Wie weiter nach Bschiss bei Volksinitiativen?
Hat der Bund das digitale Unterschriftensammeln verschlafen?

In der Schweiz wurden im grossen Stil Unterschriften für Initiativen gefälscht. Könnte E-Collecting dagegen helfen?
Publiziert: 06.09.2024 um 10:23 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2024 um 11:00 Uhr
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Bei Unterschriftensammlungen für Volksinitiativen ist es mutmasslich zu Betrug gekommen. (Symbolbild)
Foto: Keystone
Florian Wüstholz
Beobachter

Bezahlte Sammler fälschten Zehntausende Unterschriften für Initiativen. Sie schrieben ganze Bögen ab und erfanden Geburtsdaten und Adressen. Das zeigt eine Recherche des «Tages-Anzeigers» – ein demokratiepolitisches Erdbeben.

Wie lässt sich das in Zukunft verhindern?

Politikerinnen und Politiker wie der Mitte-Ständerat Daniel Fässler fordern, dass das Bezahlen für Unterschriften ganz verboten werden soll. Andere setzen ihre Hoffnung in die Digitalisierung. Sie wollen, dass endlich eine schweizweite digitale Unterschriftensammlung – sogenanntes E-Collecting – möglich wird.

Damit liesse sich der gesamte Sammlungsprozess für Initiativen und Referenden digital und online abwickeln: die Abgabe der eigenen Unterschrift, die Sammlung der Unterschriften durch die Komitees, die Prüfung von deren Gültigkeit durch die Gemeinden, die Einreichung bei der Staats- oder Bundeskanzlei und die dortige Zählung und Nachprüfung.

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Auf einer nationalen Plattform liessen sich auch analoge Unterschriften, die es auch in Zukunft geben wird, eintragen – und sofort prüfen.

Daniel Graf hat mit Wecollect eine Sammelplattform aufgebaut. «Wir sind in einer neuen Schweiz aufgewacht», sagt er nach Bekanntwerden des Skandals. Graf weibelt schon länger für E-Collecting. «Wir erleben einen demokratischen Systemabsturz. Aber nun kommt mit E-Collecting endlich ein Thema zum Zug, das immer unter dem Radar war.» Das sei positiv.

Es dürften noch Jahre vergehen

Auch die Politikwissenschaftlerin Flavia Caroni beobachtet, dass die bisherigen Diskussionen um E-Collecting nicht «sehr lebendig» waren. Das liege auch daran, dass die Unterschriftensammlung für gewählte Politikerinnen und Politiker weniger Priorität hätte als Wahlen und Abstimmungen. «Die Parlamente fühlen sich von Initiativen und Referenden eher gestört.»

Angesichts der offensichtlichen Mängel des Sammelns mit Papier und Stift dürfte sich das Interesse an der elektronischen Sammelmethode vielleicht ändern – aber kaum von heute auf morgen. «Bis ein funktionierendes System für die ganze Schweiz aufgebaut ist, dürften noch Jahre vergehen», sagt Caroni.

Bund priorisierte das E-Voting

Tatsächlich wurde das Thema E-Collecting von Bund und Kantonen bisher eher zweitrangig vorangetrieben. Man fokussierte sich primär auf E-Voting, also aufs elektronische Abgeben der eigenen Stimme bei Volksabstimmungen. Seit über 20 Jahren wird daran getüftelt.

Das geht auch auf einen Grundsatzentscheid zurück, den der Bund 2006 gefällt hat. Damals wurde entschieden, E-Voting gegenüber E-Collecting zu priorisieren. Obwohl beim E-Collecting die technischen Herausforderungen für Sicherheit und Datenschutz weitaus geringer sind.

Kanton St. Gallen als Pionier

«Man muss sich schon fragen, warum wir als vermeintliche Vorzeigedemokratie in diesem Bereich nicht mit einem zeitgemässen System arbeiten», sagt Graf. «Insbesondere, da in den letzten Jahren im Bereich des Unterschriftensammelns ein unregulierter Markt mit dubiosen Akteuren entstanden ist.» Das Ergebnis habe man nun vorliegen.

Während beim Bund ein längst fälliger Bericht zum Thema E-Collecting weiter auf sich warten lässt, hat der Kanton St. Gallen eine Vorreiterrolle eingenommen. Für 2,2 Millionen Franken lässt er ein System bauen, das ab 2025 zum Einsatz kommen könnte.

Dabei sollen nicht mehr als 50 Prozent der Unterschriften digital gesammelt werden dürfen, um der Gefahr einer Initiativenflut entgegenzuwirken. «Jede Initiative hat Folgen, auch wenn sie letztlich nicht angenommen oder noch vor einer allfälligen Abstimmung zurückgezogen wird», erklärt Politikwissenschaftlerin Caroni. «Es wird ein aufwendiger parlamentarischer Prozess in Gang gesetzt – und die politische Agenda ist nicht beliebig gross und dehnbar.»

Anfang September hat sich auch der Kanton Bern für die Einführung von E-Collecting ausgesprochen – er will aber, dass der Bund die Führung übernimmt. «Das ergibt total Sinn. Wir brauchen nicht für jeden Kanton ein eigenes System», sagt Graf. Denn die Kosten sind hoch.

Technisch kompliziert – und teuer

Das zeigt auch das Beispiel Schaffhausen. Dort standen die Zeichen für E-Collecting lange Zeit auf Grün. Doch Anfang Jahr wurde das Pilotprojekt abgesäbelt: zu viele offene technische und politische Fragen und vor allem zu hohe Kosten.

Der Kanton hat zwar bereits eine eigene E-ID-Lösung, mit der man sich online gegenüber den Behörden ausweisen kann. Gleichwohl scheut er die Entwicklungs- und Betriebskosten für das digitale Sammeln von Unterschriften.

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