Wenn es um den Gotthard geht, werden Superlative schnell zu klein. Kein Tunnel ist länger als der Basistunnel mit seinen 57 Kilometern. Wohl keine europäische Zugverbindung ist wichtiger für den Güterverkehr. Der Rekordtunnel unter den Schweizer Alpen gilt als nichts weniger als ein modernes Weltwunder. Doch nach der Zugentgleisung vor zwei Wochen hat sich das Wunder als Achillesferse entpuppt. Dort, wo Nord- und Süd normalerweise zusammenwachsen, herrschte Stillstand.
Ein Stau von Madrid bis Bangkok
Für Berge von Gütern mussten alternative Routen für die Alpenquerung gefunden werden. Und das ist komplizierter als bei den Passagieren: Einstöckige Personenzüge konnten über die Bergstrecke umgeleitet werden, auch wenn das die Reisezeiten verlängerte. Mit vielen Güterzügen geht das nicht.
Die Strasse ist auch keine Lösung. Vergangenes Jahr gingen gegen 20 Millionen Tonnen Waren über die Schienen durch den Gotthard-Basistunnel, bis zu 260 Güterzüge pro Tag. Geht man davon aus, dass ein 40-Tonnen-Lastwagen etwa 25 Tonnen Gewicht zuladen kann, ergäbe das pro Jahr eine Kolonne von 800'000 LKW. Oder ein Stau, der von Madrid nach Bangkok reichen würde.
Über den Gotthard gehen die Verkehrslinien der grossen Nordsee-Häfen in Rotterdam und Hamburg zum Mittelmeer. Die Strecke verbindet Regionen, die schon seit Langem zu den ökonomischen Lokomotiven Europas zähen: die Benelux-Staaten, das westdeutsche Ruhrgebiet und die italienischen Metropolen der Poebene wie Mailand und Turin.
Die teuerste Panne der Schweiz?
Das zeigt sich am Gotthard-Güterverkehr. Nur sechs Prozent des Transportvolumens läuft zwischen dem Tessin und der restlichen Schweiz. Auch Schweizer Importe und Exporte machen einen ähnlich kleinen Teil des Gotthard-Schienenverkehrs aus. Der grosse Rest ist Transit. Das Problem ist also weniger, dass in der Nordschweiz das Olivenöl ausgehen könnte. Vielmehr befürchteten die Spediteure eine massive Erhöhung der Transportkosten, sollte die Sperrung zu lange andauern – und Versorgungsengpässe in ganz Westeuropa.
Denn auch ausserhalb der Schweiz gibt es für Güterzüge wenig Alternativen – schon gar nicht, was die Kapazitäten angeht. Durch den Brenner auf der Achse München-Verona werden zwar noch mehr Waren transportiert als durch den Gotthard, der Löwenanteil allerdings auf der Strasse. Das wird sich in Zukunft ändern: 2032 soll der Brenner-Basistunnel eröffnet werden. Mit 64 Kilometern Länge wird er den Gotthard-Rekord um sieben Kilometer überbieten.
Ab Mittwoch sollen wieder Güterzüge endlich durch den geflickten Tunnel rollen, allerdings in reduzierter Frequenz. Auch die Reisezeiten für Passagiere sollen ab Donnerstag wieder kürzer werden. Glück im Unglück: Der Basistunnel besteht aus zwei unabhängigen Röhren. Wann wieder Normalbetrieb herrscht, ist allerdings völlig offen. «Die Reparaturarbeiten sind aufwändig und werden mehrere Monate dauern», sagte SBB-CEO Vincent Ducrot (60). Damit könnte der Gotthard bald um einen weiteren Superlativ reicher sein: den vielleicht teuersten Streckenunterbruch in der Schweizer Eisenbahn-Geschichte.
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