Nach Skandal um Unterschriften-Bschiss fordert Politik
Volksinitiativen sollen eingefroren werden

Die Bundesanwaltschaft untersucht gefälschte Unterschriften bei Schweizer Volksinitiativen. Politiker fordern eine vorübergehende Aussetzung verdächtiger Initiativen. Wie beurteilt ein Staatsrechtler die Folgen des Unterschriften-Bschisses?
Publiziert: 03.09.2024 um 18:14 Uhr
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Aktualisiert: 03.09.2024 um 18:42 Uhr
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Vanessa Meury, Präsidentin des «Blackout-stoppen»-Komitees, hat ebenfalls mit Incop zusammengearbeitet: «Aufgrund der vielen Fehler haben wir die Zusammenarbeit gestoppt.»
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Bundesanwaltschaft ermittelt wegen Unterschriften-Bschiss bei Volksinitiativen
  • Politiker fordern Marschhalt bei Initiativen mit Fälschungsverdacht
  • Incop-Chef bestreitet alle Vorwürfe
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In den vergangenen Jahren wurden Tausende von Unterschriften für Volksinitiativen erfunden, professionell gefälscht, kopiert. Ausgerechnet in der Vorzeigedemokratie Schweiz! Jetzt ermittelt die Bundesanwaltschaft.

Im Zentrum der Ermittlungen steht Incop, ein Lausanner Verein, der hauptsächlich die «Unterstützung von Aktionen zur Entwicklung der direkten Demokratie» bezweckt und kommerziell Unterschriften beschafft.

Was bedeutet die Affäre für Abstimmungsergebnisse aus den vergangenen Jahren? Müssen diese jetzt für ungültig erklärt werden? Zwar werden nur die wenigsten Volksinitiativen angenommen. Doch sind sie immer wieder Auslöser für Gesetzesänderungen.

Andreas Glaser ist Staats- und Verwaltungsrechtler an der Universität Zürich. Er sagt: «Aus rechtlicher Sicht sind durchgeführte Volksabstimmungen auf der sicheren Seite, das heisst, sie können im Nachhinein nicht für ungültig erklärt werden. Denn das Volk hat abschliessend darüber entschieden, die Abstimmung ist unzweifelhaft gewesen.» Die Bundeskanzlei lehnt eine Nachkontrolle ab, weil sie rechtlich problematisch sei, wie sie am Dienstag mitteilte.

«Initiativen mit Fälschungsverdacht einfrieren»

Klar sei aber, dass die politischen Rechte der Personen, deren Unterschriften gefälscht wurden, verletzt worden seien. «Das ist ein deutliches Alarmsignal für künftige Volksinitiativen», sagt Glaser.

Die Manipulationen beim Sammeln von Unterschriften beunruhigen auch Politikerinnen und Politiker. «Initiativen mit Fälschungsverdacht müssen jetzt kurz eingefroren werden, bis klar ist, ob die Initiativen gültig sind», sagt SP-Nationalrat Roger Nordmann (57, VD). Nur wenn es Klarheit gebe, könne in der Bevölkerung wieder Vertrauen geschaffen werden. Die Atom-Gegner der Schweizerischen Energie-Stiftung fordern ebenfalls einen Marschhalt.

Auch GLP-Nationalrat Martin Bäumle (60, ZH) fordert rasches Handeln: «Bei laufenden oder hängigen Initiativen muss man jetzt mit Hochdruck dahinter. «Die Initianten müssen hier kooperieren und offenlegen, mit wem sie zusammengearbeitet haben», findet Bäumle. Es gelte aber die Unschuldsvermutung, sagt er. Darum sollte man im Parlament auch nicht mit der weiteren Behandlung zuwarten oder die Initiativen verzögern.

«Initianten wurden geschädigt»

Genau das sei bei der «Blackout-stoppen»-Initiative aber besonders wichtig, so Nordmann. Diese will den Bau von Atomkraftwerken wieder ermöglichen. Der Bundesrat hat vergangene Woche einen Gegenvorschlag mit derselben Stossrichtung beschlossen, den Energieminister Albert Rösti (57) nun bis Ende Jahr ausarbeitet. Anschliessend kommt er ins Parlament. «Der Gegenvorschlag darf nicht behandelt werden, wenn der Impuls eventuell von einer ungültigen Initiative stammt», findet Nordmann.

Anderer Meinung ist Vanessa Meury (27), Solothurner SVP-Politikerin und Präsidentin des Initiativkomitees: «Ich sehe, dass das ein demokratiepolitisch heikles Thema ist, aber nicht die Demokratie wird beeinträchtigt, sondern die Initianten werden geschädigt.» Das sei allerdings kein Grund, die Initiative oder den Gegenvorschlag deswegen auf Eis zu legen.

Beim Sammeln von Unterschriften habe das «Blackout-stoppen»-Komitee von November 2022 bis Januar 2023 mit Incop zusammengearbeitet, sagt Meury. «Wir wissen nicht, wie viele Unterschriften von ihnen gesammelt wurden. Es wird allerdings ein minimer Anteil sein, denn die Unterschriften von Incop hatten eine extrem hohe Ungültigkeitsquote.» Die seien alle ausgeschieden.

Incop-Chef bestreitet Vorwürfe

Aufgrund der vielen Fehler hätten sie die Zusammenarbeit mit Incop gestoppt, und zwar über ein Jahr, bevor die Initiative eingereicht worden sei. «Leider sind wir dem nicht mehr nachgegangen. Wir überlegen uns jetzt, ebenfalls eine Strafanzeige gegen Incop einzuleiten», sagt Meury.

Dass die Atom-Befürworter nun noch einmal auf Unterschriftensammlung gehen müssen, ist aus Sicht von Staatsrechtler Glaser allerdings unwahrscheinlich. Heikler könne es aber für Initiativen werden, die zwar eingereicht, aber noch nicht ausgezählt sind – derzeit etwa die Ernährungsinitiative. «Diese könnten potenziell betroffen sein», schätzt Glaser ein. Da müsse die Bundesverwaltung jetzt noch genauer hinschauen. Gleiches gelte für Volksbegehren, die noch in der Sammelphase sind. «Auch hier ist zu hoffen, dass Gemeindebehörden und Bundesverwaltung nun vertieft prüfen», sagt Glaser.

Incop-Chef Franck Tessemo bestritt am Dienstag im «Tages-Anzeiger» alle Vorwürfe und behauptete, dass die Anschuldigungen von Personen stammten, die ihm und seinem Verein Incop schaden wollten. Er mutmasste, dass ein unzufriedener Klient hinter den Vorwürfen stecke. «Die Bundesanwaltschaft kann uns nichts vorwerfen», sagt er. Tessemo erklärte weiter, dass die Sammlerinnen und Sammler für die Korrektheit der Unterschriften verantwortlich seien und er betrügerische Mitarbeiter sofort entlassen würde.

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