Zoff in Bundesbern
Hilfswerke kritisieren Sparfüchsin Keller-Sutter

Sparen, sparen, sparen: Das ist nicht gut für die Schweiz, findet der Hilfswerke-Dachverband Alliance Sud. Laut einem Gutachten gibt's mehr Spielraum, als Finanzministerin Karin Keller-Sutter behauptet.
Publiziert: 04.06.2023 um 11:53 Uhr
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Bundesrätin Karin Keller-Sutter begründet ihren Sparkurs mit Blick auf die Schuldenbremse.
Foto: keystone-sda.ch
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Die Parole von Bundesrätin Karin Keller-Sutter (59) lautet: Sparen, Sparen, Sparen. «Dabei gibt es auch andere Möglichkeiten, das Budget auszugleichen», sagt der Ökonom Cédric Tille (53) im Gespräch mit SonntagsBlick. «Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) rechnet viel zu pessimistisch.» In einer Studie für den Hilfswerke-Dachverband Alliance Sud kommt der Professor aus Genf zum Schluss: «Um die Schuldenlast zu stabilisieren, muss man gar nicht so viel sparen.»

Tille rechnet anders als Keller-Sutters Ökonomen. Er geht nicht vom absoluten Defizit der Schweiz aus, sondern vom Verhältnis der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Ihm gehe es um den tatsächlichen Bedarf zur Refinanzierung von Staatsschulden. Daher kalkuliere er mit einem ungebrochenen Trend zu niedrigeren Zinsen.

Amerikanischer denken

Tille argumentiert auch mit Opportunitätskosten. «Schon die Annahme, dass in Zukunft der finanzielle Spielraum kleiner wird, verbaut uns Möglichkeiten.» Im Klartext: Die Schweiz solle ein wenig US-amerikanischer denken, weniger sparen und mehr Geld ausgeben. «Das Land verträgt das», sagt Tille. «Praktisch jedes Jahr sagt die Schweiz, dass es ökonomisch besser wurde als ursprünglich gerechnet. Deswegen sollten wir anders rechnen.»

Auch stellt Tille die Frage: «Welchen Schuldenstand will die Schuldenbremse?» Aktuell sei die Zielvorgabe unklar. «Als Privatperson will man keine Schulden haben. Als Staat ist es aber sinnvoll, Schulden zu machen.»

Tille schreibt, mit einer leicht erhöhten Quote von Staatsschulden und BIP liessen sich die Handlungsmöglichkeiten des Bundeshaushalts signifikant vergrössern. «Ohne Spar-Fokus gäbe es mehr Spielraum», sagt Tille. «Ob für Entwicklungshilfe, Kampfjets oder für niedrigere Steuern, muss die Politik entscheiden. Ökonomisch betrachtet ist jedenfalls mehr möglich.»

Ukraine gegen den globalen Süden

Alliance Sud vertritt Schweizer Hilfswerke, die im globalen Süden aktiv sind. Diese befürchten, dass der Bundesrat aus Spargründen Geld vom Entwicklungshilfebudget in die Ukraine umleiten will. Damit aber würden Ukraine und Entwicklungsländer gegeneinander ausgespielt. «Dies geht auf Kosten der Menschen in den Entwicklungsländern, die schon jetzt unter den dramatischen Folgen des Krieges und der Hungerkrise leiden», sagt Andreas Missbach (57), Geschäftsleiter von Alliance Sud.

Nächste Woche diskutiert das Parlament über die Finanzierung des Wiederaufbaus in der Ukraine. Für Alliance Sud steht bereits vorher fest: «Die Schweiz hat einen finanziellen Spielraum, der mehr Geld für die Ukraine und gleichzeitig den Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit in ärmeren Ländern erlaubt», sagt Missbach: «Beides ist dringend nötig – und dient auch der Sicherheit der Schweiz.»

Das EFD teilt SonntagsBlick mit: «Die Elemente der Schuldenbremse sind in der Bundesverfassung verankert. Somit sind der Bundesrat und das Parlament an die Schuldenbremse gebunden.»

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