Elternzeit, «Nein heisst Nein» beim Sex, Genderstern – das Thema Geschlecht ist omnipräsent. Und politisch umstritten. Wie sehr dies auch die breite Bevölkerung beschäftigt, darüber ist wenig bekannt. Die Initiative #geschlechtergerechter ändert das nun. Im Dezember finanzierte sie eine erste Studie: Die Befragung von 2700 Menschen des Forschungsinstituts Sotomo zeigte: Traditionelle Rollenbilder sind vor allem unter Männern immer noch weit verbreitet. Nur ein Drittel der Männer finden Frauen mit männlichen Zügen attraktiv. Und Männer, die Vollzeit arbeiten, nehmen sich selber als männlicher wahr als Männer, die Teilzeit arbeiten.
Die Initiative #geschlechtergerechter versteht sich als Debatten-Raum – online als Website und im realen Leben mit Veranstaltungen. Treibende Kraft dahinter ist die Zürcher Mäzenin Monique Bär, die aus der Bankiersfamilie Bär stammt. Die Vision von Bär und ihrem Team: Menschen zusammenbringen, Konsens ermöglichen. Das Projekt ist breit abgestützt, von Pro Juventute bis zum Kaufmännischen Verband Schweiz. Und wird wissenschaftlich begleitet. Unter anderem durch eine alljährliche Befragung der Bevölkerung. Die aktuelle Studie ist exemplarisch, aber nicht repräsentativ.
Die Initiative #geschlechtergerechter versteht sich als Debatten-Raum – online als Website und im realen Leben mit Veranstaltungen. Treibende Kraft dahinter ist die Zürcher Mäzenin Monique Bär, die aus der Bankiersfamilie Bär stammt. Die Vision von Bär und ihrem Team: Menschen zusammenbringen, Konsens ermöglichen. Das Projekt ist breit abgestützt, von Pro Juventute bis zum Kaufmännischen Verband Schweiz. Und wird wissenschaftlich begleitet. Unter anderem durch eine alljährliche Befragung der Bevölkerung. Die aktuelle Studie ist exemplarisch, aber nicht repräsentativ.
Nun liegt die zweite Studie vor. Ihr Fokus: die Generationen und ihre Haltung zum Thema Geschlecht. 57 Menschen aus fünf Altersgruppen zwischen 20 und 80 Jahren kamen dafür zusammen und diskutierten. Die Beratungsunternehmen Sensor Advice wertete die Gespräche aus. Das Resultat zeigt: Vor allem bei der geschlechtergerechten Sprache tut sich ein Graben auf. Darüber und über das Thema Geschlecht im Allgemeinen sprachen wir mit fünf Menschen, die teilweise an der Studie teilnahmen. Zuerst aber die wichtigsten Punkte aus der Studie.
Bei der gendergerechten Sprache gibt es verschiedene Schreibweisen:
- Genderstern: Schüler*innen, mit Binnen-I (wortinterne Grossschreibung): SchülerInnen
- Gender-Gap (Unterstrich; Doppelpunkt): Schüler_innen und Schüler:innen, oder mit Schrägstrich: Schüler/innen.
Blick verwendet keine Sonderzeichen, bemüht sich aber, wo es geht, gendergerecht zu formulieren. Zum Beispiel: Leserinnen und Leser.
Bei der gendergerechten Sprache gibt es verschiedene Schreibweisen:
- Genderstern: Schüler*innen, mit Binnen-I (wortinterne Grossschreibung): SchülerInnen
- Gender-Gap (Unterstrich; Doppelpunkt): Schüler_innen und Schüler:innen, oder mit Schrägstrich: Schüler/innen.
Blick verwendet keine Sonderzeichen, bemüht sich aber, wo es geht, gendergerecht zu formulieren. Zum Beispiel: Leserinnen und Leser.
Eine neue Sprache muss man üben
Vor allem die Männer zwischen Mitte fünfzig und 70 Jahren haben Mühe mit einer geschlechtergerechten Sprache – im Gegensatz zu den gleichaltrigen Frauen. Robi Schöpfer (63) sagt: «Mit der Sprache löst man keine Probleme.» Anders sehen das die Jungen. Lilly Boos (23) sagt: «Alles und alle sollen Platz haben. Auch in der Sprache.» Boos benutzt den Genderdoppelpunkt. Auch beim Sprechen, wo sie eine Genderpause macht. Eine Erklärung für den Generationenunterschied: Ältere Männer werden in der Debatte oft scharf kritisiert. Sehen die neue Sprache deshalb eher kritisch. Eine weitere hat die Linguistin Fabienne Tissot von Sensor Advice: «Je älter man ist, desto weniger hat man gendergerechte Sprache erlernt und geübt.» Und so etabliere sich eine neue Sprache.
Über alte und neue Rollenmuster
Weitere Erkenntnisse: Wenn Kinder ins Spiel kommen, denken vor allem Frauen über die eigene Rolle nach. Miriam Nietlispach (39), Mutter, sagt: «Bei uns zu Hause haben sich traditionelle Rollenmuster eingeschlichen.» Obwohl sie sich vor den Kindern nicht als typische Mutter gesehen habe.
Männer und Frauen in den Fünfzigern und älter beschäftigt wiederum vor allem die Gleichstellungspolitik – Lohngleichheit oder Vereinbarung von Arbeit und Familie. Matthias Sander (51), Vater, sagt: «Mütter wollen nicht mehr Heimchen am Herd sein.» Männer müssten zu Hause mehr Verantwortung übernehmen – und seien überfordert. Ihnen seien die weiblichen Anteile aberzogen worden.
Und so stehen zwei Männer und drei Frauen zwischen 23 und 63 Jahren zum Thema Geschlecht:
Robi Schöpfer (63), Kriens LU
Robi Schöpfer ist verheiratet, kinderlos und frisch pensioniert. Und jobbt nun noch als Chauffeur unter anderem für ein Bestattungsunternehmen.
«Was mich am meisten stört: die ‹Benamsung›. Zum Beispiel den Genderstern. Das ist mir fremd. Mit der Sprache löst man keine Probleme. Frauen haben es schwer, das ist eine Realität. Sie müssen dreimal mehr arbeiten, um gleich weit zu kommen wie ein Mann. Verdienen weniger. Und dann ist da noch das Thema mit der Hausarbeit. Du bist nur Hausfrau, heisst es. Das ist ein Riesenjob! Meine Frau hilft bei einer Familie aus, macht deren Hausarbeit, bringt die Kinder in die Schule, dafür musst du vif sein. Auch Männer werden abgewertet, wenn es heisst: Der arbeitet auf der Gemeinde, putzt nur die Strasse. Aber das erleben Frauen noch mehr. Wegen unseres Patriarchats. Eine uralte Geschichte. Das ist bei mir und meiner Frau nicht so. Wir sind seit fast dreissig Jahren verheiratet. Und teilen uns die Hausarbeit. Ich wasche auch Wäsche, sauge Staub, gehe mit dem Hund raus, kaufe Essen ein. Meine Kollegen sagen, ich hätte viele weibliche Hormone. Vielleicht denken die das, weil ich darauf bedacht bin, dass es allen gut geht. Ich möchte mit allen auskommen. Es braucht viel, bis es mir den Nuggi raushaut. Ich schlichte gerne, habe es nicht gerne, wenn eine schlechte Atmosphäre herrscht. Wenn das weiblich sein soll, dann ist es halt so.»
Lilly Boos (23), Zürich
Lilly Boos wohnt in Zürich und ist Kita-Betreuerin.
«Ich identifiziere mich klar als Frau. Das lebe ich so aus, wie ich möchte. Der Blazer, den ich heute trage, gehört meinem Bruder. Mein Ex-Freund und ich tauschten ab und zu Kleider: Ich trug seine XL-T-Shirts und er meine Jacke. Die meisten denken binär. Es gibt nur Mann und Frau. Es gibt vieles dazwischen. Mir ist wichtig: Alles und alle sollen Platz haben. Auch in der Sprache. Beim Sprechen mache ich eine Pause zwischen dem ‹Freund:› und ‹innen›. Anfangs musste ich mich öfter korrigieren, jetzt passiert es automatisch. Und ich sage nicht: Diese Frau oder dieser Mann, sondern: diese Person. Das Geschlecht, das ich bei anderen lese, muss nicht das sein, mit dem sich die Person identifiziert. Im Alltag stosse ich damit manchmal an Grenzen. In der Kita-Branche wird fast nur die weibliche Form benutzt. Oft heisst es: ‹Das Telefon darfst du nicht nehmen, das ist nur für die Frauen.› Ich habe angefangen, von ‹Erwachsenen› zu sprechen. Wir haben ja auch einen Mann im Team. Er sagte anfangs, es sei ihm egal, er wisse ja, dass er mitgemeint sei. Das klassische Argument. Mittlerweile spricht auch er immer öfter genderneutral. Ich möchte noch mehr bewegen. Möchte nun Ergotherapie studieren und mich danach zur Sexualpädagogin weiterbilden. Bei der Aufklärung der Jugendlichen gibt es viel zu tun. Noch immer gehts da vor allem um Mann und Frau und um Heterosexualität. Das möchte ich ändern.»
Miriam Nietlispach (39), Aarau
Miriam Nietlispach ist verheiratet, hat zwei Kinder, und ist Designerin und Projektleiterin in der Produktentwicklung.
«Ich bin gegen fixe Rollenbilder. Sie schränken meine Kinder oder mich ein, das stresst mich. Am Arbeitsplatz sagte man mir mal, ich sei pushy. Für uns Frauen in einer männerdominierten Branche ist es schwierig. Wir müssen uns profilieren und durchsetzen, aber ja nicht zu viel. Sonst wirken wir unsympathisch. Ich habe mir früher oft überlegt, wie viel jetzt drin liegt, was zu viel ist. Jetzt, wo ich älter bin, bin ich ich selber. Doch bei uns zu Hause haben sich traditionelle Rollenmuster eingeschlichen. Mein Partner hilft bei der Kinderbetreuung. Aber er bringt auch den Abfall raus. Und wenn wir zu viert im Auto unterwegs sind, fährt er. Ich habe das Gefühl, ich müsse beim Fahren immer auch noch die Bedürfnisse der Kinder im Blick haben, das hat er nicht. Deshalb machen wir es so. Ich bin von uns beiden auch diejenige, die die feinstofflichen Dinge auf dem Radar hat. Ein Beispiel: Mein Partner macht die Kinder am Morgen für die Schule parat und sie weigern sich, die Zähne zu putzen. In diesem Moment merke ich: Es beschäftigt sie etwas, jetzt sollte man ihnen kurz zuhören. Ich sage ihm dann, frag sie doch schnell, ob was ist. Bevor ich Kinder hatte, sah ich mich nicht als die typische Mutter, überhaupt war lange unklar, ob ich Kinder möchte. Dieses Kümmern kam erst mit den Kindern.»
Matthias Sander (51), Gattikon ZH
Matthias Sander, ist verheiratet, hat sechs Kinder, ist tiergestützter Persönlichkeitscoach und IT-Projektleiter.
«Mädchen erzieht man fortschrittlicher als Jungs. Wenn im Sandkasten Julia der Johanna die Schaufel auf die Nase haut, sagt man: Schau, das kann man anders lösen. Wenn das Gleiche der Justus mit dem Jan macht, heisst es: Weine nicht, schlag zurück! Das wirkt sich später in der Familie aus. Mütter wollen nicht mehr Heimchen am Herd sein. Die Ansprüche an die Männer sind gestiegen. Sie müssen zu Hause mehr Verantwortung übernehmen – und sind überfordert. Weil ihnen alle weiblichen Anteile aberzogen wurden. Sie haben Mühe, Gefühle zu spüren und zu zeigen und auf die Kinder einzugehen. Ich kenne das selber. Ich brauchte lange, um zu meinen Emotionen zu finden, um mich zu öffnen. Was mir half: die Arbeit mit Pferden und eine Ausbildung zum Persönlichkeitstrainer. Früher machte ich Leistungssport, lief Marathon, um mich über den Schmerz besser zu spüren. Gefühle waren auch im Job nicht gefragt. Die IT-Branche funktioniert rational. Ich wäre ausgelacht worden, wenn ich in eine Managementsitzung reingegangen wäre und eine Entscheidung so begründet hätte: Mein Bauch sagt mir, das ist nicht gut. Heute höre ich auf meine Intuition. Das gibt mir Selbstsicherheit. Jeder Mensch hat einen weiblichen und einen männlichen Anteil. Bei den Mädchen ist es normal, dass sie Fussball spielen, Jungs sieht man hingegen kaum im Ballet. Weil es nicht gefördert wird. Man muss aufhören, einen Unterschied zu machen.»
Anja Kroll (59), Lenzburg AG
Anja Kroll hat einen Partner, ist kinderlos, arbeitet Teilzeit als Anwendungssupporterin.
«Ich war schon als Kind gut in Mathe, ging später aufs naturwissenschaftliche Gymnasium, studierte Informatik und leitete viele Jahre lang IT-Grossprojekte. Daneben machte ich im Gleitschirmfliegen Karriere – meine grosse Leidenschaft. All das sind Männerdomänen. Und das spürte ich öfter mal. Ich erfuhr schon früh, was eine gläserne Decke ist. Als es darum ging, eine Position zu besetzen. Ein Kollege und ich standen zur Wahl. Mein Vorgesetzter sagte mir, du hast kürzlich geheiratet, wirst Kinder haben, willst die Stelle sicher nicht. Ich wurde nicht einmal gefragt. Ich war die Jüngere, die Unerfahrene – das wären legitime Argumente gewesen. Aber ich war halt eine Frau, das bekam ich auch sonst im Berufsalltag manchmal zu spüren. Wenn ich mit einem gleichaltrigen Kollegen bei Kunden war, dachten diese öfter mal, dass er der Chef sei und ich seine Assistentin. Eigentlich ist das ‹no big deal›, aber ist halt trotzdem nicht so angenehm. Frau muss sich erst beweisen. Überhaupt gehts in männerdominierten Runden oft darum, sich zu beweisen. Ich nenne das Quartettspielen: schneller, höher, weiter. Ich bin noch als Freiwillige in der Palliativ- und Spiritualcare und politisch bei den Grünen aktiv. Da sind wir mehr Frauen als Männer, haben einen kooperativen Spirit. In guten Frauenteams ist die Kooperation sehr stark. In Männerrunden ist es eher das Konkurrenzdenken.»