Herr Bundesrat, die Rebberge Bursins waren lange Ihr Arbeitsort als Winzer. Jetzt sitzen Sie seit Jahren in Bern. Vermissen Sie Ihr Zuhause?
Es ist lange her, seit ich das letzte Mal in den Rebbergen spazieren konnte. Ich habe einfach keine Zeit dafür.
Nicht einmal an den Wochenenden?
Nein. Einen Tag brauche ich allein zur Vorbereitung der Dossiers der Folgewoche. Am anderen Tag suche ich die Abwechslung, aber zum Spazieren reicht es praktisch nie.
Seit 2016 sind Sie Bundesrat, seit 2019 als Wirtschaftsminister. Reift ein Bundesrat wie guter Wein?
Da müssen Sie die Bevölkerung fragen. Klar ist: Das Verteidigungsdepartement, das ich zuerst betreute, war eher regelbasiert. Die meisten Geschäfte folgten einer gewissen Routine. Als ich ins WBF wechselte, explodierte die Zahl der Aufgaben. Ich bringe meine ausländischen Kollegen jeweils zum Lachen, wenn ich erzähle, dass ich nicht nur Wirtschaftsminister, sondern auch Tourismus-, Forschungs-, Landwirtschafts-, Wohnbau-, Bildungs- und Handelsminister bin. Oft sitzen mir an Regierungstreffen vier bis fünf ausländische Minister als fachliche Pendants gegenüber.
Im Bundesrat gibt es zwei Neue: Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti. Haben sich da schon Positionen verschoben?
Es ist zu früh für eine Beurteilung. Etwa im Energiedossier und in der Notvorsorge von Gas und Strom arbeite ich mit Albert Rösti genau gleich zusammen, wie ich es schon mit seiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga getan habe. Es braucht eine Zeit im Amt, bis man seine eigenen Akzente setzen kann.
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Wo konnten Sie Akzente setzen?
In der Agrarpolitik. Als ich das Dossier übernahm, war die Lage verfahren und die Parteien zerstritten. Es brauchte vier Jahre, um sich auf eine tragfähige Vorlage zu einigen. Jetzt gehen die Reformen in der Landwirtschaft weiter. Doch vor guten wie schlechten Überraschungen ist man nie gefeit.
Welche schlechte Überraschung hatten Sie?
Ich war überrascht, als ich vor gut einem Jahr entdeckte, wie abhängig wir vom Ausland in der Energieversorgung sind. Wir mussten viele Änderungen in die Wege leiten, um diese Abhängigkeit zu reduzieren.
Ihre grösste Baustelle?
Die Neuordnung der wirtschaftlichen Landesversorgung. Die Energiekrise hat die Schwachstellen der Organisation an der Schnittstelle von Bund und Privaten offenbart. Ich veranlasste die nötigen Reformen. Jetzt sind wir mitten im Umbau. Ich hoffe, dass er bis zum Herbst abgeschlossen und das Amt operativ ist.
Wie zuversichtlich sind Sie für den Winter?
Die französischen AKW liefern wieder genügend Strom. Reservekraftwerke und Wasserkraftreserve wurden in kurzer Zeit realisiert. Wir sind also besser dran als noch im letzten Winter. Die grosse Unbekannte ist, wie kalt der Winter sein wird. Die andere ist, ob Russland weiter Gas nach Europa liefern wird. Derzeit ist dies der Fall – selbst über ukrainisches Territorium fliesst noch Gas. Aber eine Garantie gebe ich Ihnen nicht.
Mit der OECD-Mindeststeuer verliert die Schweiz tiefe Steuern als Trumpf im internationalen Steuerwettbewerb. Wird die Schweiz verlieren?
In der Tat könnten einige Tiefsteuerkantone diesbezüglich an Anziehungskraft verlieren …
Genf, Waadt, Neuenburg, Basel-Stadt, Zug?
Ja, aber Firmen ziehen nicht nur wegen der Steuern zu uns. Was ich immer wieder von den Verantwortlichen höre: Sie schätzen die politische Stabilität und dadurch die Rechtssicherheit. Der Rechtsstaat Schweiz ist Gold wert. Aber auch die Unabhängigkeit der Schweiz im Kontext der Machtblöcke scheint wichtig zu sein, sie schätzen das duale Bildungssystem der Schweiz und die ETH, sie sind beeindruckt von der Innovationsleistung, und sie schätzen die kurzen Wege zu den Behörden. Ich empfange hie und da ausländische Firmenvertreter z u einem halbstündigen Austausch und stelle fest, wie erstaunt sie darüber sind, dass sie mich direkt für ein Gespräch erreichen können. In anderen Ländern müssen sie oft zuerst bei drei Unterministern und einem Kabinettsmitglied vorbei, bis sie zum Minister vorstossen.
Das hören wir auch …
Doch ein Befund sollte uns zu denken geben: Wir sind sehr schwach im elektronischen Verkehr zwischen Firmen und Behörden. Wir liegen bei der Digitalisierung im europäischen Vergleich auf dem Rang 30 von 36. Das müssen wir ändern! Das Ziel des Bundesrates ist es, möglichst schnell alle vom Bund regulierten Behörden vollständig zu digitalisieren. Dies ist das Hauptanliegen des erwähnten Gesetzes über die Entlastung von Unternehmen.
Müssten Sie nicht erst mal die bilateralen Beziehungen zur EU sichern?
Der Bundesrat sagt seit langem, dass er die Beziehungen zur EU stabilisieren und weiterentwickeln will. Wir suchen einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen. Neu ist, dass wir nicht mehr ein institutionelles Abkommen, sondern ein ganzes Paket an Marktzugangs- und Kooperationsabkommen sondieren. Die institutionellen Fragen werden in jedem der Abkommen einzeln geregelt. Das macht es leichter, Kompromisse einzugehen. Was man in der Debatte oft vergisst: Auch die EU hat in Bezug auf die Schweiz viel zu verlieren. Beispiel «Horizon»: Die EU schwächt sich selbst, wenn sie uns – oder die Briten – mit dem Ausschluss vom Forschungsabkommen abstraft. Die EU hat auch unseren milliardenschweren Beitrag ans Abkommen verloren, während Asien und Nordamerika sehr gerne mit unseren ausgezeichneten Hochschulen zusammenarbeiten wollen.
Die EU blockiert fundamental, nicht pragmatisch: Ohne Streitbeilegung keine neuen Verträge.
Die EU weiss aber auch, dass wir pro Arbeitstag für 1 Milliarde Franken Güter austauschen. Und dass täglich fast 400 000 Grenzgängerinnen und Grenzgänger in der Schweiz einer Arbeit nachgehen. Diese Löhne fliessen in die EU. Frankreich, Deutschland und Italien haben grosses Interesse daran, dass wir aus diesem Verhandlungsengpass herauskommen.
Die SVP, die Sie vertreten, blockiert eine Stabilisierung der Verträge mit der EU.
Die Parteien spielen ihre Rolle. Der Gesamtbundesrat aber sucht eine Lösung im Interesse des Landes. Meine Partei lehnt eine Regelung der institutionellen Fragen ab. Allerdings ist sie damit nicht allein. Es gibt weitere Kreise, die einzelne Aspekte der Sondierungen nicht mittragen. Und dann gibt es plötzlich überraschende Stimmen. Vor zwei Wochen schaltete sich der Branchenverband Interpharma ein und sagte, dass er sich zwar weiterhin mit voller Kraft für bundesrätliche Verhandlungen mit der EU einsetze. Verträge über eine Mobilität von Patienten kämen aber nicht einfach so infrage und der Verband erwarte eine sorgfältige Diskussion mit den relevanten Akteuren.
Wie oft beklagen sich Wirtschaftsvertreter bei Ihnen, dass es mit den Verhandlungen nicht vorwärtsgeht?
Economiesuisse, Scienceindustries und Swissmem drängen auf eine baldige Klärung des bilateralen Verhältnisses. Sie wollen Rechtssicherheit. Andere Wirtschaftsvertreter halten sich mit der Zusage zurück. Sie sehen: Die Wirtschaft spricht nicht mit einer Stimme, auch wenn eine Mehrheit geregelte Beziehungen zur EU will.
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Sie sprechen von der «Stabilisierung» des Verhältnisses, doch die EU will den Ausbau und eine Dynamisierung der Verhältnisse.
Beim Begriff Dynamisierung müssen Sie aufpassen. Es gibt keine automatische Rechtsübernahme. Wir möchten, dass die Schweiz auch weiterhin die Möglichkeit hat, EU-Recht nicht zu übernehmen. Bei der Einführung der dynamischen Rechtsübernahme wollen wir zudem Ausnahmen für schweizerische Anliegen, zum Beispiel um unser Lohnniveau zu schützen. Sollte die EU uns nicht genügend Ausnahmen in diesem wichtigen Bereich gewähren, läuft sie Gefahr, dass die Verhandlungen scheitern. Denn im Inland ist der Widerstand gross, wenn der Lohnschutz nicht genügend gesichert werden sollte.
Es heisst, die Gewerkschaften wollen mit ihrem taktischen Widerstand bloss inländische Lohnschutzregeln verschärfen, etwa Mindestlöhne oder eine vereinfachte Verbindlichkeitsklärung von Gesamtarbeitsverträgen.
Die Gewerkschaften streben Massnahmen wie die von Ihnen genannten an. Es gibt auch eine gewisse Bereitschaft der Arbeitgeberseite, Kompromisse aus einer EU-Verhandlungslösung mit inländischen Kompensationsmassnahmen abzufedern, wobei die Positionen bezüglich Art und Umfang auseinandergehen. Ob dies im Interesse des Landes ist, wird der Bundesrat in einer späteren Phase beurteilen.
Doch gibt es überhaupt noch Probleme? Es heisst, dass EU-Vizepräsident Maroš Šefcovic den Gewerkschaften im direkten Gespräch versprochen habe, nicht hinter den heutigen Schweizer Lohnschutz zurückzugehen.
Das ist die berühmte «Non-Regression»-Klausel …
Ja, hat er diese versprochen?
Genau das sind wir nun in dieser letzten Sondierungsphase am Klären. Eines ist aber klar: Auch der Bundesrat will den Lohnschutz. Er wird aber am Ende auch die Gesamtsituation beurteilen und dann entscheiden.
Die Personenfreizügigkeit bringt der Schweiz mehr Einwanderung. Das ist gut für die Wirtschaft. Sie führt aber zum Mangel an bezahlbaren Wohnungen.
Ja, die wegen der Zuwanderung erhöhte Nachfrage nach Wohnungen deckt sich nicht mit dem vorhandenen Angebot. Andere Faktoren spielen aber auch eine fast ebenso grosse Rolle: Wir leben immer öfter und länger in Kleinhaushalten zusammen. Die Bautätigkeit ist in den letzten fünf Jahren um einen Fünftel zurückgegangen, unter anderem wegen mangelndem Bauland, langen Bewilligungsverfahren oder Lärmvorschriften. Zudem wird weniger in den Wohnungsmarkt investiert, weil es wieder andere Anlagealternativen gibt.
Zum Wohnungsmangel hatten Sie kürzlich einen runden Tisch. Dort geht es aber nicht um Mieten, sondern um eine Wohnbauoffensive.
Genau. Dort sind die Kantone, die Städte und Gemeinden, die Investoren, die Bauentwickler und die institutionellen Immobilieneigentümer dabei. Jetzt ist eine Arbeitsgruppe daran, einen konkreten Aktionsplan auszuarbeiten. Anfang nächstes Jahr wollen wir wieder zusammenkommen und über die Umsetzung beschliessen.
Wie wollen Sie die Bauklemme lösen?
Es gibt nicht ein Wundermittel, sondern braucht wohl einen Mix von Lösungsansätzen. Ein Ansatz ist, dass erstens die innere Verdichtung gestärkt wird, und zweitens die Bewilligungsverfahren geklärt und beschleunigt werden können. Die meisten rechtlichen Kompetenzen liegen hier nicht beim Bund, sondern in den Kantonen und Gemeinden. Diese Zusammenarbeit ist ganz wichtig. Und als drittes Element gilt es dafür zu sorgen, dass genügend preisgünstige Wohnungen entstehen. Dazu können auch die Instrumente der Wohnraumförderung des Bundes – Darlehen und Bürgschaften – einen Beitrag leisten.
Raumplanung und einfachere Bauvorschriften – das müsste eigentlich Umwelt- und Bauminister Albert Rösti in Angriff nehmen.
Die Direktorin des Bundesamtes für Raumplanung aus Albert Röstis Departement nahm an diesem runden Tisch ebenfalls teil. Die Versorgung mit Wohnraum hängt stark mit der Raumplanung zusammen. Für die Lärmvorschriften ist das Bundesamt für Umwelt zuständig. Die Stimmung am runden Tisch war konstruktiv. Ich hoffe, dass dies ein gutes Omen ist, um am Ende zu Lösungen zu kommen.
Über die Mieten haben Sie nicht gesprochen. Doch die sind Teil Ihres Dossiers.
Das stimmt. Das Mietrecht ist immer wieder auch ein Thema im Parlament.
Sie fühlen sich nicht verantwortlich?
Doch, natürlich. Ich habe nach Lösungen im Bereich des Mietrechts gesucht und vor zwei Jahren die Sozialpartner im Mietwesen zum runden Tisch eingeladen. Doch wichtige Partner haben sich aus dem Diskussionsprozess verabschiedet, und so musste ich die Übung abbrechen.
Die Vertreter der Mieterinnen- und Mieterverbände...
Ja, aber nicht nur. Die Mieterseite versucht stattdessen, ihre Anliegen übers Parlament und über Volksinitiativen zu realisieren.
Auch die Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer versuchen es im Parlament.
Ja, auch von dieser Seite sind mehrere parlamentarische Vorstösse pendent, deren Ausgang ist aber ungewiss. Dies macht es schwierig, bekannte Probleme im Mietrecht konstruktiv anzugehen. Ich glaube aber, dass der Moment kommen wird, wo beide Seiten sich wieder an einen Tisch setzen und über Lösungen reden. Es braucht manchmal Zeit. Dies zeigte mir etwa der Konflikt um eine Flexibilisierung der Arbeitszeitkontrolle: Es brauchte sieben Jahre, bis die Sozialpartner sich auf eine Lösung einigten.
Ist das Mietdossier zu explosiv?
Der Umgangston ist manchmal etwas harsch. Das Thema Wohnen betrifft uns alle und ist demnach ein emotionales Thema.
Der Wohnungsmarkt leidet daran, dass Mieten von laufenden Verträgen viel tiefer sind als solche von Wohnungen, die im Markt zu haben sind. Warum akzeptieren Sie das?
Diese Diskrepanz ist bis zu einem gewissen Grad im geltenden Mietrecht angelegt. Das System des Referenzzinssatzes sorgte aber fünfzehn Jahre lang für eine gewisse Stabilität. Das ist doch ein Erfolg! Sich jetzt über steigende Mieten aufzuregen, ist verständlich, aber nur eine Momentaufnahme. Ich verstehe die Sorge um steigende Mieten, aber bereits bei der ersten Erhöhung des Referenzzinssatzes das ganze System infrage zu stellen, finde ich etwas verfrüht.
Sie widerstehen dem Druck der Akteure?
Als Regierung muss man mittel- und langfristig denken und manchmal etwas Druck aushalten können. Manchmal schaukelt sich ein Thema hoch, um dann ein Jahr später in sich zusammenzufallen. Schauen Sie sich die Benzinpreise an. Letztes Jahr sind sie stark angestiegen. Sofort verlangte man im Parlament mit Vorstössen nach einem dringlich einzuführenden, staatlichen Benzinpreisvergleichsportal. Der Bundesrat lehnte das ab. Ein Jahr später sind die beiden Vorstösse auch im Parlament grandios gescheitert. Auch die Angst vor einer starken Inflation hat sich in der Schweiz bisher zum Glück nicht bewahrheitet.
Regieren heisst, nicht einfach dreinzuschiessen?
In einer Krise kommt Hektik auf, das verstehe ich. Der Druck steigt. Es ist dann schwierig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Als Bundesrat muss man auch Nein sagen können.
Wir lernen daraus, Guy Parmelin ist ein Kühler-Kopf-Minister?
Ich bin zuständig für das grosse Bild. Sofort zu handeln, wenn das kleinste Problem auftaucht, ist nicht mein Ding. Da fällt mir ein gutes Beispiel ein. Es passierte zu Beginn der Corona-Pandemie. Der Bundesrat verhängte den ersten Lockdown. Und wir vom Wirtschaftsdepartement mussten zusammen mit dem Finanzdepartement eine Ausfallentschädigung ausarbeiten. Die Pressekonferenz war angekündigt und die Frage war: Welcher Bundesrat geht präsentieren? Ich lehnte ab, denn das Programm stand noch nicht in allen Details fest. Und prompt kam die Frage einer Journalistin: «Und was macht Wirtschaftsminister Parmelin?» Die Frage hat mich verärgert.
Wie reagierten Sie darauf?
Ich liess der Journalistin ausrichten: «Parmelin ist am Arbeiten!» Man werde präsentieren, sobald das Entschädigungsprogramm reif sei. Eine Woche später waren dann Ueli Maurer und ich auf dem Podium und stellten das Hilfspaket mit allen Details vor. Das nenne ich eine solide Regierungsarbeit.
Bleiben Sie da immer cool oder regen Sie sich auch mal auf?
Das gibt es in der Tat. Meine Mitarbeitenden sehen sofort, wenn ich mich aufrege (sein Pressesprecher, der das Gespräch beobachtet, lacht laut).
Wann haben Sie sich zuletzt stark aufgeregt?
Lassen Sie mich nachdenken... Im Zusammenhang mit den Waffenausfuhren wegen des Kriegs in der Ukraine. Ich regte mich auf, weil die Diskussion unredlich war.
Warum unredlich?
Man verlangt vom Bundesrat heute dringliche Vorschläge für Ausnahmen zum Verbot für die Wiederausfuhr von Rüstungsgütern an Kriegsparteien. Diese Ausnahmen wurden vor drei Jahren explizit vom Parlament abgelehnt. Es gab eine Volksinitiative, die keine einzige Ausnahme zur Wiederausfuhr von Kriegsmaterial an Kriegsparteien forderte. Ich wusste, dass das keine gute Idee war, auch wenn wir damals sicher nicht an einen Krieg in der Ukraine dachten. Wir warnten davor, den Handlungsspielraum unnötig einzuschränken. Ich wusste, dass dies problematisch ist. Doch das Parlament schlug den Initianten der Kriegsmaterialinitiative vor, ein Verbot ohne jede Ausnahme ins Gesetz zu schreiben. Die Initianten zogen daraufhin das Volksbegehren zurück. Und jetzt wollen die gleichen Kreise, die das Gesetz damals verschärft haben, dass Kriegsmaterial an die Ukraine geliefert werden soll und der Bundesrat dies ausnahmsweise bewilligen soll.
Die Mitte-Partei …
Nicht nur die Mitte-Partei, auch andere. Das ist eine pure Missachtung des Volkswillens. Das hat mich aufgeregt. Wir sind ein Rechtsstaat mit einer gültigen Verfassung!
Vor diesem Gespräch sprach der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski im Parlament. Haben Sie zugeschaut?
Nein, ich hatte selber wichtige Sitzungen.
Ihre Partei blieb der Rede fern. Erachten Sie den Auftritt Selenskis als problematisch?
Der Entscheid war Sache des Parlaments. Bei uns gilt die Gewaltentrennung. Wir treffen uns auf offiziellen Kanälen, wenn es nötig ist. Die ukrainische Botschafterin empfing ich bereits mehrmals, ebenso die ukrainische Vizepremier- und Wirtschaftsministerin Julija Swiridenko im Rahmen des WEF.
Ihrem Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) wird vorgeworfen, zu wenig scharf nach russischen Vermögen in der Schweiz zu fahnden. Unternehmen Sie da genug?
Ja. Das Seco setzt die Sanktionsmassnahmen gegen Russland mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln um. Die Verfolgung von mutmasslichen Verstössen im Finanzbereich ist dabei ein wesentlicher Bestandteil.
Was sagen Ihnen ausländische Wirtschafts- und Finanzminister dazu?
Wir werden in den Gesprächen kaum darauf angesprochen. Und wenn, dann wird in erster Linie das Engagement der Schweiz verdankt, so wie es kürzlich die britische Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch getan hat. Wir verfolgen alle dasselbe Ziel: eine strikte und vollumfängliche Sanktionsumsetzung.
Im Juli reisen Sie nach Brasilien. Sie treffen dort den Präsidenten Luiz Ignázio Lula da Silva, einen strammen Linken.
(lacht) Dass Präsident Lula ein Linker sei, sagen Sie.
Immerhin empfängt er den venezolanischen Diktator Nicolás Maduro und hofiert Wladimir Putin.
Es wird kein Treffen mit Lula geben. Im Kern geht es um das Freihandelsabkommen Mercosur, das unter anderem wegen der Pandemie blockiert war. Jetzt geht es weiter. Einige Punkte müssen noch bereinigt werden, darunter die Regeln zur Herkunftsdeklaration. Wir stehen hier auch in Konkurrenz zur EU, die ebenfalls ein Freihandelsabkommen möchte. Die Chefbeamten Brasiliens sind von Brüssel absorbiert, aber ich hoffe, dass mein Besuch die Sache für die Schweiz vorwärtsbringt.
Wie steht es eigentlich um die Handelsbeziehungen mit China?
Seit 2017 wollen wir eine Modernisierung des Abkommens mit China.
Doch nichts bewegt sich.
Nein, das stimmt nicht. Wir reden schon miteinander. Nur dass die chinesische Seite eine Modernisierung in gewissen Aspekten möchte, die wir ablehnen, und umgekehrt: Dass wir Dinge wollen, auf die China nicht eintreten will. Die Schnittmenge der Interessen ist klein. Jetzt suchen wir nach einer Winwin-Lösung. Wahr ist auch: Die Pandemie hat China blockiert. Jetzt ist das anders. Das sieht man auch daran, wie oft Vertreterinnen und Vertreter der EU und Deutschlands derzeit nach Peking reisen.
Schweizer Firmen beklagen zunehmend, dass sie sich für einen Block entscheiden müssen: Entweder geschäfte ich mit den USA oder mit China, aber beides wird immer schwieriger.
Ich sehe das Problem nicht so drastisch. Wir sind Teil der Efta. Wir haben Freihandelsabkommen mit China, wir haben Handelsverträge mit den USA. Wichtig ist, dass wir die Länderbeziehungen diversifizieren. Heute haben wir 33 Abkommen mit 43 Ländern. Das ist unser Trumpf.
Die grossen Fortschritte im Freihandel scheinen derzeit nicht möglich.
Es wird schwieriger, Abkommen zu schliessen, weil immer mehr politische Aspekte in Freihandelsverträge hineindrücken: die wirtschaftliche Nachhaltigkeit, die Einhaltung der Menschenrechte, die Sozialverträglichkeit und der Klimaschutz. All diese Forderungen komplizieren die Verhandlungen. Das Schweizer Parlament vergisst manchmal, dass wir nicht unsere Lebensnormen anderen aufs Auge drücken können.
Müssen wir mit weniger zufrieden sein?
Ja, das wäre besser. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Freihandelsverträge in der Krise sind. Dort, wo wir Abkommen haben, gibt es Gremien und laufende Kontakte von Verwaltungsstellen – sogenannte Joint Committees. Wo es Probleme gab, konnten wir darauf zurückgreifen. So konnten Schweizer Firmen ihre Lieferungsketten besser aufrechterhalten als solche in Ländern ohne Abkommen.
Die letzte Frage: Was haben wir noch nicht gefragt, was wir fragen sollten?
Was ist Ihr Lieblingsessen? (lacht)
Stimmt! Und Ihre Antwort ist?
Chicorée-Schinken-Gratin.
Der 62-jährige Guy Parmelin amtet seit fast fünf Jahren als Departementschef für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Er wurde 2016 in den Bundesrat gewählt und war die ersten drei Jahre Verteidigungsminister und Vorsteher des VBS.
Parmelin stammt aus Bursins, ein Dorf in der gleichen Gegend wie Féchy, das bekannste Dorf dieser Weinregion westlich von Lausanne. Nach dem Gymnasium hatte er einst eine Berufslehre zum Landwirt absolviert und arbeitete bis 2015 zusammen mit seinem Bruder Christophe als Weinbauer. 2016, nach der Wahl in den Bundesrat, übernahm der Bruder den Betrieb.
Parmelin führte ab 1996 während zwanzig Jahren als Verwaltungsrat den Agrarkonzern Fenaco, die letzten sechs Jahre als Vize-Präsident. Politisch Karriere machte Parmelin mit der klassischen Hundstour: zuerst als Gemeindepräsident, dann als Präsident der SVP Waadt und schliesslich ab 2003 als Nationalrat.
Der 62-jährige Guy Parmelin amtet seit fast fünf Jahren als Departementschef für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Er wurde 2016 in den Bundesrat gewählt und war die ersten drei Jahre Verteidigungsminister und Vorsteher des VBS.
Parmelin stammt aus Bursins, ein Dorf in der gleichen Gegend wie Féchy, das bekannste Dorf dieser Weinregion westlich von Lausanne. Nach dem Gymnasium hatte er einst eine Berufslehre zum Landwirt absolviert und arbeitete bis 2015 zusammen mit seinem Bruder Christophe als Weinbauer. 2016, nach der Wahl in den Bundesrat, übernahm der Bruder den Betrieb.
Parmelin führte ab 1996 während zwanzig Jahren als Verwaltungsrat den Agrarkonzern Fenaco, die letzten sechs Jahre als Vize-Präsident. Politisch Karriere machte Parmelin mit der klassischen Hundstour: zuerst als Gemeindepräsident, dann als Präsident der SVP Waadt und schliesslich ab 2003 als Nationalrat.