Sachlich, nüchtern, unaufgeregt – so trat Patrick Mathys (50) in den letzten Wochen vor die Medien, wenn er Bericht über die aktuellen Fallzahlen erstattete. Nach dem Abgang von «Mr. Corona» Daniel Koch (65) schien der eher unscheinbare Leiter der Sektion Krisenbewältigung im Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Rückkehr zur Normalität zu verkörpern, zur Berner Beamtenroutine. Bis Mittwoch. Da lupfte es Mathys den Hut.
Ja, sagte er, auf das Debakel der falsch bewerteten Ansteckungsorte angesprochen. Er habe die Zahlen selber freigegeben. Der Fehler sei ihm nicht aufgefallen. Und dann gab er zurück: «Bemerkt haben wir es, und nicht jemand anders.» Man habe die Zahlen sofort korrigiert. Überhaupt verstehe er das BAG-Bashing nur «mässig».
Unklare Botschaften, Maskendebakel
Aus Mathys sprach der Frust. Bis zu 300 Anfragen besorgter Bürger beantwortet das Amt pro Tag, gerät nun aber wegen einer einzigen publizierten Zahl ins Kreuzfeuer: «Bundesamt für Fehltritte», titelte die «NZZ», von «Pleiten, Pech und BAG» schrieb der BLICK. Doch es lag nicht an der fehlerhaften Studie allein – entscheidend war die Tatsache, dass BAG und Bundesrat sich in der Corona-Krise bereits etliche Fehler geleistet hatten; etwa die chaotische Einführung der Quarantänepflicht für Einreisende aus Risikoländern, Daniel Kochs unklare Botschaften zum Umgang von Grosseltern und Enkelkindern, das kommunikative Maskendebakel oder die Übermittlung von Fallzahlen per Fax.
Auch der Auftritt von Pascal Strupler (61) war nicht sehr hilfreich: An einer Pressekonferenz fiel dem BAG-Direktor nicht mehr ein, wie der Mann neben ihm auf dem Podium hiess. Der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri (60) nahm es locker. Nur Tage später trat Strupler vor laufenden Kameras die Flucht nach vorne an und verkündete, man habe mit dem US-Biotechunternehmen Moderna einen Deal abgeschlossen, welcher der Schweiz 4,5 Millionen Dosen eines noch nicht ausgetesteten Impfstoffs sichere.
Am Mittwoch musste Mathys dann vor den Medien eingestehen, er wisse nicht, ob der von Strupler erwähnte Vertrag bereits unterschrieben sei. Erst am Freitag hiess es: alles in trockenen Tüchern. Hüst und Hott à la BAG.
Amt in Bredouille gebracht
Dass Strupler Ende September nach zehn Jahren an der Spitze des Amts seinen Hut nimmt, wird kaum jemand bedauern. Nicht nur mit seiner kommunikativen Unbeholfenheit hat er das Amt in die Bredouille gebracht.
Insider halten Strupler für «führungsschwach». Andere, wie der ehemalige FDP-Ständerat und Präventivmediziner Felix Gutzwiller (72), wünschen sich statt eines Juristen einen Arzt als BAG-Chef. Auch Felix Schneuwly (59), Gesundheitsexperte beim Internetvergleichsdienst Comparis, hält Struplers Leistungsausweis für «bescheiden». Doch sei er nicht der Alleinschuldige: «Es ist das System, das in erster Linie Personen fördert, die lieber verwalten und kaum etwas wagen , weil sie den Bundesräten nicht die Show stehlen dürfen!»
Beamte, die sich an diese Spielregel halten, werden bei Stellenbesetzungen bevorzugt behandelt. Bevor Strupler BAG-Direktor wurde, war er persönlicher Mitarbeiter, dann Generalsekretär von Bundesrat Pascal Couchepin (78). Vor seinem Rücktritt hievte Couchepin den Walliser auf den BAG-Chefposten.
Digitalisierung hinkt nach
Doch wie andere Amtschefs hat es auch Strupler versäumt, das Amt konsequent zu digitalisieren, also «IT-Plattformen einzusetzen, die gerade in solchen Krisen unabdingbar sind für eine genaue, datenbasierte Analyse der Lage und Steuerung», wie Schneuwly betont. Paradox: Vor einem Jahr zog das BAG der Krankenkasse Turbenthal, die ihre Daten nicht elektronisch liefern wollte, den Stecker.
Überraschend nur, dass bei aller Kritik am BAG praktisch nie etwas an Bundesrat Alain Berset (48, SP) kleben bleibt – obwohl er als oberster Chef die Verantwortung trägt und selbst nicht immer souverän reagiert, wenn er unter Druck gerät.
So ging Berset im Juni auf die Frage eines Journalisten, ob die Kantone eine Maskenpflicht autonom verfügen könnten, gar nicht erst ein, sondern entgegnete schnippisch: «Bienvenue dans le fédéralisme», willkommen im Föderalismus. Erst auf Nachfrage antwortete er kurz angebunden mit Ja.
Berset bleibt beliebt
Auch sonst fällt auf, dass Berset kritische Fragen lieber mit wolkigen Formulierungen umschifft, als sie präzise zu beantworten. Seiner Beliebtheit tut das keinen Abbruch: Der Innenminister zehrt nach wie vor vom guten Image, das er sich während des Lockdowns aufgebaut hat.
Denn unbestritten ist eben auch: Der Freiburger ist ein begnadeter Kommunikator. Gerade weil sich Bersets Antworten oft in Allgemeinplätzen erschöpfen, fallen ihm seine Statements nur selten auf die Füsse. Und während sich seine Bundesratskollegen über Bersets Inszenierung als Landesvater ärgerten – Alain im Helikopter, Alain mit Hut, Alain auf Instagram –, scheint sein Stil beim breiten Publikum gut anzukommen.
Berset habe durchaus geschickt agiert, indem er den Spezialisten seines BAG während der Krise grossen Freiraum gegeben habe, sagt Tilman Slembeck (56), Gesundheitsökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre: «Dadurch wurde die Verwaltung zu einem politischen Player. Das Amt musste Dinge ausbaden, die auf politischer Ebene nicht zu Ende gedacht waren.»
Möglicherweise ist das auch der Grund dafür, dass BAG-Krisenmanager Mathys am Mittwoch vor den Medien so emotional reagierte: Die Anschuldigungen, die er abwehren musste, galten eigentlich seinem obersten Chef.
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