Es sind die Fragen ihrer Kinder, die sie zum Nachdenken bringen. Woher kommen wir? Wer hat uns gemacht? Michelle de Oliveira weiss selbst nicht, was sie eigentlich glaubt. Sie fängt an, sich mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Sie fragt sich: «Habe ich überhaupt einen Glauben?» Unbewusst sei sie wohl schon immer auf der Suche gewesen. Seit sie 2017 aus der katholischen Kirche ausgetreten ist.
Die 38-Jährige wächst in Zug römisch-katholisch auf. Nicht weil ihre Eltern sehr religiös sind, sondern weil «man das einfach so machte». Taufe, Erstkommunion, Firmung. Das stellt sie nicht infrage, weil, wieder: «Das machte man einfach so.» Die Kirche und den Katholizismus stellt sie das erste Mal infrage, als sie mit ihrer Familie in der Kirche den Rosenkranz für ihren verstorbenen Grossvater betet. «Ich bin ein Sünder und muss um Vergebung bitten» – das stimmte für sie nicht. De Oliveira ist Ende 20 und spricht mit ihren Eltern darüber. Auch die Mutter hat Zweifel. Nicht am Glauben, aber an der Institution Kirche. 32-jährig tritt de Oliveira schliesslich aus der römisch-katholischen Kirche aus.
«Das war kein grosser Akt für mich. Ich wollte es einfach erledigt haben», sagt sie. De Oliveira ist «diesen alten Zopf los», suchend ist sie noch immer. Sie fühlt sich oft orientierungslos, wünscht sich Sicherheit, etwas, an dem sie sich festhalten kann. Sie bastelt sich aus spirituellen Praktiken ihren eigenen Glauben zusammen. Doch das braucht grossen Effort – und vor allem befriedigt es de Oliveira nicht wirklich. Auf der Suche nach Antworten kommt ihr die Idee für ein Buch. «Das Thema hat sich mir aufgedrängt», sagt de Oliveira. Sie ist sich sicher, dass viele die gleichen Fragen haben wie sie. Ihr Buch «Ich glaube, mir fehlt der Glaube. 14 Gespräche über Religion, Glaube und Spiritualität» erscheint Mitte März. Dort schreibt die 38-Jährige: «Ich stehe am Anfang meiner Glaubensreise.»
Nach wie vor geht de Oliveira gerne in eine Kirche und zündet eine Kerze an. «Darf ich das? Ich bin ja ausgetreten?», fragt sie sich dann. Warum sie sich trotz Kirchenaustritt hin und wieder in eine Kirchenbank setzt, beschreibt sie wie folgt: «Es ist das Gefühl der Ruhe. Ich kann durchatmen. Ich kann hinhören, was mich beschäftigt, und auch etwas deponieren. Ich spüre eine Energie und die Anbindung an etwas Höheres, das ich nicht fassen kann.»
Michelle de Oliveira will glauben, sie weiss bloss noch nicht was. Ein Leben ohne zu glauben, dass es etwas Höheres gibt, will sie nicht. Es sei schöner, zu glauben, dass es etwas gibt. Dass sie in einem grossen Ganzen aufgehoben ist. «Das kann ich jetzt zulassen und sagen.» Ihre Glaubensreise öffentlich zu machen, war ihr zuerst unangenehm. Wie reagiert ihr Umfeld? Wird sie als Esoterikerin abgestempelt? Als naiv? Diese Bedenken hat sie überwunden. Auch weil sie sich sicher ist, dass viele offene Fragen haben und nicht wissen, ob sie glauben und woran sie glauben.
Michelle de Oliveira stammt aus Zug, sie ist freie Journalistin und Autorin und wohnt seit zwei Jahren mit ihrer Familie in Portugal.