Sag, wie hältst dus mit dem Rahmenabkommen? Seit mehr als einem Jahr sondieren die Schweiz und die EU, ob neue Verhandlungen möglich sind. Der Zeitplan zum Abschluss von Verhandlungen für ein Institutionelles Rahmenabkommen (Insta) ist denkbar eng: Die bisherige Chefdiplomatin Livia Leu ist auf dem Absprung, ihr Nachfolger Alexandre Fasel übernimmt das heikle EU-Dossier zum 1. September. Ende Oktober stehen dann die Parlamentswahlen an, die EU-Wahlen folgen im Juni 2024.
In der Lücke dazwischen könnte das Rahmenabkommen entstehen – oder erneut scheitern. Dann droht Stillstand bis ins Jahr 2025. Doch selbst wenn die Verhandlungen erfolgreich sein sollten, könnte es bis 2028 oder gar 2029 dauern, bis ein Rahmenabkommen in der Schweiz durch alle gesetzgeberischen Prozesse gegangen und von allen EU-Mitgliedsländern ratifiziert ist, wie Expertinnen und Experten schätzen. Baden-Württemberg rüstet sich für diese Hängepartie.
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Das süddeutsche Bundesland passt seine sechseinhalb Jahre alte Schweiz-Strategie an. Bis Anfang 2024 soll eine neue Version vorliegen. Das Update ist notwendig geworden – nicht nur wegen zahlreicher weltweiter und europäischer Entwicklungen wie der Corona-Pandemie oder des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, sondern auch wegen des bisherigen Scheiterns der Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen.
Baden-württembergische Exporte legten um fast 30 Prozent zu
«Gerade in den wirtschaftlich bedeutenden Zukunftsfeldern der Luft- und Raumfahrt oder der künstlichen Intelligenz halten wir Anpassungen für notwendig», sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut auf Anfrage. Anderseits zeigten die Überprüfungen der Strategie, dass bereits bekannte Themen wie die flankierenden Massnahmen weiterhin grosse Hürden für die baden-württembergischen Unternehmen im Rahmen der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung darstellten. Auch die neuen technischen Handelshemmnisse, die durch das Auslaufen des Mutual Recognition Agreements (MRA) im Bereich der Medizinprodukte seit 26. Mai 2021 entstanden sind, sorgen laut Hoffmeister-Kraut bei den Unternehmen für Verunsicherung bei langfristigen Planungen von Investitionen.
Für Baden-Württemberg wie für die Schweiz steht viel auf dem Spiel. In den vergangenen Jahren sind die wirtschaftlichen Verflechtungen immer enger geworden. 2022 avancierte die Schweiz zum zweitwichtigsten Aussenhandelspartner Baden-Württembergs: Gemäss den vorläufigen Zahlen beliefen sich die Exporte von Baden-Württemberg in die Schweiz bei Waren auf den Wert von 20,8 Milliarden Euro – ein Zuwachs von fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die wichtigsten Handelsgüter waren mit knapp einem Viertel pharmazeutische Erzeugnisse, dahinter folgten Energie, Metalle und Maschinen. Auch bei den Importen ist eine deutliche Steigerung zu verzeichnen. Im Jahr 2022 wurden Waren im Wert von 18,6 Milliarden Euro aus der Schweiz importiert, fast 20 Prozent mehr als 2021. Neben Metallen, Maschinen und chemischen Erzeugnissen ebenfalls vor allem Pharmaprodukte. Diese machten mehr als einen Viertel der Importe aus.
Die Folgen des fehlenden Rahmenabkommens
Während die Zusammenarbeit mit der Schweiz in Baden-Württemberg positiv wahrgenommen wird, hat das jahrelange Tauziehen ums Rahmenabkommen Spuren hinterlassen. Die Regierung in Stuttgart will offenbar auch nicht darauf vertrauen, dass das Abkommen diesmal erfolgreich abgeschlossen wird. Sie fürchtet zunehmend um die Planungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität der Unternehmen in den Grenzregionen.
Ein Dauerbrenner ist etwa die Entsendung von Mitarbeitenden aus deutschen Unternehmen in die Schweiz. Selbst Handwerker müssen eine Kaution hinterlegen und eine achttägige Voranmeldefrist einhalten, bevor sie in der Schweiz arbeiten können – eine Belastung für kleinere Betriebe in den Grenzregionen. Und nach und nach laufen bilaterale Abkommen aus, welche die Beziehungen bislang regeln.
Nach dem MRA für Medizinprodukte droht ab 2027 auch ein weiteres technisches Handelshemmnis im Bereich Maschinen- und Anlagenbau. Entsprechende Produkte müssten die notwendigen Zertifizierungs- und Zulassungsprozesse dann zweimal durchlaufen: in der Schweiz und in der EU. Für eines der wichtigsten Import- und Exportgüter könnte das katastrophale Folgen haben.
Hochschulkooperation soll nicht vom Rahmenabkommen abhängen
Beide Seiten betonen die engen wirtschaftlichen und politischen Verbindungen. Als Grenzland ist Baden-Württemberg besonders an pragmatischen Lösungen interessiert. Angesichts von über 130 baden-württembergischen Hochschulkooperationen mit der Schweiz und rund 700 gemeinsamen Forschungsprojekten sprach sich der für die neue Schweiz-Strategie zuständige Staatssekretär Florian Hassler laut der «Badischen Zeitung» dafür aus, Forschungs- von Binnenmarktfragen zu trennen. «Wir setzen uns mit Nachdruck in Brüssel dafür ein, dass die Schweiz vollwertig an Forschungsrahmenprogrammen teilnehmen kann», sagte der Staatssekretär, der Baden-Württemberg auch bei der Europäischen Union vertritt.
Mehr zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU
Als bislang einziges deutsches Bundesland hat Baden-Württemberg 2017 erstmals ein Strategiepapier zum Verhältnis mit der Schweiz verabschiedet. Dessen Weiterentwicklung steht im grün-schwarzen Koalitionsvertrag. Um möglichst viele Sichtweisen zu sammeln, soll es verschiedene Beteiligungsformate geben. Dazu gehören zwei Bürgerdialoge im Grenzraum, ein Treffen mit den Regierungen der Grenzkantone und die inzwischen siebte Demokratiekonferenz des Landes mit dem Kanton Aargau und den Partnerstädten Aarau und Reutlingen. Eine Schweiz-Strategie ganz nach Schweizer Art.