«Ich vertraue dem BAG trotzdem»
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Bevölkerung über BAG-Pannen:«Ich vertraue dem BAG trotzdem»

Heftige Kritik am BAG nach Pannen-Serie
«Das Bundesamt für Gesundheit ist nicht mehr glaubwürdig»

Nach wie vor ist kein Erwachsener unter 30 Jahren in der Schweiz an Corona gestorben. Obwohl das BAG dies zuerst behauptete. Es ist bei weitem nicht der erste Fauxpas des BAG – die Pannenliste wird immer länger. BLICK hat die grössten Pannen zusammengestellt.
Publiziert: 03.08.2020 um 12:18 Uhr
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Aktualisiert: 11.02.2021 um 20:35 Uhr
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Kaspar Loeb, Senior-Berater bei der Kommunikationsagentur CRK, sagt bei Blick TV: «Das BAG ist nicht mehr glaubwürdi»
Fabian Vogt, Ladina Triaca

«In der Schweiz starb diese Woche erstmals ein Erwachsener unter 30 Jahren am Coronavirus.» Er war kein Risikopatient, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) anfügte. Die Nachricht sorgte für Angst und Unsicherheit besonders in der jungen Bevölkerung, das BAG sprach von einem «tragischen Vorfall». Doch einige Stunden später stellte sich heraus: Es war eine Falschmeldung! Ein Berner Arzt trug bei der Untersuchung des vor der Corona-Infektion völlig gesunden Patienten beim Todesdatum ein Datum ein, schickte die Unterlagen ans BAG und diese trugen die Statistik entsprechend falsch nach.

Dies war bei weitem nicht die erste Panne beim BAG. In den letzten Monaten passierten haufenweise Fehler, die ein schlechtes Licht auf das Bundesamt für Gesundheit warfen.

Ist das BAG noch glaubwürdig? Bei Blick TV nimmt Kaspar Loeb, Senior-Berater bei der Kommunikationsagentur CRK, zu dieser Frage Stellung.

Herr Loeb: Ist das BAG noch glaubwürdig?
Kaspar Loeb: Wenn man alle Pannen zusammenzählt, muss man sagen, nein. Es ist die einzige Quelle, die für die Schweizer Bevölkerung da ist und ihre Informationen müssen einfach stimmen. Ich war ehrlich gesagt gar nicht so überrascht, dass die Meldung mit dem Unter 30-Jährigen nicht stimmt. Wegen all der anderen Vorfälle haben die Leute eine natürliche Skepsis, man hat sich fast schon an Falsch-Informationen gewöhnt.

In der Privatwirtschaft würden nun Köpfe rollen. Wie sieht es beim BAG aus?
Wir wissen, dass man Beamte nicht entlassen kann. Gesundheitsminister Alain Berset sagte schon vielfach, man würde die Probleme angehen. Aber bei so vielen Pannen kann strukturell etwas nicht stimmen. Wenn zum Beispiel jemand die Meldung bekommt, dass das erste Mal ein unter 30-Jähriger gestorben ist, dann muss er doch beim zuständigen Arzt nachfragen und das nicht ungefragt übernehmen. Besonders im Wissen, dass es früher schon Kommunikationspannen gab. Diese Mentalität führt zu den ganzen Problemen.

Ist das BAG überfordert?
Überfordert zu sein ist in Ordnung. Das sind wir alle. Aber es darf nicht passieren, dass systematische Pannen passieren. Nach wie vor fand beim BAG noch keine Digitalisierung statt. Es kann doch nicht sein, dass die Ärzte ihre Berichte im Jahr 2020 noch per Fax an das Bundesamt übermitteln müssen.

Was muss das BAG jetzt ändern?
Ich bin der Meinung, Alain Berset ist in der Verantwortung. Er muss die Digitalisierung vorantreiben und dafür sorgen, dass die BAG-Mitarbeiter abgemahnt werden, wenn sie leichtgläubig Dinge übernehmen. Und natürlich muss dafür gesorgt werden, dass die Zahlen fortan stimmen. Aber es gibt ein strukturelles Problem.

Welches?
Es gibt Bundesämter, die den Aufwand unternommen haben, sich zu digitalisieren. Beim BAG hat man das Gefühl es wird nur gemacht, was nötig ist. So gibt es schon lange einen Pandemieplan, man hätte gewisse Dinge aufbauen können. Aber man tat es nicht, weil man dachte, ein solches Szenario würde nie eintreten.

Muss sich das BAG entschuldigen?
Ich finde, Alain Berset muss sich entschuldigen. Im Amt muss das Bewusstsein verankert werden, dass seine Kommunikation für die ganze Bevölkerung sehr wichtig ist. Das verlorene Vertrauen wieder aufzubauen ist extrem schwierig. Es ist doch tragisch, dass die Menschen dem Amt nicht mehr vertrauen. Das hat etwas von einer Bananenrepublik und der Schweiz eigentlich unwürdig.

Die Pannen, die im BAG passierten, sind in der Tat zahlreich. BLICK hat die gröbsten davon zusammengestellt:

Wo steckt man sich an? In Bars? Zu Hause?

Anfang August sorgte das BAG für Aufsehen mit der Meldung, dass sich die meisten Personen in Clubs und Bars anstecken. Kritiker der Lockown-Lockerungen sahen sich bestätigt, forderten rigorosere Massnahmen im Nachtleben. Bis sich das BAG zwei Tage später erneut meldete und sagte, die Daten seien dem «falschen Ansteckungsort» zugeordnet worden. Am häufigsten werde das Virus nicht im Nachtleben, sondern zwischen Familienmitgliedern übertragen.

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Aus 109-Jähriger Frau wird 9-jähriges Mädchen

Die Aufregung war gross, als in der Todesfallstatistik des BAG Ende April ein 9-jähriges Mädchen auftauchte. War in der Schweiz erstmals ein Kind am Virus verstorben? Nein, kurze Zeit später kam die Entwarnung: Dem BAG war ein Fehler unterlaufen. Das 9-jährige Mädchen war schon etwas betagter: Es handelte sich um eine 109-jährige Frau. «Wir haben bei der Erfassung des Falles das Geburtsdatum versehentlich auf 2011 statt 1911 gesetzt», teilte das Amt dem «Tages-Anzeiger» mit.

Es dauert nicht lange bis zum nächsten Zahlen-Malheur: Das Amt meldet Mitte Mai fast 100 Neuinfektionen. Eine Verdoppelung der Infektionszahlen im Vergleich zur Vorwoche! Kurze Zeit später stellt sich heraus: Alles halb so wild. Tatsächlich sind es nur 58 Neuinfektionen. Ein Labor hatte dem BAG falsche Zahlen gemeldet.

Die wiederkehrende Zahlenchaos hat auch damit zu tun, dass die Ärzte die Infektionsmeldungen dem BAG lange Zeit per Fax übermitteln mussten – eine denkbar fehleranfällige Methode.

Zu wenig Quarantäne-Daten

Schelte bekam der Bund auch von den Kantonen. Sie sind für die Einhaltung der Quarantäne-Massnahmen zuständig, wenn jemand aus einem Risikoland in die Schweiz zurückkehrt. Seriöse Kontrollen seien nicht möglich, solange das BAG den Kantonen nicht genügend Passagierdaten übermittle, enervierte sich der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK), Lukas Engelberger (45). «Bisher haben wir vom Bund allerdings nur wenige Einzelmeldungen erhalten.»

Für Verwirrung hatte zuvor bereits die Aussage von BAG-Mann Stefan Kuster gesorgt, wonach Reisende auch rückwirkend in Quarantäne müssten. Nur ein Tag später kam die Korrektur aus dem Amt: Die Quarantänepflicht gelte doch nicht rückwirkend. Befindet sich ein Land zum Zeitpunkt der Einreise in die Schweiz nicht auf der Risikoliste, muss man also nicht in Quarantäne.

Umstrittene Grenzschliessung

Was bringt es, wenn die Schweiz die Grenzen dicht macht? Nichts, war frühere BAG-Mann Daniel Koch (65) zu Beginn der Pandemie überzeugt. «Grenzschliessungen verhindern sowieso nicht wirklich automatisch die Ausbreitung, und sie verlangsamen sie auch nicht wirklich», sagte Koch noch Ende Februar. Zwei Wochen später dann die Kehrtwende: Die Schweiz führt Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien ein.

Hickhack um Schulen

Ein ähnliches Hickhack bei den Schulen: Mehrmals betonte Koch Anfang März, Schulschliessungen seien kontraproduktiv: «Die Schulen sollen nicht geschlossen werden, weil die Kinder, die krank sind, sonst von den Grosseltern betreut werden. Und das ist nicht die Situation, die wir jetzt brauchen.» Umso erstaunlicher der Entscheid von Bundesrat Alain Berset (48, SP) nur eine Woche später: Im Klassenzimmer darf nicht mehr unterrichtet werden!

Wie ansteckend sind Kinder?

Auf gar keinen Fall dürfen Kinder ihre Grosseltern treffen, hiess es lange. Dann plötzlich die Kehrtwende: Oma und Opa dürfen ihre Enkel wieder in die Arme schliessen. Daniel Koch erklärte den Sinneswandel Ende April damit, dass Kinder nicht die Treiber der Epidemie seien: «Es ist so, dass Kinder praktisch nicht infiziert werden und vor allem das Virus nicht weitergeben.» Bis heute sorgt die Frage, wie ansteckend Kinder sind, für Verunsicherung. Erst kürzlich hat sich das Coronavirus in einem Jugendlager in Graubünden rasant ausgebreitet. Die Kinder waren zwischen 9 und 13 Jahre alt.

Die ewige Maskenfrage

Ja, was ist jetzt? Nützen sie oder nützen sie nichts? Bei der Ausrufung des Lockdowns Mitte März hatte Daniel Koch noch überzeugt versichert: «Schutzmasken sind, wenn sie in der allgemeinen Bevölkerung getragen werden, sehr wenig wirksam.» Heute sind Masken im öffentlichen Verkehr Pflicht; in manchen Kantonen sogar in Läden. BAG-Chef Pascal Strupler (61) empfiehlt nun sogar allen Kantonen, die Maskenpflicht in den Läden einzuführen und einen Flickenteppich zu vermeiden. Was ist passiert?

Der Bund hatte im März noch bei weitem nicht genügend Masken an Lager. Wie die Sonntagszeitung berichtet, entschied man sich deshalb auch die Kommunikation entsprechend anzupassen: «Lagerbestände mit Hygienemasken sind zurzeit noch ungenügend. Im Moment kann keine Maskentragempfehlung der Bevölkerung ausgesprochen werden.» Zu Beginn bestimmte also primär die Verfügbarkeit der Masken den Kurs des Bundes – und nicht deren Wirksamkeit.

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