Zürcher FDP-Präsident Filippo Leutenegger
«Von der Politik erwarte ich keine Liebe»

Mit 71 Jahren gibt er noch mal richtig Gas: Filippo Leutenegger übernimmt neben seinem Job als Stadtrat auch noch das Präsidium der FDP Zürich. Was er mit der angeschlagenen Partei plant und woher er seine Energie nimmt.
Publiziert: 30.12.2023 um 11:05 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2024 um 15:15 Uhr
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Filippo Leutenegger übernimmt neben seinem Job als Stadtrat auch noch das Präsidium der FDP Zürich.
Foto: Zamir Loshi
Lynn Scheurer
Schweizer Illustrierte

Filippo Leutenegger, Stadtrat und neu auch noch Präsident der FDP Zürich: Ist Ihr Doppelmandat eine Männerkrankheit?
Filippo Leutenegger: Das ist mir bisher nicht aufgefallen. Meistens machen doch Frauen zwei, drei Jobs gleichzeitig.

Was können Sie denn, was andere nicht können?
Keine Ahnung, was die anderen nicht können. Ich kann nur von mir reden: Ich bin belastbar, habe viel Energie. Ich kann mit Niederlagen umgehen und bin resilient.

Woher kommt Ihre Resilienz?
Ich weiss es nicht. Früher hatte ich viele Auftritte am Fernsehen, war ein Live-Mensch. Aufzutreten stresst mich deshalb nicht über alle Masse.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Was ist mit Ihrem Alter? Sie sind schon 71.
Das Alter hat für viele den Nachteil, dass man nicht mehr richtig mag. Bei mir ist das noch nicht der Fall. Wer zudem konsequent war, gewinnt im Alter an Glaubwürdigkeit. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob meine Partei das auch so sieht.

Wie meinen Sie das?
Die Zeit zwischen der Bekanntgabe der Kandidatur für das Präsidium der FDP Zürich und der Wahl war sehr belastend für mich.

Haben Sie sich gefragt, ob Sie beliebt genug sind?
Nein, ich muss nicht geliebt werden. Ich will Ziele erreichen. Ich will helfen, das liberale Fundament der Schweiz wieder zu stärken.

Es fühlt sich aber schön an, geliebt zu werden, oder? Sie erhielten drei Viertel der Stimmen.
Von der Politik erwarte ich keine Liebe. Die habe ich in der Familie, die meine oberste Priorität ist. Aber klar: Dass ich mit Vizepräsidentin Raffaela Fehr und Vizepräsident Matthias Müller als Dreierteam so ein gutes Resultat holte, war ein Vertrauensbeweis und gibt uns eine gute Basis.

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Haben Sie als Stadtrat zu wenig Arbeit?
Ich leite das Schul- und Sportdepartement der Stadt Zürich seit 2018. Anfangs hätte ich nebenbei sicher kein zweites Amt übernehmen können.

Und jetzt läuft der Laden?
Er ist auf jeden Fall gut unterwegs. Die Tagesschulen in Zürich sind eingeführt, und ich bin sehr happy damit, wie es jetzt läuft.

Was ist mit dem Interessenkonflikt zwischen Ihren beiden Ämtern?
Wenn es mal einen Stadtratsentscheid gibt, der sich direkt gegen den Kanton richtet, dann gilt das Kollegialitätsprinzip. Für so einen Fall habe ich ja auch noch die Vizepräsidien.

Bei den Bundesratswahlen geriet die FDP unter Beschuss. Es wurde geschnödet, Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis müssten ihre Sitze nun verteidigen, bis sie keinen Puls mehr haben.
Das ist Polemik. Alle Mitglieder des Bundesrates müssen sich immer wieder einer Wiederwahl mit ungewissem Ausgang stellen.

Behalten Sie Ihre beiden Ämter auch, bis Sie keinen Puls mehr haben?
Diese Legislaturperioden mache ich sicher fertig, also zwei beziehungsweise vier Jahre. Und dann schauen wir weiter.

Geht es der FDP Schweiz so schlecht, weil es der FDP Zürich schlecht geht?
Auf jeden Fall ist die FDP Zürich eine grosse und wichtige Sektion. Und wir müssen besser werden – voilà.

Wie ist die Stimmung in der FDP Zürich auf einer Skala von 1 bis 10?
Trotz einigen Problemen erstaunlich gut.

Heisst?
Ich dachte wirklich, es sei schwieriger. Mit der neuen Führung kommt hoffentlich noch mehr gute Stimmung rein. Sowieso brauchen wir als «old party» die Jungen. Wir haben viele Mitglieder, sind super organisiert, jetzt brauchen wir die Kraft der Jungen und der Frauen. Es ist meine Aufgabe, sie ins Spiel zu bringen.

Und sich selbst irgendwann aus dem Spiel zu nehmen?
Ja, sicher. Ich muss ja nicht mehr Nationalrat oder Bundesrat werden (lacht).

Was wollen Sie mit der FDP erreichen?
Ich kämpfe für die Freiheit und die Chance der Entfaltung der Menschen und den Respekt für die individuelle Leistung. Leider schnüren wir uns mit staatlichen Regulierungen immer mehr ein, die unseren wirtschaftlichen Erfolg und unseren langfristigen Wohlstand gefährden.

Regulierungen – etwa zum Schutz des Klimas – sind doch sinnvoll?
Klar. Aber möglichst viele Regulierungen und Abgaben ergeben noch keinen besseren Umweltschutz. Wir haben bereits ein so dichtes Regelwerk – das sich teilweise widerspricht –, dass wir uns fragen müssen: Was ist wirklich wichtig? Überall wird die Schraube angezogen. Ein Beispiel ist das Wohnungswesen.

Was ist damit?
Wenn die Einwanderung weiterhin so hoch bleibt, müssen wir mehr Wohnungen bauen können! Die Linken wollen Mietzinsdeckel und ein Vorkaufsrecht des Staats. Das sind einfach keine tauglichen Mittel.

Sie hingegen wollen die Schweiz noch mehr verbauen und zersiedeln?
Wir müssen uns entscheiden: Entweder wir bauen mehr, oder wir steuern die Einwanderung, das ist aber eine nationale Frage.

Als Politiker wälzen Sie seit Jahrzehnten Probleme. Sind Sie ein Optimist?
Absolut. Ich finde den Kulturpessimismus mancher Leute schade, die deswegen sogar auf Kinder verzichten, weil sie schon den Weltuntergang vor sich sehen.

Welche Erfolge hinterlässt Ihre Generation Ihren Kindern und Enkeln?
Mehrere Generationen haben in der Schweiz eine unglaubliche Stabilität und einen unglaublichen Wohlstand erreicht, der breit verteilt ist. Und unser duales Bildungssystem mit der Berufsbildung: grossartig!

Welche Misserfolge hinterlässt Ihre Generation?
Die Einsamkeit ist in unserer Gesellschaft ein ernsthaftes Problem. Fast die Hälfte der Wohnungen in den Städten sind Einzelhaushalte. Viele von uns haben alles, können sich alles leisten – und brauchen deshalb von ihren Mitmenschen kaum mehr Nachbarschaftshilfe. Ich wohne bewusst in einer Siedlung mit Familien und einem Kinderhort. Das ist ein tolles Lebensgefühl.

Was stört Sie an der Schweiz?
Ich möchte, dass die Leistung der Einzelnen gesellschaftlich besser honoriert wird. Ich spreche jetzt nicht von überrissenen Managergehältern, aber wer bei uns dank eigenem Einsatz Geld verdient, zahlt unsere Steuern. Das ist nichts Schlechtes! Die Banken sind in der Stadt Zürich nicht grade beliebt. Dabei zahlen sie aber fast die Hälfte aller Firmensteuern, über 400 Millionen im Jahr.

Wie gehen Sie selbst mit Geld um?
Mache ich mit meinem eigenen Geld einen Blödsinn, vergesse ich das schnell wieder. Aber mit dem Geld, das mir vom Staat anvertraut wird, bin ich sehr verantwortungsvoll und vorsichtig.

Das will ich auch hoffen!
Diese Sparsamkeit kommt leider nicht immer gut an.

Welchen Blödsinn haben Sie mit Ihrem eigenen Geld gemacht? Bitcoin?
Nein, nein. Ich habe früher neben meinem Unternehmen auch mal eine neue Firma gegründet, aus der nichts wurde. Unternehmerisches Risiko.

Wie wollen Sie die FDP auf Erfolgskurs bringen?
Mit einem Turnaround: vom Negativen ins Positive kehren.

Woher nehmen Sie die Energie?
Ich bin einfach zufrieden, ein geselliger Mensch. Am schönsten ist es, wenn ich mit meiner Familie, meinen fünf Kindern und den zwei Enkeln zusammen sein darf und mit meiner Partnerin. Wenn ich einen vollen Tag hatte und abends kochen kann, beruhigt mich das. Zum Weihnachtsessen lade ich meinen Stab und meine Direktoren zu mir nach Hause ein.

Was servieren Sie?
Risotto oder Pasta. Al dente natürlich!

Und am nächsten Tag gehen Sie ins Fitness?
Nein, ich laufe. Lasse meine Elektro-Vespa oft stehen und laufe einfach durch die Stadt.

Sie haben die «Arena» gegründet. Schauen Sie die Politsendung noch?
Selten. Mich interessiert die «Arena», um die neuen Gesichter kennenzulernen. Aber ich brauche weniger Informationen als früher, um zu wissen, was läuft und wie jemand tickt.

Ein Vorteil des Alters?
Der Erfahrung.

Sie sind ein Liberaler. Haben Sie sich schon als Kind gegen Regeln gesträubt?
Ich war stets ein freiheitsliebender Mensch, auch als Schüler.

Also haben Sie viel Seich gemacht?
Selbstverständlich.

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