ist manch einem Pfarrer ein Dorn im Auge. Er soll die Jugendlichen «rekrutieren», sie seinen Kollegen in die Kirche schicken. Nach fünfeinhalb Jahren hört er auf.
Durch den Tanz lernte er, sich selbst zu lieben
Er entdeckt das freie Tanzen. Konkret die 5 Rhythmen, eine Bewegungsmeditationspraxis. Wie sein damaliger Lehrer über Spiritualität spricht, imponiert Tröndle mehr als jeder Priester. Er erlebt darin viel Befreiendes, so ganz anders als die Schwere der katholischen Kirche, in der man vor allem ein Schuldiger ist. Und so wird der Seelsorger Tanzlehrer.
Tanzen kann rauschhaft und transzendent sein. Es gehe darum, mit sich selbst in Verbindung zu sein. «Tanz dich ganz» umschreibt er den Kern seiner Arbeit. Der Mensch habe eine grosse Sehnsucht, sich selber in etwas Grösserem aufzulösen. «Im freien Tanzen machen viele Menschen diese Erfahrung», sagt der 58-Jährige. «Das Bedürfnis nach Spiritualität ist riesig.» Er verbindet das Tanzen mit seinem spirituellen Hintergrund. Religion kommt dabei nicht vor, auch wenn er es als wildes Beten bezeichnet und oft auch von Gott spricht. Er sei halt Theologe, sagt Tröndle lachend. Seit einigen Jahren integriert er das Tanzen in freier Natur in seine Arbeit, im Wald oder auf dem kleinen Permakulturhof in Zürich-Höngg, wo er mit seiner Frau lebt.
Sein Verhältnis zum katholischen Glauben ist ambivalent. Er hat sich von der katholischen Kirche entfernt, ausgetreten ist er nie. Das sind seine Wurzeln. Die Kirche und ihre Rituale hätten sich weit von der Lebenswirklichkeit der Leute weg entwickelt. Er spricht die Doppelmoral an. Die Missbrauchsfälle. «Ich kenne den Laden», sagt der 58-Jährige. «Da tut sich nicht viel, wenn die Schmerzgrenze noch nicht erreicht ist. Aber wenn ihnen zu viele Mitglieder davonrennen, bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sich zu verändern.»
Tröndle glaubt, dass es vielleicht noch eine Aufgabe für ihn in der Kirche geben könnte. Als Brückenbauer. «Viele Pfarrer sind neidisch, wenn sie sehen, wie viele Leute ich mit meinem spirituellen Tanz anspreche», sagt er. Auch in der Kirche. Sein Angebot am Sonntagmorgen: «Sunday-Prayer-Waves». Die Idee: Man muss eine Predigt nicht herunterleiern, sondern kann sie auch tanzen.
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